Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
trat zu mir. Ich fühlte seine Hand auf meiner Schulter.
»Seien Sie ein Mann, Doktor! – Hinter einer reizenden Larve verbergen sich oft wahre Ungeheuer. Denken Sie an die Erzieherin, die für das Acetylengas auf dem Schafott büßte. Ich sagte ja, die beiden Fälle haben eine gewisse Ähnlichkeit. Nur – daß Sie nicht das Werkzeug waren, sondern – der Graue! – Wir werden jetzt wohl wieder gute Verbündete sein, Doktor, – nicht wahr?«
Ich nickte matt.
»Werden Sie mir helfen, Beatrix ihrer gerechten Strafe zuzuführen?«
Wieder nickte ich nur.
»Sehen Sie mich an!« sagte Gunolt da plötzlich befehlend.
Ich blickte zu ihm auf. Er hatte sich zu mir herabgebeugt, fragte nun:
»Sie wollen also Heliante rächen?«
»Ja – ich will!«
Ich sah, wie erstaunt er war, – geradezu fassungslos. Er schüttelte den Kopf.
»Ich habe mich doch getäuscht, Doktor –«
»Inwiefern?«
»Beatrix kann Sie nicht hypnotisiert haben, daß Sie die Tote vergessen sollen. Diese Annahme trifft nicht zu.«
Ich schwieg, war jetzt ebenso fassungslos wie er vor Sekunden.
»Nein – an Ihnen hat Beatrix ihre Künste nicht versucht,« fuhr er fort. »Wäre das der Fall, so würden Sie auch weiter hartnäckig für Beatrix eingetreten sein, hätten mir nie geglaubt, daß wir hier auf der richtigen Fährte sind, denn es ist ja ausgeschlossen, daß sie Ihnen in der Hypnose nur befohlen hat: »Vergiß die andere, liebe mich –!« – Nein, sie hätte Ihnen bei ihrer Intelligenz fraglos auch ganz genaue Verhaltungsmaßregeln gegeben, um sich selbst durch Sie schützen zu lassen. Das ist nicht geschehen, und dies beweist mir, daß ich mich geirrt habe.«
»Sie haben sich dennoch nicht geirrt,« sagte ich sehr bestimmt mit vor Erregung bebender Stimme. Und ich schilderte ihm, in wie seltsamer Weise seit jener Szene am offenen Sarg Heliantes die Persönlichkeiten der Schwester unmerklich immer mehr mir zu einer einzigen verschmolzen waren.
Wieder schaute er mich so prüfend an, reichte mir die Hand, erklärte:
»Durchforschen Sie Ihr Inneres, Doktor, recht genau! Ist Heliante wieder – Heliante für Sie geworden?«
Ich senkte den Kopf. Ich prüfte mein Herz, ich vergegenwärtigte mir die Tote, wie sie da vor mir mit den Rosen in der Hand und dem Lächeln auf den Lippen gelegen hatte.
»Ich bin mir meiner Sache nicht sicher, Gunolt. Aber mir scheint, die Gestalten lösen sich, beginnen sich zu trennen –.«
Ich preßte seine Hand, stand auf, blickte ihn flehend an:
»Helfen Sie mir, Gunolt –. Ich fürchte mich ja vor mir selbst. Es ist da etwas Fremdes in meiner Brust, das ich nicht begreife, nicht – mit Worten bezeichnen kann –. Helfen Sie mir, – denn das Grauen ist wieder da –.«
Mein Gesicht muß wohl beinahe entstellt ausgesehen haben. – Er beobachtete mich wie der Arzt den Kranken, schob dann seinen Arm in den meinen und führte mich in den Park hinab.
»Sprechen wir jetzt über diese Dinge nicht mehr, Doktor,« meinte er herzlich. »Sie müssen sich erst beruhigen. Lassen Sie sich aber niemandem gegenüber etwas anmerken, besonders nicht – »ihr« gegenüber.«
Er nahm mich dann nachher sofort mit, sagte zu Barks, wir wollten noch ein Stück spazieren gehen.
12. Kapitel
Er und Heliante
Als wir die Straße betraten, kam hinter uns ein stutzerhaft gekleideter Mensch her – Heller, Wachtmeister Heller.
»Was gibt’s?« fragte Gunolt gespannt, als Heller uns ansprach. »Vor Herrn Dogmoore brauchen wir keine Geheimnisse zu haben.«
Was der Kriminalwachtmeister berichtete, war seltsam genug. –
Seit einem halben Jahr waren in Berlin verschiedene Diebstähle vorgekommen, bei denen man weder den Täter hatte erwischen können, noch ein Stück der Beute – zumeist Goldsachen und Brillantschmuck, irgendwo, vielleicht bei Hehlern, hatte auftreiben können. Diese Diebstähle – die Geschädigten waren Angehörige der ersten Gesellschaftskreise, und die Beute des Diebes stellte einen Wert von nahezu einer Million dar – waren in den Schleier eines undurchdringlichen Geheimnisses gehüllt. Die Zeitungen hatten darüber lang und breit berichtet, die Kriminalpolizei hatte eine fieberhafte Tätigkeit entwickelt, nichts war versäumt worden, um den schlauen Verbrecher, der sich stets vorher aufs Genaueste über die Gewohnheiten seiner Opfer und die Örtlichkeit unterrichtet haben mußte, zu fangen. Die Presse half der Polizei, so gut sie konnte. Selbst deren Leser beteiligten sich an den Nachforschungen. Alles umsonst. –
In ganzen handelte es sich um sechs Diebstähle. Die wertvollste Beute hatte der Dieb - denn man war längst überzeugt, daß es sich nur um eine einzelne Person und zwar wahrscheinlich um einen auf Abwege geratenen Zugehörigen der gebildeten Stände handeln müsse – bei Bekannten der Familie Bark, dem unlängst geadelten Geheimen Kommerzienrat vom Schönholz, gemacht: ein Brillantkollier, das auf eine viertel Million geschätzt wurde. – –
Und nun erzählte uns Heller – unsere erstaunten Gesichter waren nur zu berechtigt! – daß jenes Kollier heute morgen als Wertpaket durch die Post wieder in den Besitz der Frau vom Schönholz gelangt wäre, und daß auch zwei weitere Opfer des geheimnisvollen Diebes auf dieselbe Weise ihr Eigentum zurückerhalten hätten. –
Gunolt hatte uns inzwischen bis vor das Restaurant »Hundekehle« geführt.
»Ich denke, wir setzten uns in den Garten und leisten uns ein Glas Waldmeisterbowle, die letztens ganz vorzüglich war,« sagte er.
Wir nahmen an einem abseits stehenden Tisch Platz, Gunolt bestellte, hielt uns seine Zigarrentasche hin und schnitt sorgfältig die Spitze von einer langen Holländer ab.
Bisher hatte er sich zu Hellers Bericht in keiner Weise geäußert. Er sprach jetzt über Fingernägel. Ich wunderte mich nicht weiter darüber. Als er vorhin bei Barks über Spalierobst mir einen kleinen Vortrag gehalten hatte, war nachher der Mord mit Gas das Ende jener Ausführungen gewesen.
Der Kellner brachte das Bestellte. – Und Gunolt fuhr fort:
»Das Einzige, was wir als Merkmal von den geheimnisvollen Dieb besitzen, ist ein abgesprungener Fingernagel, – abgesprungen beim Aufbrechen des Schmuckkastens der Frau Professor Germattel. Ich sagte vorhin, daß Fingernägel ihre Eigentümlichkeiten haben. Auch dieser abgesprungene. Er ist sehr spröde, spitz zugeschnitten, zeigt, daß der Dieb auf Handpflege Zeit verwendete und daß er die Nägel polierte. Also ein Mensch mit verfeinerten Lebensgewohnheiten wie auch – Franz Orske.«
Heller nickte lächelnd. »An den habe auch ich gleich gedacht,« meinte er bescheiden.
»In dem Koffer wird der Dieb seine Beute verschlossen gehalten haben,« fügte Gunolt hinzu, indem er seine langen Holländer im linken Mundwinkel zu den mehr gemurmelt Worten wippend den Takt schlagen ließ. »Wir müssen den Koffer finden. Er wird irgendwo auf einem Bahnhof in der Handgepäckaufbewahrungsstelle stehen. Anderswo konnte die Schwester ihn nicht unterbringen, denke ich mir.«
Daß Heller eingeweiht waren, sah ich jetzt.
Er sagte nämlich sofort: »Ganz meiner Ansicht. Wer zu einem Vortrag nach der Universität geht, darf nicht mit einem Koffer nach Hause kommen.«
Ich zuckte trotzdem leicht zusammen, denn diese Worte bezogen sich ja auf Beatrix.
Gunolt qualmte dicke Wolken.
»Vieles ist noch unklar bei alledem,« meinte er mit leicht gerunzelter Stirn. Dann