Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
zu ihr flüchten nach Emden –? Soll ich mitkommen dorthin –?«
Mutter – meine Mutter –!
Ein Schluchzen ringt sich aus meiner Kehle hoch. Ich weine.
Ich fühle mich leichter, als die Tränen langsam versiegen.
Da sagt Gunolt: »Werden Sie stark genug sein, Beatrix gegenüberzutreten? –«
Ich bin zum ersten Mal in dem Dienstzimmer eines Kriminalkommissars. Bei unserem Eintritt hat sich unter dem Schreibtisch von einem Bärenfell ein großer Wolfshund erhoben.
»Mein Freund Treu,« stellt Gunolt vor, »dreimal hat er mir das Leben gerettet.«
Treu beschnuppert mich, wedelt, und Gunolt sagt: »Treu weiß die Spreu vom Weizen sehr gut zu unterscheiden.«
Ich verstehe Gunolt. Ich habe kein Verbrecherodeur –.
Er läßt Kaffee bringen.
Der Kaffee ist stark, erfrischt mich. – Gunolt zwingt mir auch eine Zigarette auf.
Wir sprechen über Treu. Gunolt meint:
»Ich bin neugierig, wie er Beatrix empfangen wird.«
Mein Herz jagt –.
Beatrix tritt ein. Ich habe den Kopf nach dem Fenster gewandt. Aber ich höre ihre Röcke rauschen, den leichten Schritt –.
»Bitte, setzen Sie sich dorthin, Fräulein Bark,« sagt Gunolt farblos –.
Ein Stuhl knarrt leise. Treus Pfoten tappen langsam über den Fußboden. Er geht auf Beatrix zu – –.
Ich drehte den Kopf ein wenig, Treus Rute pendelt freundlich hin und her. Eine weiße Hand streichelt seinen Kopf. Er wedelt noch stärker. –
Ich schaue zu Gunolt hinüber. Der schüttelt den Kopf –.
Treu legt sich zu Beatrix Füßen nieder, streckte den Kopf auf die Vorderbeine –.
Dann beginnt Gunolt, – und mein Herz pocht abermals schneller:
»Fräulein Bark, Sie haben gestern Herrn Doktor Dogmoore gegenüber einer Äußerung getan etwa folgenden Inhalts –.« Er wiederholte die eindringliche Warnung: »Wenn volle Wahrheit – Wahnsinn – Kugel –!« –
«Sie wußten also, daß Doktor Dogmoore Ihre Schwester getötet hatte, daß er der »Graue« war –?!« beendet er diesen ersten Angriff.
Ich muß zu ihr hinübersehen – ich muß!
Unsere Blicke begegnen sich –. Beatrix ist leichenblaß. Ihre Augen scheinen sich zu weiten in namenloser Angst –.
»Antworten Sie!« sagt Gunolt hart. »Und Sie, Herr Doktor, tun besser, Fräulein Barks Blicken auszuweichen –.«
Aber ich schaue sie weiter an. Wenn Gunolts Theorie stimmt, muß ich jetzt merken, ob diese Augen auf mich einen rätselhaften Einfluß ausüben.
Beatrix Augen wandern zu Gunolt, dann erwidert sie:
»Ich muß es … Ich habe meinen Schwager damals neben der Tanne trotz der Verkleidung erkannt.«
»Also geben Sie auch zu, daß Sie ihn zu Ihrem Werkzeug gemacht haben durch Hypnose …?«
Ein kurzes Zögern. Dann ein klares:
»Ja, ich gebe es zu!«
»Somit haben Sie also auch Doktor Dogmoore jene Aufzeichnungen niederschreiben lassen, Fräulein Bark, die ich in dem Geheimfach des Koffers fand?« fragt Gunolt.
»Aufzeichnungen? – Ich weiß nichts davon. Kann ich diese Zeilen einmal sehen,« bittet Beatrix plötzlich sehr lebhaft.
Gunolt zuckt die Achseln. »Was soll das?! Sie wissen doch ganz genau, was dieses Tagebuch erzählt.«
»Ich vermute es nur. – Darf ich es vielleicht schnell durchblättern?«
Gunolt reicht dann etwas widerwillig seiner Gegenüber die Blätter.
Beatrix’ Augen fliegen über die Zeilen hin. Sie atmet kurz und hastig …
Endlich hebt sie den Kopf. »Und dies – dies hier halten Sie für ein Phantasieprodukt, meinem Hirn entsprungen, Herr Kommissar?« ruft Beatrix und hebt die Blätter hoch. Gunolts Stirn liegt in Falten.
»So sprechen Sie doch!« drängt Beatrix. »Ich kann ja nicht glauben, daß der berühmte Gunolt so kurzsichtig sein sollte, in diesen Aufzeichnungen kalt berechnete Mache zu sehen …!«
21. Kapitel
Beatrix spricht
»Es ist mache« sagt Gunolt kurz. Es klingt unsicher, zu barsch.
»Ich widerrufe jetzt mein Geständnis,« erklärt Beatrix fest. –
»Dieses Tagebuch enthält die Wahrheit! Und wenn Sie auch daran zweifeln, Herr Kommissar. Über den Wert dieser Aufzeichnungen werden Spezialärzte entscheiden, die wissen, daß in einem Körper zwei Seelen wohnen können, daß es sehr wohl Fälle einer solchen Doppelpersönlichkeit gibt.«
»Oh, das ist auch mir bekannt, Fräulein Bark, aber …«
»Ich will Ihnen alles erklären,« unterbricht Beatrix den Kommissar. »Die Aufzeichnungen Franz Orskes tragen so sehr den Stempel ureigensten Erlebens, daß nur er selbst, also eigentlich Allan, sie verfaßt haben kann. – Ich will nun erklären, wie ich dazu gekommen bin, mich Allans anzunehmen. –
Bereits im Januar dieses Jahres, als Allan noch lediglich gesellschaftlich bei uns verkehrte, merkte ich an einem Teeabend bei uns, daß er plötzlich ohne jeden äußeren Anlaß wie ausgewechselt war. Wir hatten damals eine berühmte Opernsängerin eingeladen, und während eines Vortrags dieses weltbekannten Stars saß Allan neben mir, beugte sich plötzlich zu mir hin und fragte ironisch, sogar höhnisch, was meine Eltern denn für diese »lebende Schallplatte« bezahlt hätten. Ich war über diese Taktlosigkeit so überrascht, daß ich zunächst gar nichts erwiderte. Dann fragte ich: »Sollte das ein Scherz sein, Herr Doktor?!« Worauf ich die Antwort erhielt: »Der Teufel hole alle Doktoren und alle Sängerinnen!« – Recht geräuschvoll verließ Allan gleicht darauf den Salon. Nachher erzählte mir der Diener, daß Herr Doktor Dogmoore heute »recht komisch« gewesen wäre, plötzlich seinen Mantel verlangt und in der Tür noch gerufen hätte: »Verdammt, wo bin ich hier nur hingeraten!« Draußen hätte es geregnet, und trotzdem wäre Herr Dogmoore ohne Schirm in den Park gelaufen. –
Das war das erste Mal. Die Fälle wiederholten sich bald. Ich er-langte die Gewißheit, daß Allans seelische Beschaffenheit nicht normal sei. Über den wahren Umfang dieses krankhaften Zustandes gab mir dann jenes Begeben Aufschluß, das in dem Tagebuch erwähnt ist. Der Augenblick, in dem Allan mir mit einem schrecklichen Lachen erklärte, er sei gar nicht der Dr. Dogmoore, sondern heiße Franz Orske, wohne bei einer gewissen Kremk, manchmal auch anderswo, veranlasste mich dazu, ihn fernerhin wie einen Kranken zu beobachten. – Den Namen Kremk hatte ich mir gut gemerkt. Es war nicht schwer, mit Hilfe des Adressbuches und des Namens Franz Orske die richtige Kremk durch unseren alten, verschwiegenen Chauffeur ermitteln zu lassen. Also schon Mitte Mai wußte ich, wo Allans zweite Persönlichkeit ihren Schlupfwinkel hatte. Wenige Tage später wurde während eines Gartenfestes bei Professor Ruhla aus dessen Arbeitszimmer eine alte indische Fürstenkrone, bestehend aus einem Goldreif mit Brillanten, gestohlen. Auch damals ging spät abends ein heftiger Regenguß nieder. Auch damals befand sich Allan unter den Gästen. – Kurz – ich war bald überzeugt, daß Allans schlechteres Ich der schlaue Verbrecher war.«
Beatrix schwieg, schien jetzt doch etwas erschöpft zu sein.
Gunolt holte ihr aus einem Likörschränkchen ein Glas Wein. Sie nahm es dankend an und begann nach einer Pause aufs neue.
»Ich muß nun auf