Walther Kabel-Krimis: Ãœber 100 Kriminalromane & Detektivgeschichten in einem Band. Walther KabelЧитать онлайн книгу.
führenden Tür ein anscheinend mit einer feinen Säge ausgeschnittenes Loch, groß genug, um einen schlanken Körper durchzulassen. Da habe er dann sofort jemand nach der Polizeiwache geschickt und Meldung von dem Vorfall erstatten lassen.
Der so sehr geschädigte Uhrmacher brachte das nur mit Mühe heraus. Der Schreck steckte ihm noch in allen Gliedern. Und den nervösen Kommissar machte er jetzt mit seinem Jammern und Stöhnen über den Verlust auch nicht ruhiger. Der einzige, der sich der Situation gewachsen zeigte, war der dicke Fischer. Seelenruhig schaute er sich in dem Laden um, besichtigte die Tür, in die die Diebe das ausgeschnittene Stück wieder kunstgerecht und unauffällig eingefügt hatten und überließ es dem Kommissar, den Geschäftsinhaber nach Einzelheiten auszufragen. Endlich ließ Kern von jenem ab und wandte sich an seinen Untergebenen.
»Nun, Fischer, was meinen Sie dazu?« fragte er, mit den zusammengekniffenen Augen blinzelnd.
»Saubere Arbeit, Herr Kommissar, sehr saubere Arbeit,« meinte dieser anerkennend. »Das sind zweifellos alte Praktiker gewesen. Und diese eisenbeschlagene Tür,« – dabei wies Fischer auf das ausgeschnittenes Stück, – »hat eine feine Stahlsäge kennen gelernt … Ja, gute Arbeit … hm, hm …«
Nun begannen die beiden Beamten ihre Meinung über den Fall auszutauschen. Und, was nicht häufig passierte, sie waren sich bis ins kleinste darüber einig, wie dieser Einbruch verübt worden war. Allerdings ließ die Örtlichkeit kaum eine andere Art und Weise zu. –
Der Dieb hatte zunächst mit einem Nachschlüssel die Haustür geöffnet, war dann mit einem feinen Bohrer der vom Flur in den Laden führenden Tür zu Leibe gegangen, hatte dann eine dünne Säge angewandt, damit das Loch ausgeschnitten und war so in das Innere gelangt, hatte hier die wertvollen Stücke sicher in aller Ruhe zusammengepackt und dann auf demselben Weg das Geschäft verlassen, nachdem er noch das ausgeschnittene Stück wieder fein säuberlich in das Loch eingefügt hatte.
»Eine kindisch einfache Geschichte,« meinte Fischer kopfschüttelnd. »Und doch,« fügte er nachdenklich hinzu, »so Verschiedenes fällt dabei doch auf, Herr Kommissar, nicht wahr?«
Kern hatte soeben mit Interesse nochmals den Rand der herausgeschnittenen Türfüllung betrachtet.
»Feines Speiseöl haben die Kerls gebraucht, um das Arbeiten der Säge geräuschlos zu machen,« sagte er, indem er die runde Holzscheibe an die Nase führte. »Man muß nachforschen, ob neuerdings irgendwo größere Mengen davon verkauft worden sind.« Auf Fischers Worte schien der Kommissar gar nicht geachtet zu haben.
Der Kriminalbeamte sagte zwar nichts, dachte sich aber seinen Teil. Sein Vorgesetzter schien sich auch bei dieser Untersuchung wieder ängstlich an sein System halten zu wollen. Und dieses System bestand darin, daß jener nur die Spuren verfolgte, die sich ihm augenfällig darboten. Auf Kombinationen ließ er sich grundsätzlich nicht ein.
Kern starrte noch immer gedankenvoll die kreisrunde Holzscheibe an, die er zwischen seinen Fingern hin und her drehte.
»Sagen Sie, Herr Müller,« begann er dann plötzlich, » als Sie heute nacht nach Hause kamen, durch welche Tür haben Sie da den Laden betreten?«
»Ich gehe stets durch den Laden in mein dahinter gelegenes Wohn- und Schlafzimmer und benutze stets die Ladentür von der Straße aus.«
»So … Und als Sie heimkamen, da ist Ihnen nichts, gar nichts aufgefallen?«
»Nein; ich zündete mir sogar hier im Geschäftsraum einen Fünfminutenbrenner an, und ging dann in das Hinterzimmer. Na – und sicherlich wurde ja der Einbruch doch verübt, bevor ich heimkehrte, und … was sollte ich hier sehen? Die Lumpen haben ja kaum Spuren hinterlassen. Alles liegt hier in bester Ordnung, nur – es fehlt das Beste.«
In dem gutmütigen Fischer stieg bei diesen ingrimmig hervorgestoßenen Worten etwas wie Mitleid auf. Und diesem Gefühlen nachgebend, meinte er tröstend: »Noch ist nicht aller Tage Abend – vielleicht haben wir die … Lumpen bald.«
»Ja … vielleicht!« brummte Kern vor sich hin und dachte dabei an den Inspektorposten. Der dicke Fischer war bescheidener. Er sah sich schon im Besitz einer goldenen Uhr, die Müller aus Dankbarkeit ihm schenken würde, wenn … wenn … Aber das hatte noch gute Wege …
4. Kapitel
Heinrich Seiler hatte schlechte Tage. Der letzte Sonnabendrausch war seinem Vater nicht gut bekommen, denn der durch Alkohol verwüstete Körper ertrug die Folgen dieser sogenannten Festtage nicht mehr. Ein schweres Magenleiden war plötzlich zum Ausbruch gekommen und der hinzugerufene Krankenkassenarzt hatte nach kurzer Untersuchung bedenklich den Kopf geschüttelt.
Nun hieß es, da ein Teil des Verdienstes des Vaters fortfiel, sich durchschlagen … und wie durchschlagen. Zwar hatte Frau Seiler schon immer für den Vormittag eine Aufwartestelle, aber die kärgliche Bezahlung dafür half auch nicht viel. So wollte sie es denn jetzt mit Wäschewaschengehen versuchen, während Heinrich, den sie fürs erste glücklich vom Schulbesuch frei bekommen hatte, für den Kranken sorgen sollte.
So mußte Heinrich Seiler denn fast den ganzen Tag in der engen Stube sitzen und dem Vater, der ein sehr ungeduldiger Patient war, mit Handreichungen zur Seite stehen. Und draußen schien die Sonne so verlockend und auf den nahen Feldern jubilierten die Lerchen. Oft sah er auch die beiden Albrechts an dem Fenster vorbeihuschen. Aber gesprochen hatte er sie seit jener Sonnabendnacht nicht mehr. Wenn er abends, nachdem die Mutter heimgekehrt war, sich noch auf den Straßen umhertrieb oder auf dem Hof Holz zerkleinerte, bekam er seine Freunde nie zu Gesicht.
Wieder war es Sonnabend geworden. Heinrich Seiler saß am Fenster und las eine Zeitung, in der die Mutter ihr Frühstücksbrot, das sie täglich als Aufwartefrau bekam, mit nach Hause gebracht hatte. Vor acht Tagen war’s gewesen, da wollte er den Albrechts hinter ihre Schliche kommen, hatte eine Nacht geopfert und draußen in den Ginsterbergen nach ihnen gesucht, – vergeblich gesucht, denn sie waren damals wie in den Erdboden versunken, nicht mehr aufzufinden gewesen. Damals hatte er noch stundenlang die Heide kreuz und quer durchschlichen. Doch wohin die beiden Brüder so plötzlich geraten waren, konnte er nicht herausbringen. Noch einmal hatte er dann den Versuch gemacht, draußen in der Heide irgendwelche Spuren zu finden, irgend einen geheimen Pfad, der vom Rande der Schlucht in die Tiefe führte. Das war gleich am folgenden Sonntagnachmittag gewesen, als seine Mutter gerade den Arzt erwartete. Wieder hatte Heinrich Seiler dann mit bewundernswerter Geduld das Gelände durchstöbert. Er sagte sich mit Recht, daß die beiden Albrechts irgend einen Weg kennen mußten, um den steil abfallenden Hang hinunterzukommen. Denn unmittelbar vor der Schlucht waren sie ihm in jener Sonnabendnacht so plötzlich aus den Augen gekommen und an ein Hinunterrutschen war nicht zu denken. Dazu war die Schlucht zu steil. –
Heinrich überflog die Spalten der Zeitung, bis sein Auge plötzlich auf einer Stelle wie gebannt haften blieb. Da war der Einbruchsdiebstahl bei dem Uhrmacher Müller mit allen Einzelheiten geschildert, da stand, daß für gut zweitausend Mark Goldsachen entwendet worden waren, und daß leider bisher von den Tätern jede Spur fehle. So etwas las er nun wie jeder dreizehnjährige Junge nur zu gern. Müller – ja, das Geschäft kannte er ganz genau. Da war auch einmal der ältere Albrecht als Lehrling tätig gewesen – nicht lange, da ihm das Stillsitzen nicht behagte. –
Und dann wanderten die Gedanken des Jungen weiter … zweitausend Mark … So viel, ach, so viel Geld! Heinrich Seiler hielt das für eine Riesensumme. Und das hatten die Diebe nun so in einer Nacht … verdient … in einer Nacht! Etwas wie Hochachtung für die Täter überkam ihn. Das waren doch noch Kerls, mußten die Mut haben, ja … Mut! Denn daß so ein Einbrecher, falls er gefaßt wurde, auf lange Jahre ins Gefängnis wanderte, wußte er auch ganz genau. –
Heinrich Seilers Kinderphantasie spann jetzt Pläne. Das Gefühl für Recht oder Unrecht hatte er längst verloren. Er, der nichts als Not und Jammer, schlechtes Essen, Schläge und die Verworfenheit seines Vaters kannte, er dachte seit langem nur an das Eine: Sich Geld verschaffen, irgendwie – einmal ein