Dr. Norden Staffel 6 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
und uneigennützig. Du kannst die Schüssel ruhig hier an meinen Platz stellen«, erklärte sie mit all dem Charme, zu dem sie fähig war, in Lennis Richtung.
Doch sie hatte die Rechnung ohne den Wirt gemacht. Auch die übrige Familie hatte eingesehen, dass es an diesem Abend keine Lösung mehr für das Problem gab. So ertönte lautstarker Protest, und schließlich landete die Schüssel dort, wo sie hingehörte: In der Mitte des Tisches, um den sich die Familie versammelt hatte, um die schönsten Stunden des Tages gemeinsam zu zelebrieren und damit das Glück zu feiern, dass sie einander hatten.
*
Von diesem Glück konnte Marla noch nicht einmal mehr träumen. Nur sie allein wusste, warum sie ihre Mutter verstoßen hatte;,warum Pascal auf keinen Fall die Wahrheit erfahren durfte. Genau wie zuvor ihre Mitarbeiterinnen hatte Marla ihren zukünftige Mann mit der üblichen Geschichte abgespeist. Damit hatte sich der Galerist zufrieden gegeben und seither nicht mehr nachgefragt.
Dass ihre Mutter Heike ausgerechnet so kurz vor der Hochzeit auftauchen musste, war ein großes Pech und raubte Marla ihren Seelenfrieden. Trotzdem machte sie gute Miene zum bösen Spiel, als sie an diesem Abend am Tisch des Restaurants saß, in das Pascal sie eingeladen hatte.
»Wenn das Essen bei unserer Hochzeit nur halb so gut ist, wird es ein voller Erfolg!«, seufzte er, als er sich satt und zufrieden zurücklehnte. »Der Fisch in Salzkruste war ein Gedicht.«
»Meine Nudeln waren auch ausgezeichnet«, lobte Marla ihr Gericht und griff nach ihrem Glas Wasser. »Aber du kannst sicher sein, dass Tatjana alle Register ihrer Kochkunst ziehen wird.«
»Sie ist wohl ziemlich ehrgeizig?«
»Ehrgeiz ist ihr zweiter Vorname«, lächelte Marla und dachte voller Dankbarkeit an ihre Chefin, die ihr in der schwersten Zeit ihres Lebens beigestanden und ihr sogar völlig uneigennützig ein Dach über dem Kopf gewährt hatte. »Dabei ist sie überhaupt nicht verbissen, sondern im Gegenteil der lustigste Mensch, den ich kenne.«
»Und das, obwohl sie so ein schweres Schicksal hat«, teilte Pascal ihre Bewunderung und dankte gleich darauf dem Kellner, der die Teller abräumte. »Möchtest du noch ein Dessert?«
Marla schüttelte den Kopf.
»Ein Bissen mehr und ich platze«, warnte sie.
»Das darf ich auf keinen Fall riskieren«, lächelte Pascal. Er bestellte zwei Kaffee und zog ein paar Blätter aus seinem Sakko, die er auf dem Tisch ausbreitete. »Ich hab mich heute Nachmittag mal an einer Sitzordnung versucht.«
»Aber es haben doch noch gar nicht alle Gäste geantwortet«, gab Marla zu bedenken und beugte sich über den Plan vom Café. Statt einer langen Tafel hatte Tatjana vorgeschlagen, die Tische so zu lassen, wie sie waren. Das würde es den Gästen leichter machen, sich nach dem Essen ganz nach Geschmack umzusetzen und miteinander ins Gespräch zu kommen. »Bisher haben wir ungefähr zwanzig Zusagen.«
»Und wir erwarten fünfundzwanzig Gäste!«, lachte Pascal seine Braut aus und beugte sich über den Sitzplan. »Hast du was dagegen, wenn meine Eltern bei uns am Tisch sitzen?«, fragte er sie um ihre Meinung.
Unwillkürlich musste Marla wieder an ihre Mutter denken, und es fiel ihr schwer, das Lächeln auf ihrem Gesicht festzuhalten.
»Natürlich nicht. Das gehört sich doch so.«
»Schon.« Pascal schickte ihr einen Blick, der voller Mitgefühl war, und legte seine Hand auf die ihre. »Aber ich möchte nicht, dass es dich traurig macht, dass deine Eltern nicht an deinem großen Tag dabei sein können.«
»Das ist meine eigene Entscheidung.« Marlas Ton war schärfer als beabsichtigt. Als sie Pascals Blick bemerkte, riss sie sich am Riemen. »Meine Eltern haben nicht zu mir gehalten und mir durch ihre Sturheit jede Menge Probleme beschert«, rechtfertigte sie sich mit der üblichen Halbwahrheit.
»Die Geschichte mit Paul, ich weiß«, murmelte Pascal. »Zum Glück bist du an Tatjana und Danny geraten. Dafür werde ich den beiden ewig dankbar sein.« Ohne Marla aus den Augen zu lassen, zog er ihre Hand an seine Lippen und küsste sie. Eine Idee war ihm gekommen, und er zögerte nur kurz, bevor er sie aussprach. »Sag mal, wäre unsere Hochzeit nicht eine tolle Gelegenheit, dich mit deinen Eltern zu versöhnen?«
Marla entriss ihm ihre Hand so abrupt, dass sie dabei das Wasserglas umstieß. Doch sie achtete gar nicht auf das Malheur.
»Spreche ich eigentlich chinesisch? Ich will meine Eltern nie wiedersehen. Und damit basta!«, rief sie so laut, dass sich die übrigen Gäste im Restaurant nach dem Grund für den Lärm umsahen. Erschrocken über die Vorwürfe in den Blicken sprang Marla auf und stürzte aus dem Restaurant.
Pascal war so schockiert über die Reaktion seiner Braut, dass er seine Umgebung gar nicht beachtete. Seine einzige Sorge galt Marla, und so folgte er ihr hinaus auf die Straße. Sichtlich erregt wanderte sie auf und ab, die Strickjacke eng um sich geschlungen.
Er trat zu ihr und legte den Arm um ihre Schulter. Marla wehrte sich nicht.
»Prinzessin, beruhig dich doch!«, bat er sie. »Es tut mir so leid. Ich wollte dir nicht wehtun.« Im Licht der Straßenlaterne sah er, dass ihre Augen feucht schimmerten. »Ganz im Gegenteil.«
»Nein, nein, mir tut es leid«, nahm sie alle Schuld auf sich. »Ich führe mich auf wie ein Kindergartenkind. Das liegt daran, dass ich so aufgeregt bin. Immerhin hab ich noch nie geheiratet.« Sie sah zu ihm auf, ein Flehen in den immer noch feuchten Augen.
Gerührt legte Pascal die Arme um sie.
»Was soll ich denn da sagen?«, lachte er leise und beugte sich über sie, um sie mit einem Kuss davon zu überzeugen, dass sie im selben Boot saßen und die Wogen gemeinsam durchschiffen würden, ohne dass einem von ihnen auch nur ein Härchen gekrümmt wurde.
*
»Oh, Dan, was ist los?«, erkundigt sich Fee Norden und tastete mit der Hand nach dem Wecker, der auf dem Nachttisch stand. Mit einem Auge schielte sie auf die Zahlen und stellte ihn dann wieder zurück. Dabei stöhnte sie. »Es ist halb fünf.«
»Tut mir leid, Feelein.« Daniel beugte sich über seine Frau und küsste ihre Wange, die nach Schlaf duftete. »Aber ich kann nicht mehr schlafen.«
»Lass mich raten. Frau Moebius ist schuld?«, murmelte Felicitas, ohne die Augen zu öffnen.
»Du kannst hellsehen.« Es war Daniels Stimme anzuhören, dass er lächelte.
»Das nicht. Aber ich bin eine Frau und weiß, wenn mein Mann an eine andere denkt.« Trotz der frühen Stunde konnte sie schon scherzen, und wenn möglich liebte Daniel sie in diesem Moment noch ein bisschen mehr.
»Kannst du wieder einschlafen, wenn ich dir sage, dass es keine Konkurrenz für dich gibt?« Während draußen der Morgen graute, spielte er mit einer Strähne ihres Weizenhaares.
»Sobald ich wach bin, werde ich darüber nachdenken«, versprach Felicitas, schickte ihm einen Luftkuss und drehte ihm den Rücken zu, um es sich auf der anderen Seite gemütlich zu machen.
Dr. Norden hingegen zog die Konsequenzen aus seiner Schlaflosigkeit und stand auf. Er wollte die Zeit vor Beginn der Sprechstunde dazu nutzen, um in die Klinik zu fahren und sich nach Heike Moebius’ Gesundheitszustand zu erkundigen.
»Nanu, hat dich deine Frau rausgeworfen oder warum bist du schon hier?«, erkundigte sich Jenny Behnisch, als sie ihrem langjährigen Freund und Kollegen um diese Uhrzeit auf dem Flur begegnete.
»Sollte ich eine passende Gegenfrage stellen?«, konterte Daniel und schmunzelte.
»Eins zu null für dich. So schlagfertig bin ich heute noch nicht«, räumte Jenny ihre Niederlage ein. »Ich habe die Nacht heute in der Klinik verbracht. Roman liegt wahrscheinlich noch im Bett und träumt von seiner ersten Tasse Kaffee. Apropos Kaffee, darf ich dich einladen? So weit bin ich nämlich heute noch nicht gekommen.«
»Später gern. Aber jetzt möchte ich schnell nach einer Patientin sehen, die ich gestern nach einem Autounfall eingeliefert habe.«