Im Sattel durch Zentralasien: 6000 Kilometer in 176 Tagen. Erich von SalzmannЧитать онлайн книгу.
hatte, marschierten wir ziemlich pünktlich 7½ Uhr ab, zuerst durch die Vorstadt Hsuen Hwa, dann entlang der Westfront auf Kalgan zu. Die Gegend, die hügelig ist, wurde immer mehr und mehr steppenähnlich. Sie wirkte in ihrer Öde direkt auf die Nerven, und da ich sowieso Kopfschmerzen hatte, befand ich mich bald in einer wenig erfreulichen Stimmung. Dazu wollte der neue Schimmel durchaus in jedes der wenigen am Wege liegenden Gehöfte hinein. Er schien die Gegend ganz genau zu kennen und mußte wohl mit seinem Vorbesitzer schon öfter hier gewesen sein. Die Gehöfte selbst sind ärmlich, die Wege tief ausgefahren. Einmal lag links des Weges eine Mission; man sah eine große Kirche fast vollendet, rings um diese die kläglichsten chinesischen Lehmhütten. Die Missionare täten in diesem Punkte meiner Meinung nach besser, erst einmal den Bewohnern steinerne Häuser zu erbauen, ehe sie eine derartig prunkende Kirche in solche Einöde setzen.
Es war auch heute glühend heiß und die Ponies recht müde. Allmählich näherten sich die Bergketten, die uns bis jetzt in ziemlicher Entfernung rechts und links begleitet hatten; am Horizonte schienen sie zusammenzufließen, und auf der Kette links konnte man die große Mauer und ihre Warttürme ganz gut erkennen. Allmählich wurde, wie eine Oase in grünen Bäumen gelegen, ein größerer Ort sichtbar. Gott sei Dank, es war Kalgan oder richtiger Tschang-kia-kan, denn Kalgan nennt es nur der Europäer. Der Verkehr auf der Straße wurde immer lebhafter, gegen 1 Uhr waren wir an der Vorstadt angelangt und passierten bald die mächtige, mit Steinlöwen und Gedächtnistafeln gezierte Brücke über den fast wasserleeren Hun-Ho; sein Wasser ist abgeleitet und zur Bewässerung der Felder und Gärten in höchst geschickter Weise ausgenutzt.
Ich wußte, daß in Kalgan eine Art deutsches Hotel existierte und fragte daher sofort danach. Es dauerte eine Zeit lang, bis endlich ein Chimbo — Polizist — der nach Shanghaier Art uniformiert war, die Führung nach dem ihm bekannten Hause übernahm. Wir passierten die stark belebte Hauptstraße und ich entdeckte mit einem Male links ein Holzschild mit der Aufschrift "Schmelzers Hotel" und einer nach einer Nebenstraße weisenden Hand. Unser führender Chimbo steuerte auch schon, einige nicht schnell genug Platz machende Chinesen rücksichtslos prügelnd, in die bezeichnete Nebenstraße, und nach einiger Zeit standen wir vor einem Torbogen, der oben die angenehm berührende Inschrift "Deutsches Hotel" trug. Der Führer wurde belohnt und entlassen, wir ritten in den viereckigen, von sauberen chinesischen Häusern umgebenen Hof, um sofort von einigen kläffenden deutschen Hühnerhunden begrüßt zu werden. An den ersten Hof reihte sich ein zweiter, an dem der Stall lag. Wir packten und sattelten ab, brachten die Tiere unter, man wies mir ein tadellos eingerichtetes Zimmer mit europäischem Bette an, kurzum, es war mir alles so unerwartet, daß ich wirklich starr war. Es wäre sogar ideal zu nennen gewesen, wenn nicht im Hintergrunde eine Preisliste mit geradezu horrenden Preisen gewinkt hätte. Ich wurde in nicht ganz 24 Stunden, ohne besondere Sprünge zu machen, 30 Dollar (ungefähr 60 Mark) los, was ich für etwas viel halte, trotzdem man selbstredend die Schwierigkeiten der Einrichtung eines solchen Etablissements auch in Rücksicht ziehen muß. Der deutsche Besitzer war übrigens nicht anwesend, das Geschäft führte ein früherer Tientsiner Boy, der Pidgin-Englisch sprach und sonst ein ganz freundlicher Mensch war.
Ich bekam schnell ein Tiffin serviert und versuchte dann, meine abscheulichen Kopfschmerzen im europäischen Bette zu vergessen, was mir leider nicht gelang. Daher stand ich wieder auf und entdeckte hinten in einem weiten Hofe mit anschließenden Ställen einen chinesischen alten Pferdehändler, der bereits mit meinem Mafu Freundschaft geschlossen hatte. Letzterer hatte dem höchst gerissenen Kunden von meinen Erfolgen im Sattel auf der Rennbahn erzählt, so daß mich der Chinese wie einen alten Bekannten begrüßte. Ich hatte nun Gelegenheit, seine Griffins — siehe Kap. II — zu bewundern. Nach seinen Erzählungen schien er den Haupthandel in Rennponies, für die Kalgan eine Art Zentralverkaufsstelle bildet, in Händen zu haben. Er kannte nicht nur alle größeren Rennleute in Shanghai und Tientsin, sondern war auch genau über die Leistungen einzelner an den dortigen Plätzen berühmten Ponies orientiert, so z. B. über den von mir im vergangenen Frühjahr mehrfach zum Siege gesteuerten "Totila". Als ich ihm dann erzählte, daß ich der Reiter von Totila gewesen wäre, war er ganz Feuer und Flamme und zog mir sofort seine besten Ponies zur Begutachtung aus dem Stalle, Tiere, die er mir vorher gar nicht gezeigt hatte; ich muß allerdings gestehen, daß ich soviel gutes Material auf einem Platze zu gleicher Zeit noch nicht zusammen gesehen hatte. Die Preise schwankten zwischen 60 und 500 Taels; letztere Summe forderte er für einen bildschönen Schimmel mit schwarzen Äpfeln, der in der Tat die Points eines Flachrenntieres in der Vollendung aufwies. Ob er den Preis dafür erzielen wird, ist eine andere Sache; denn im allgemeinen muß er als übertrieben hoch bezeichnet werden. Diese zum Verkauf stehenden Ponies waren übrigens alle in regelrechter Pflege und wurden sogar, wie ich beobachtete, mit Kardätsche und Striegel, die der Chinese sonst nicht kennt, geputzt. Die Tiere sahen auch sämtlich gut aus. Wenn man aber nicht gerade für diesen Sport sehr viel Geld übrig hat, soll man lieber die Finger davon lassen; denn wie jeder Rennsport, ist auch der Ponyrennsport nicht gerade eine gewinnbringende Beschäftigung. Schlägt z. B. der für 500 Taels gekaufte Pony nicht ein, so kann man ihn beruhigt für 50 bis 60 Taels veräußern; denn mehr gibt dann kein Mensch dafür.
Am Abend gegen 7 bekam ich mein Diner und zwar in der in den ostasiatischen Hotels üblichen englischen Form ganz gut angerichtet, ich konnte ihm aber leider keine große Ehre antun, da mir jeder Appetit fehlte. Mein neuer chinesischer Pferdefreund hatte sich auch eingefunden, so daß sich die Unterhaltung nur um Ponies etc. drehte; geführt wurde sie in einem merkwürdigen Kauderwelsch von Englisch und Chinesisch, und wenn es manchmal durchaus nicht gehen wollte, mußte der Pidgin-Englisch sprechende chinesische Manager, der übrigens zu gleicher Zeit Koch und Boy war, aushelfen. Gegen acht kam ein Bote vom Präfekten, um sich nach meinen ferneren Absichten zu erkundigen. Er forderte sich zugleich meinen Paß, der, vom Taotai von Tientsin ausgestellt, ihm nicht zu genügen schien; er hätte gern einen solchen vom Wei-wu-pu in Peking gesehen, den ich leider nicht hatte. Der Bote, übrigens selbst mit Knopf und Pfauenfeder, also im Mandarinenanzug, brachte mir, als Zeichen der Höflichkeit, eine Visitenkarte des Präfekten, die ich mit der meinigen, der chinesischen natürlich, erwiderte. Zugleich gab ich ihm Aufschluß über meine weiteren Reisepläne, und zwar der Wahrheit gemäß. Nach einiger Zeit kam er noch einmal, um mir Kavalleriebegleitung anzubieten, die ich jedoch dankend ablehnte, es hat sich auch am nächsten Tage kein Kavallerist blicken lassen. Ich versuchte es dann noch mit einem kräftigen Punsch als Schlafmittel und zog mich bald zurück, um, Dank letzterem, ganz vorzüglich zu schlafen.
Meine chinesische Visitenkarte
1. Oktober 1902. Den Vormittag benutzte ich, um mir Kalgan selbst etwas näher anzusehen. Kalgan, eine verhältnismäßig große Stadt, deren Einwohnerzahl sich wie die aller bedeutenderen chinesischen Städte außerordentlich schwer schätzen läßt, ist die Zentrale für Pelzhandel und für Pelztransithandel nach Rußland. In seinem Äußern weicht der Ort wohl kaum irgendwie von dem Aussehen anderer chinesischer Städte ab. Wie alles in China konservativ streng durchgeführt ist, so auch der Baustil. Und sähe man nicht hier in den Straßen die vielen in Felle gekleideten Mongolen, so könnte man sich ebenso gut im Süden Chilis oder Schansis zu befinden glauben. Kalgan hat eine innere, von hohen Mauern umgebene Stadt, und um diese herum eine äußere Stadt. Man muß nun nicht glauben, daß der Haupthandel und Verkehr sich im Stadtinnern abspielt; hier ist es gerade die äußere, und zwar hauptsächlich die südliche und westliche Vorstadt, in der die Hauptverkehrsstraßen mit ihrem höchst lebhaften Treiben liegen. Mir kam es vor, als ob im Innern des Mauervierecks der wohlhabende Patrizier säße; hier herrschte Ruhe und man sah nur große, schöne, ganz massiv aufgeführte Bauten. In dem Teil, wo der Deutsche Schmelzer sich Grund und Boden erworben und seine Hotelbauten aufgeführt hat, wird in einigen Jahren die Bahn Peking-Kalgan ihren wohl auch nur vorläufigen Endpunkt finden, denn wenn sie erst einmal gebaut sein wird, wird es auch nicht mehr allzulange dauern, bis ihre Fortsetzung durch die Wüste Gobi Anschluß an die transsibirische Bahn findet.
Ich ging vom Hotel, das an der Westfront liegt, durch die Hauptverkehrsstraße an der Südfront. Hier herrschte ein sehr interessantes Treiben. Auf offenem, tagaus, tagein fortbestehendem Markte, der sich auf beiden Seiten der Fahrstraße