Dr. Norden Jubiläumsbox 5 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
erklärte sie innig und hauchte einen Kuss in den Hörer. Nach ein paar weiteren Sätzen beendeten sie das Telefonat.
Anneka hatte noch nicht richtig aufgelegt, als ihr auch schon der Grund einfiel, warum sie sich nicht hatte freuen können. Leons genialer Plan hatte einen Haken, an den er wieder einmal nicht gedacht hatte, weil sein Leben so weit entfernt von Annekas stattfand.
»Die Schule!«, fiel es ihr wie Schuppen von den Augen. »Ich kann ja gar nicht mit, weil ich in die Schule gehen muss.« Doch das war es nicht allein, und den Rest des Tages versank Anneka in nachdenkliches Schweigen.
*
»Aufwachen! Oder willst du den ganzen Tag in den Federn verbringen?« Obwohl es noch stockdunkel im Schlafzimmer war, klang Tatjanas aufgekratzte Stimme an Dannys Ohr.
Inzwischen kannte der junge Arzt das Temperament seiner Freundin und wusste, dass jede Gegenwehr zwecklos war. Trotzdem versuchte er, ein bisschen Galgenfrist herauszuschlagen, indem er den Kopf unter das Kissen steckte.
»Ich bin noch so müde«, klang seine Stimme dumpf darunter hervor.
»Das haben wir gleich«, beschloss Tatjana, zu Schritt zwei ihres Weckprogramms überzugehen, und zog ihm kurzerhand die Decke weg.
Die plötzliche Kälte raubte Danny den Atem, und sein Kopf tauchte unter dem Kopfkissen auf. Vergeblich versuchte er, nach dem Deckenzipfel zu angeln, und zog schließlich die Beine an den Körper, um sich gegen die Kälte zu schützen.
»Wenn ich gewusst hätte, was für ein kaltherziges Weib du bist …«, wehrte er sich immer noch im Halbschlaf. »Es ist mitten in der Nacht. Verschwinde, du Temperamentsbündel. Wie konnte ich mich nur in eine Frau verlieben, der schon um diese Uhrzeit solche Gemeinheiten einfallen? Ich muss unzurechnungsfähig gewesen sein.«
Tatjana lachte belustigt auf.
»Mein lieber unzurechnungsfähiger Onkel Doktor, es ist gleich sieben Uhr, und wenn ich mich recht erinnere, musst du um acht in der Praxis sein. Aber keine Sorge, ich habe an die Wundermedizin gedacht, die dich wieder zum Leben erweckt.«
Sie lief aus dem Schlafzimmer und kehrte innerhalb einer Minute mit einer frischen, duftenden Tasse Kaffee zurück, die sie ihm unter die Nase hielt. Ihre List gelang, und Danny hob schnuppernd den Kopf.
»Im nächsten Leben werde ich ein Bär und halte Winterschlaf.« Er rappelte sich hoch und setzte sich auf den Bettrand. Dankbar griff er nach der Tasse und nippte daran.
Tatjana setzte sich neben ihn und sah ihm dabei zu. Sie war längst fertig mit dem Frühstück und im Begriff, in die Bäckerei Bärwald aufzubrechen. Es gab nur ein klitzekleines Problem dabei, das sie in diesem Zusammenhang lösen musste. Doch dabei wollte sie strategisch vorgehen.
»Das ist aber schade«, lächelte sie listig. »Wenn du in Winterschlaf gehst, verpasst du ein halbes Jahr lang all die leckeren Torten und Kuchen, die ich zu backen gedenke. Zöpfe mit knackigen Nüssen, Schokoladenbrot mit zartschmelzendem Kern, Schnecken mit saftigen Rosinen, luftige Croissants gefüllt mit hausgemachter Marmelade«, zählte sie eine Köstlichkeit nach der anderen auf, dass Danny das Wasser im Mund zusammenlief. Sein Magen knurrte laut und vernehmlich.
»Also gut, überzeugt. Ich möchte niemand anderer als Danny Norden sein, in diesem, dem nächsten und meinetwegen auch übernächstem Leben. Und wenn ich ab und zu ein paar Krumen von deinen Leckereien abbekomme, halte ich auch deine Gemeinheiten aus.«
Nachdenklich wiegte Tatjana den Kopf.
»Also gut, ich will mal Milde walten lassen«, beschloss sie dann und legte schelmisch den Kopf schief. »Aber nur, wenn du mich heute früh in die Bäckerei fährst. Draußen ist es so ekelhaft, da würde man keinen Hund vor die Tür jagen.«
Langsam ging Danny ein Licht auf.
»Ach, daher weht der Wind«, seufzte er und drehte sich zum Fenster um. Inzwischen war es heller geworden, und er sah, wie ein böiger Wind die Schneeflocken vor sich hertrieb.
»Im wahrsten Sinne des Wortes«, bestätigte Tatjana und folgte seinem Blick. »Mit der geplanten Thailandreise machen es deine Eltern ganz richtig«, erinnerte sie sich wehmütig an warme Temperaturen und Sonnenschein.
»Na ja, mal abgesehen davon, dass ich in Dads Abwesenheit alle Hände voll zu tun haben werde, ist das letzte Wort in dieser Angelegenheit ja noch gar nicht gesprochen«, erinnerte er Tatjana. »Mum und Dad wollen die Planung erst in Angriff nehmen, wenn ihr Freund Bernhard auf dem Weg der Besserung ist.«
»Verständlich. Wie geht es ihm denn?«
Während Danny seine Kaffeetasse leerte, zuckte er ratlos mit den Schultern.
»Die Ärzte in der Klinik halten ihn immer noch im künstlichen Koma.«
»Ist das denn normal bei so einer Hirnblutung?«, erkundigte sich Tatjana interessiert.
»Im Grunde genommen schon. Es handelt sich um eine vorbeugende Maßnahme, um Komplikationen wie Nachblutungen oder Schwellungen zu vermeiden. Die können schon mal auftreten.«
»Aber solange er nicht wach ist, weiß man auch nicht, ob irgendwelche Folgeschäden zu befürchten sind, oder? Das stelle ich mir schrecklich vor. Gerade für die Angehörigen.« Selbst durch einen schweren Unfall gehandicapt, hatte Tatjana größtes Mitgefühl mit dem Verletzten und seiner Familie. Aber auch mit Daniel und Fee Norden, die sich einen Urlaub redlich verdient hatten, die Planungen aus Rücksichtnahme aber zunächst auf Eis gelegt hatten.
»Das stimmt allerdings«, räumte Danny ein. Gerührt legte er den Arm um Tatjanas schmale Schultern und zog sie an sich. Er ahnte, welche Gedanken sie bewegten, und wieder einmal war sein Herz voller Liebe für diese bemerkenswerte Frau, die ihre Sehbehinderung mit bewundernswerter Haltung trug. »Aber wir wollen ja nicht immer vom Schlimmsten ausgehen«, tröstete er sie.
Tatjana nickte und besann sich noch einen Moment. Dann sprang sie plötzlich von der Bettkante auf. Ihre dunkelblauen, großen Augen funkelten schon wieder temperamentvoll, als sie Danny ungeduldig an den Händen packte und hochzog. Es wurde höchste Zeit, die Trauerstimmung zu vertreiben.
»Und weißt du, was das Zweitschlimmste wäre?«, fragte sie ihn mit plötzlicher Ungeduld.
»Was denn?«, hakte er, wieder einmal überrascht von dieser Spontanität, nach.
»Wenn ich verhungern müsste«, platzte Tatjana heraus. »Und du weißt ja, das kann ganz schnell und unvermutet passieren. Deshalb musst du dich sofort fertig machen und mich ganz schnell in die Bäckerei fahren, damit ich ein zweites Frühstück bekomme«, erklärte sie so leidenschaftlich, dass Danny nicht anders konnte, als in lautes Lachen auszubrechen.
»Vielleicht ist die Idee, Bäckerin und Konditorin zu werden, gar nicht so schlecht«, dachte er laut nach, als er dem Wunsch seiner Freundin sofort nachkam und sich auf den Weg ins Badezimmer machte. »Zumindest muss ich mir dann um deinen drohenden, plötzlichen Hungertod keine Sorgen mehr machen.« Bevor er ins Bad abbog, drehte er sich so überraschend nach Tatjana um, dass sie vor Schreck einen kleinen Schrei ausstieß. Doch der folgende leidenschaftliche Kuss ließ sie alles andere vergessen. Sogar die Tatsache, dass sie noch vor ein paar Minuten knapp vorm Verhungern gewesen war. Leider ließ sie das Klingeln des Telefons viel zu schnell in die raue Wirklichkeit zurückkehren. Es war Dannys Vater Daniel, der seinen Sohn darüber informierte, dass er wegen eines Notfalls in der Klinik später in die Praxis kommen würde.
*
Auch um diese Uhrzeit wurde in der Behnisch-Klinik wie immer rund um die Uhr hart gearbeitet. Auf der Intensivstation waren die Schwestern gerade dabei, Bernhard Beer umzubetten, als unvermittelt ein schrilles Piepen ertönte. Alarmiert blickte Schwester Ines auf den Apparat, und Jenny Behnisch, angelockt von dem durchdringenden Geräusch, eilte ins Zimmer.
»Was ist passiert?« Auch in dieser ernsten Situation strahlte sie eine souveräne Ruhe aus und trat an Bernhards Bett.
»Der Puls ist auf 45 gefallen«, erteilte Ines sofort Auskunft. »Blutdruck 80 zu 60.«
Jenny