Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.
dass er so gut mit Alex auskam. Sie waren vom gleichen Schlag.
»Tja, damit bleibt nicht mehr viel«, konstatierte sie. »Nur noch …«
»Die Schattenfrau.« Kevin ging zum Tisch, der vollgestopft war mit Bildbänden aus verschiedenen Epochen. »Da ist es gerade umgekehrt. Sie ist überall.«
»Was?« Clara trat näher.
»Wir haben uns überlegt, dass sie derzeit ja mit Saint Germain und dem dunklen Rat zusammenarbeitet. Warum also sollte sie das nicht schon früher getan haben?«, überlegte Max.
»Also haben wir die Katastrophen herausgesucht, in die er unseres Wissens nach verwickelt war«, spann Kevin den Faden weiter. »Schau.«
»Die Titanic-Katastrophe«, flüsterte Clara. Auf dem Bild war eine Frau in schwarzem Kleid zu erkennen, die einen Schleier und Handschuhe trug. Nur wenn man genau hinsah, erkannte man den dunklen Nebel in den Ärmeln.
»Und hier«, Kevin schob weitere Schwarz-Weiß-Bilder zu ihr herüber.
»Die Hindenburg-Katastrophe«, stieß Clara heiser hervor. Das Bild zeigte erneut eine Frau in einem modischen Kleid mit Schleier, die am Rand des Feldes stand, umweht von Feuer und Rauch.
Und so ging es weiter.
Kevin präsentierte Bilder zum Erdbeben in San Francisco, zum Großbrand von London und weiteren Katastrophen der Weltgeschichte.
»Diese Frau ist ja schlimmer als Saint Germain und die anderen Mitglieder des dunklen Rates zusammen.«
Chris nickte. »Ziemlich. Deshalb wird sie ja auch seit über einem Jahrhundert gejagt. Aber sie scheint immer einen Schritt voraus zu sein. Wenn es einem Ordnungsmagier je gelingen sollte, sie zu schnappen und in den Immortalis-Kerker zu werfen, wird er einen Orden von der Größe des Castillos bekommen.«
»Moment.« Clara zog ein Bild hervor. »Das Erdbeben. Entstand das nicht durch den Einsatz dieses Artefaktes, das Leonardo in den Katakomben eingesetzt hat?«
»Das hat zumindest Johanna gesagt, und er hat es bestätigt«, sagte Max, der mit ihr Zeuge der Tat gewesen war.
»Du glaubst, dass sie das Erdbebenartefakt manipuliert hat?«, fragte Chris.
»Das kann nicht sein«, warf Max ein. »Ich habe mitbekommen, wie Leonardo mit einem der Ingenieursmagier gesprochen hat. Die Manipulation erfolgte erst hier, in den Katakomben.«
Clara kam ein furchtbarer Verdacht. »Was ist, wenn die Schattenfrau zum Rat gehört?«
Kevin winkte ab. »Ich glaube kaum, dass der Graf von Saint …«
»Nein«, unterbrach sie ihn. »Zu unserem Rat. Überlegt mal, das Nebelfeld verbirgt sie komplett. Und es wäre eine Erklärung, wie sie das Artefakt hier manipulieren und auch damals, als der Wall entstand, anwesend gewesen sein konnte.«
»Du glaubst doch nicht, dass Johanna oder Tomoe oder C…«, begann Kevin.
Erneut unterbrach Clara. »Es könnte jeder sein. Vielleicht ist es ein Mann, der sich als Frau ausgibt.«
»Das wäre mal was«, murmelte Max. »Aber ernsthaft, ist das nicht ein bisschen weit hergeholt? Außerdem war die Schattenfrau schon eine Ewigkeit lang aktiv. Ein paar der Unsterblichen scheiden also aus, die kamen erst später dazu. Einstein zum Beispiel.«
Clara ballte die Fäuste. »Sie ist für Marks Tod verantwortlich. Ich will verdammt noch mal wissen, wer sie ist und weshalb sie uns immer einen Schritt voraus ist.«
Mit einem Knall flog die bisher nur angelehnte Tür zum Turmzimmer zu.
Alle fuhren herum.
»Mein Riechzinken nimmt das Aroma von Paranoia auf«, erklang eine Stimme. Die Freundin trug ihr Haar noch immer neongrün und hochgestellt, ihre grünen Augen leuchteten, als sie einen Blick in die Runde warf. Freche Sommersprossen bedeckten ihre bleiche Haut, ein Piercing glänzte an der Unterlippe. Auf dem rechten Handgelenk war ein Krallen-Tattoo zu sehen. Die Hände steckten in ledernen, fingerlosen Handschuhen. »Überraschung. Na, habt ihr mich vermisst?«
»Chloe!«
Im nächsten Augenblick wurde die Freundin in eine Gruppenumarmung gezerrt.
3. Im Refugium des Stabmachers
Das Portal spuckte Alex aus. Und genau so fühlte er sich auch. Doch verblüffenderweise konnte er das Übelkeitsgefühl recht gut verkraften. Der Boden blieb sauber.
»Na also, es wird langsam«, stellte Jen fest. »Noch ein, zwei Durchgänge und wir haben dich aus der Windelphase raus.«
Alex verlegte sich aufs Schweigen.
Sie waren in einem gemütlichen kleinen Raum herausgekommen. Ein Lesesessel stand in der Ecke, ein Regal an der Wand.
»Er wird nicht oft besucht, aber wenn, dann wird jeder Gast freundlich aufgenommen«, erklärte sie.
Ein runder Tisch stand neben dem Sessel. Auf der Platte manifestierte sich eine Kanne, dazu zwei Tassen, die sich mit schwarzer Flüssigkeit füllten.
»Das ist ja nett.«
»Lass stehen, wir bringen es besser direkt hinter uns«, erklärte Jen und steuerte den Ausgang an.
»Aber … Kaffee.« Er warf der Tasse, von der dampfende Schwaden aufstiegen, einen sehnsüchtigen Blick zu. »Vielleicht später.«
Sie gingen durch die sauberen Gänge eines lichtdurchfluteten Anwesens. Die Sonne schien herein, warme Luft war allgegenwärtig. Vor den Fenstern ragten grüne Sträucher in die Höhe. »Also, in Anbetracht der Tatsache, dass in Europa Winter ist, können wir nicht mehr dort sein.«
»Gut geraten, Sherlock. Ich tippe auf die Tropen. Aber so genau lässt sich das nicht sagen. Ein Teil von dem, was du siehst oder spürst, könnte eine Illusion sein. Illusionierungszauber werden von Magiern gerne angewendet, wenn es darum geht, das eigene Heim etwas aufzumotzen. Man gibt so gerne an.«
Unweigerlich zog sich Alex’ Magen zusammen. Er musste an die kleine Dreizimmerwohnung denken, in der er mit seiner Mum und seinem sechzehnjährigen Bruder Alfie lebte. Wenn er nur dort ein wenig Magie einsetzen könnte. Aber das war verboten, wie er mittlerweile wusste. Wenigstens bekam er als Lichtkämpfer ein monatliches Gehalt, das sogar recht üppig ausfiel. Damit konnte er die beiden unterstützen.
Sie betraten die Bibliothek.
Während Alex das Chaos nur langsam realisierte, in das sie unmittelbar hineingetreten waren, flog Jens Essenzstab förmlich in ihre Hand. Alarmiert schaute sie sich um. »Kannst du schon eine Schutzsphäre weben?«
»Eine normale, ja.« Er wusste um das Machtsymbol für einen Schutz der ersten Stufe. Für jenen der zweiten musste man jedoch Machtworte mit dem Symbol verknüpfen, was ihm bisher nicht gelungen war.
»Verdammt, verdammt, verdammt.«
Alex ging kurzerhand zu einem der am Boden liegenden Stühle, brach das Stuhlbein ab und hielt es wie einen Baseballschläger in der Hand. »Was?«, fragte er auf Jens ungläubigen Blick hin.
»Halte lieber deine Finger oben, um einen Zauber zu wirken.«
»Nenn es von mir aus Placebo.«
Vorsichtig stiegen sie über aus dem Regal gefallene Bücher, Aschereste und zerfledderte Folianten. An einigen Stellen der Wand hatten Kraftschläge gewütet und Teile des Putzes weggesprengt, Rußspuren bildeten Schlieren.
»Wer kann so mächtig sein und hier eindringen? Und ihn dann auch noch besiegen?«, flüsterte Jen.
»Ist er denn so stark?« Sichernd sah Alex sich um.
»Ich bitte dich … Ach so, du solltest vielleicht wissen, dass der Stabmacher auch ein Unsterblicher ist.«
»Ich