Das Erbe der Macht - Die komplette Schattenchronik. Andreas SuchanekЧитать онлайн книгу.
in prolligen Nike Shox. Das Goldkettchen um seinen Hals machte das Bild perfekt.
Unter dem Grölen seiner Freunde, die ihn anfeuerten, schlug er einem anderen jungen Mann die geballte Faust ins Gesicht. Blut spritzte. Das Knacken einer brechenden Nase war zu hören.
»Und, gibst du es freiwillig her?«, sagte die junge Version von Alex.
Der andere schüttelte den Kopf. Tränen rannen über seine Wangen, er biss fest die Zähne zusammen.
Alex zuckte gelangweilt mit den Schultern. Seine Faust schoss erneut voran. Und wieder. Und wieder. Am Ende lag der andere am Boden. Sein Gesicht glich einer breiigen Masse aus aufgeplatzter Haut, einer gebrochenen Nase, blutenden Brauen und zugeschwollenen Augen. Der junge Alex schickte einen Tritt in den Magen hinterher. Unter dem noch lauteren Gegröle seiner Freunde zog er dem Liegenden den Geldbeutel aus der Hosentasche.
Gemeinsam trollten sie sich.
Jen war geschockt von so viel Brutalität. Natürlich hatte sie im Kampf gegen die Schattenkrieger einiges erlebt. Manipulierte Menschen, die schlimme Dinge unter dem Einfluss von schwarzer Magie oder Artefakten taten. Magier, denen das Leben von Nimags völlig egal war, sahen sie diese doch als bessere Sklaven an.
Besonders unter den Schattenkriegern war – indoktriniert durch den dunklen Rat – ein Gedanke zum allgemeinen Konsens geworden: Die magische Welt litt unter dem Wall, der erschaffen worden war, um Nimags zu schützen. Eine völlige Verkehrung der natürlichen Ordnung der Dinge. Nach über einem Jahrhundert war es an der Zeit, die Machtverhältnisse umzukehren. Manche glaubten gar, dass Nichtmagier ohne eine starke Kontrolle gar nicht in der Lage waren, den Frieden auf der Welt zu bewahren.
Zugegeben, Jen sah auch Nachrichten. Kriege überall auf der Welt, Anschläge, wohin man blickte. Autokraten und Diktatoren, die aus dem Leid der Menschen Kapital schlugen, die auf dem Altar der angeblichen Sicherheit die Freiheit opferten. Trotzdem sah sie ebenso das Gute. Den Frieden. Die Freiheit. Demokratien in aller Welt, die versuchten, es besser zu machen.
Ihr Blick fiel zurück auf das blutende, wimmernde Bündel. Wie konnte in einem Menschen nur so viel Hass stecken? Jen hatte in Alex’ Augen gesehen, als dieser zugeschlagen hatte.
Da war Hass.
Jeder Schlag hatte ihr Innerstes erschüttert und Erinnerungen an andere Schläge an die Oberfläche gespült. Jene, die sie abbekommen hatte. Die sie zum Opfer gemacht hatten. Das Opfer eines Mannes, der schlug und Seelen zerstörte, weil er es wollte. Weil er es konnte. Weil es ihm gefiel.
Während die junge Ausgabe von Alexander Kent grölend Pfundnoten aus dem Geldbeutel zog, blieb der zusammengeschlagene Jugendliche zitternd zwischen Abfall, leeren Bierflaschen und zertretenen Zigarettenschachteln liegen. Er atmete noch, schwebte aber eindeutig zwischen Leben und Tod.
Jen ballte die Fäuste.
Es kostete sie jedes Quäntchen an Selbstbeherrschung, keinen Kraftschlag zu weben und gegen Alex zu schicken. Immer wieder musste sie sich vergegenwärtigen, dass diese Tat Jahre zurücklag. Das Sigil hatte ihn aus einem bestimmten Grund erwählt, ihn zum Lichtkämpfer gemacht.
Trotzdem tobte die Wut wie ein verzehrendes Feuer durch ihr Innerstes.
Auf dem Glas drehte der geschundene Jugendliche sich zur Seite und spuckte Blut auf den Boden.
In Jens Mund entstand ein metallischer Geschmack. Wie oft hatte sie selbst Blut gespuckt? War mit ihrer Mum in eine Privatklinik gefahren, wo mit dem richtigen Sümmchen niemand Fragen stellte?
Wunden wurden getackert, gelasert und mit Pflastern besprüht. Gebrochene Knochen waren die Folge eines Unfalls, »Kinder, Sie wissen ja, wie die so sind, Doc.«
Ich darf mich davon nicht beeinflussen lassen, klammerte Jen sich an die Logik.
Dieser Raum war nicht dazu gedacht, ihn gemeinsam mit einer anderen Person aufzusuchen. Jeder musste sich den eigenen Dämonen stellen. Sie schloss die Augen, um die Bilder zu vertreiben. Die Vergangenheit war genau das, vergangen. Sie durften ihre Handlungen davon nicht beeinflussen lassen!
Doch obgleich Jen gelernt hatte, ihre Emotionen zu bändigen, wusste sie, dass sie Alex nie wieder mit den gleichen Augen sehen würde.
5. Alles auf Risiko
Clara lächelte.
Es fühlte sich an, als wäre Chloe nie weg gewesen. Ihre grünen Haare wippten bei jeder Umarmung, in die sie gezerrt wurde. Sie machte sich einen Spaß daraus, Max’ Haar noch mehr zu verwuscheln. Prompt vergalt er Gleiches mit Gleichem.
»Wo warst du?«, fragte Chris schließlich.
»Top Secret«, erklärte Chloe. Sie warf sich auf die Couch. »Aber ich bin froh, dass es vorbei ist. Diese Solonummern nerven. Total langweilig. Nur, weil ich sowohl in Magie als auch in der Anwendung von Technologie so absolut genial bin …«
»Boah, riecht ihr das auch?«, stichelte Chris. »Stinkt es hier irgendwie nach Eigenlob?«
Chloe legte ihre Füße in den nietenbesetzten Boots auf dem Tisch ab. »Hey, keine Angst, die Rolle des Muskelprotzes mache ich dir nicht streitig, Tattoo-Boy. Jeder hat seine Vorzüge.«
Chris grummelte gespielt beleidigt, machte gleichzeitig aber einen geschmeichelten Eindruck.
»Du weißt von Mark?«, stellte Clara die rhetorische Frage.
»Und da haben wir auch schon den Elefanten im Raum«, erwiderte Chloe. Kurz schimmerte der Schmerz durch, doch die Freundin ging grundsätzlich nicht mit ihren Gefühlen hausieren. Sie schüttelte den Kopf und vertrieb jede sichtbare Emotion. »Klar. Ich habe gerade einen verdammt gefährlichen Hack durchgeführt. Der Server ist echt von ’nem Paranoiker gesichert worden. Na ja, letztlich hatte er mit der Vorsicht ja recht. Egal. Auf jeden Fall bin ich danach fast vom Stuhl gekippt. Wollte eigentlich sofort zu euch zurückkommen, aber die Sache war dem Rat ziemlich wichtig. Haben wir einen Neuen oder eine Neue?«
Clara fasste die Ereignisse der letzten Tage zusammen. »Jen und er besorgen gerade bei Nostradamus einen Essenzstab.«
»Ich bin gespannt auf den Newbie«, Chloe grinste. »Die sind immer wie goldige Welpen. Tapsen rum, stellen Schabernack an und verhunzen erst mal jeden Zauber. So toll, wie alle sagen, sind diese ererbten Erinnerungen gar nicht. Sehr löchrig das Ganze.« Sie stellte die Füße auf dem Boden ab. »Aber was war das mit dem möglichen Verräter?«
Clara breitete die Arme aus. »Jemand hat das Artefakt manipuliert, an der Tatsache führt kein Weg vorbei. Eigentlich kann es nur einer vom Rat gewesen sein.«
»Und dieser Jemand soll auch gleich noch die Schattenfrau sein?« Chloe wirkte skeptisch. »Also, das halte ich doch für weit hergeholt. Aber einen Verräter hatten wir ja schon einmal, lange vor unserer Zeit.« Sie klatschte in die Hände. »Endlich ist in dem verstaubten Laden mal wieder was los.«
Max ließ eine Kaugummiblase platzen. »Ehrlich gesagt war es etwas viel in den letzten Tagen. Jen und der Neue giften sich an, der Foliant, ein angeblicher Verräter. Dann dieser seltsame Bund, der versucht hat, Alex zu töten …«
»Wie sage ich immer: Neues Problem, bitte hinten anstellen. Eines nach dem anderen.«
Kevin zuckte mit den Schultern. »Wir sind nur leider so gar nicht weitergekommen. Abgesehen davon, dass die Schattenfrau überall in der Geschichte ihre Finger im Spiel hatte, wissen wir kaum etwas.«
»Also, erst einmal wäre es ganz nützlich, wenn ich ein paar der Bilder einscanne, auf denen das Weib zu sehen ist«, meinte Chloe. »Dann kann ich die durch mein Bildabgleichsprogramm jagen. Mit etwas Glück finden wir noch mehr Material, das irgendwo im Internet veröffentlicht wurde. Ausschnitte aus alten Büchern, Gemälde, all das Zeug. Irgendwann, irgendwo muss sie das erste Mal in Erscheinung getreten sein. Finden wir diesen Moment, kriegen wir ihre Identität raus.«
»Das klingt gut.« Chris saß im Sessel,