Sechs Jahre in Surinam. August KapplerЧитать онлайн книгу.
grossem Appetite zusprach. Er war vor Kurzem erst angekommen, und konnte sich in die neue Lebensweise nicht recht fügen. Ausser dem Genever fand er Alles abscheulich.
Am folgenden Tage wurde ich gekleidet, wobei sich ein Jude einfand, der meine abgelegten Kleider kaufen wollte, sie aber so nieder anschlug, dass ich ihm keine Antwort gab. Da jedoch der Fourier, der sicher jedesmal etwas profitirte, Schwierigkeit machte, das abgelegte Zeug in die Kaserne zurückzunehmen, so liess ich dem Schurken Alles für ein Spottgeld. Jetzt ging es an's Exerciren, wobei ich mir schrecklich viele Mühe gab, die sanften Erklärungen der Corporale zu begreifen, da ich der holländischen Sprache nicht mächtig war.
Unsere Lebensweise war nun folgende: des Morgens 5 Uhr schlug's Reveille, wobei durch die Corporale das Brod ausgetheilt wurde; um 6 Uhr begann das Exerciren, das bis 9 Uhr dauerte, um 10 Uhr war Apell, hernach ass man eine wohlschmeckende, kräftige Suppe, worauf von 1-4 Uhr wieder exercirt wurde. Um 4 Uhr war abermals Apell, wobei jedesmal ein geputztes Waffen- oder Kleidungsstück zur Inspection gebracht werden musste. Hierauf kam ein Gericht von Erdäpfeln, Radatoe genannt, zum Mittagsmahl. Nachdem man kaum den Löffel abgewischt hatte, rief die Trommel abermals zum Exerciren, das mit der Nacht endigte. Weiber mit Kaffee, Butter, Käse, Schweinsklauen und andern Bäckereien hatten indess ihren Einzug in den Hof der Kaserne gehalten; sie schenkten Kaffee, für 1 Cent die Tasse. Branntwein oder Liqueurs durften nicht in die Kaserne gebracht werden, desshalb waren auch unsere Soirées, in deren Mitte die Kaffeefrau mit ihren Delicatessen präsidirte, sehr friedsam und unterhaltend. Man sang, erzählte und lebte um ein paar Cents ganz köstlich, bis der Zapfenstreich dem Wohlleben ein Ende machte.
Diese neue Lebensweise war mir natürlich ungewohnt; doch fand ich mich schneller darein, als ich selber geglaubt hatte. Ich that mein Möglichstes, um exerciren zu lernen und meine Waffen und Kleider in Ordnung zu halten. An freien Tagen ging ich mit Kameraden in die Stadt, die wir aber nicht verlassen durften. Ueberall standen Schildwachen, um die Vögel im Käfige zu halten und der Desertion vorzubeugen. Dessen ungeachtet entschlüpften Manche, meistens Deutsche, welchen ihr jetziger Stand um so unerträglicher war, je weniger sie ihre früheren Verhältnisse vergessen konnten.
Die Stadt Harderwyk, früher der Sitz einer Universität, ist ein kleiner, unbedeutender Platz an der Zuydersee; sie mag etwa 5-6000 Einwohner zählen. Die Hauptbeschäftigung derselben ist der Fischfang, und eine nicht unbedeutende Quelle ist das Dépot der 1. Division Nr. 33 der Landmacht, nämlich der Sammelplatz der für die Colonien Hollands bestimmten Truppen. Der jährliche Bedarf für die Colonien ist unbestimmt; er beläuft sich zuweilen für Ostindien auf circa 1500, für Surinam und Curacao auf 150-200 Mann, und wenige für das Fort St. Georg d'Elmina in Afrika. Alle diese Glücksadspiranten verzehren ihren Sold und das Geld, welches sie mitbringen, oder von Hause erhalten, in den Geneverkrügen des Städtchens, deren es gar viele gibt, oder lassen dasselbe in den Händen von Freudenmädchen, die ebenfalls in Menge sich hier aufhalten.
Unsere Kaserne hiess Oranje Gelderland; sie vereinigte in sich alle, welche für die Colonien bestimmt waren, und welche aus denselben als unbrauchbar, oder mit Abschied zurückkamen. Der erstere Theil bestand theils aus belgischen Deserteuren oder aus entlassenen Dieben vom Zuchthause in Leyden, auch aus sogen. Strafdivisionären (Menschen, die bei keinem Regimente zu gebrauchen sind, desswegen nach den Strafdivisionen, bei welchen es Prügel regnet, übergesendet werden, und nur durch das einzige Mittel, für die Colonien sich freiwillig zu engagiren, davon loskommen), und endlich aus Deutschen aller Art, von welchen die meisten durch das eine oder andere Unglück zu diesem Schritte genöthigt waren. Sie haben zwar im Allgemeinen vor den oben erwähnten Belgiern und Holländern den Vortheil einer grösseren Bildung voraus; aber diese gewährt nicht immer den einer grösseren Moralität. Viele wissen sich durch Geschmeidigkeit und Unterwürfigkeit beliebt zu machen, und machen ihr Glück. Klagen über schlechte Behandlung sind selten gerecht. Man findet in der ganzen Armee sehr viele Deutsche, die sehr ansehnliche Chargen bekleiden, und man muss sich im Gegentheil wundern, dass man Fremdlinge nicht zurücksetzt, da man mit einheimischen Cadetten und Adspiranten selbst überladen ist.
So wenig Anziehendes der Charakter der nach den Colonien abgehenden Truppen im Allgemeinen auch hat, so ist er doch in moralischer Hinsicht unendlich besser als derjenigen, welche aus den Colonien zurückkommen. An Körper häufig Krüppel, und durch den Genuss des Branntweins an Geist so geschwächt, dass man gar keine gute Eigenschaft mehr hoffen kann, warten diese Leute auf ihren Abschied, ihre Pension oder Gnadengelder, womit sie in wohlfeilen Plätzen Hollands sich bei Bauern in Kost und Wohnung begeben, aber selten ein hohes Alter erreichen, da Klima und Lebensweise ihrem gebrechlichen Körper nicht zusagen. Es kamen während meiner Anwesenheit in Harderwyk einige Transporte aus Ostindien. Die Meisten hatten ihre Habseligkeiten in den ersten Häfen bereits verkauft, und zitterten bei jedem rauhen Winde wie Espenlaub. Doch meine erste Rückreise aus Surinam, die ich später ausführlicher beschreiben werde, wird ein wahres Bild aller aus Ost- oder Westindien zurückkehrenden Truppen abgeben.
Es waren seit meiner Ankunft schon mehrere Transporte abgereist, und jedem hatte ich sehnsüchtig nachgeblickt; aber die Reihe sollte so schnell noch nicht an mich kommen, da man sich beeilte, die Belgier und Sträflinge zuerst auf's Wasser zu bringen.
Es nahete der Winter mit raschen Schritten, und beim Erdäpfelschälen, dem sich keiner entziehen durfte, gab es kalte Finger. Ich befürchtete jetzt sehr, die kalte Jahreszeit in Holland zubringen zu müssen. Diesem vorzubeugen, bat ich den Kapitän meiner Compagnie, einen freundlichen, wohlwollenden Mann, mich bei dem nach Surinam abgehenden Transporte einzuschreiben. Zwei Tage später, am 3. November lieferte ich meine Waffen ein und machte mich reisefertig.
Den 4. November 1835 verliessen wir Harderwyk. Es war ein heller, kalter Tag, und unser Detachement, das aus 60 Mann bestand, war im Kasernenhofe angetreten. Wir waren mit unsern Ranzen bepackt, und in den offenen Feldkessel erhielten wir beim Abmarschiren das gewöhnliche Viaticum, ein Pfund Brod und gebratenes Fleisch.
Der Chef übergab uns einem in Urlaub gewesenen und nach Surinam zurückkehrenden Officier der Artillerie. Voraus die Musik des Depots, begleitet von allen Gassenjungen und dem Pöbel Harderwyks, zogen wir wohlgemuth zum Seethor hinaus, wo eine Barke lag, die uns nach Amsterdam bringen sollte.
Dass Viele unseres Detachements betrunken waren, lässt sich denken; auch brachten Manche, obwohl zuvor scharf visitirt ward, noch Branntwein an Bord, so dass es die ganze Nacht durch Händel und Schlägereien gab, und an Schlaf nicht zu denken war. Der Lieutenant, der bei diesem wilden Haufen doch nichts machen konnte, zog sich in die Kajüte zurück. In dem kleinen Raume, in welchem wir eingepfercht waren, herrschte eine Hitze und übler Geruch zum Ersticken, so dass ich die kalte Luft des Verdecks vorzog. Bereits gegen 5 Uhr Abends sahen wir die vielen Thürme Amsterdams, blieben aber die Nacht über vor dieser Stadt liegen.
Den 5. gegen Mittag fuhren wir in einem geräumigen Schiffe, das durch Pferde gezogen wurde, über Haarlem, Rotterdam, Gouda, wo wir den 8. ankamen, und das zu unserer Ueberfahrt bestimmte Transportschiff Prinz Willem Frederik Hendrik lag. Den folgenden Tag wurden wir eingeschifft. Die Reinlichkeit, die Sorgfalt, womit jeder Raum benützt wird, ist bewundernswürdig, und es schien mir unmöglich, dass eine solche Menge Menschen darin logiren könne, ohne wie Häringe aufeinandergehäuft zu seyn. Die Matrosen, deren etwa 50 an Bord waren, befanden sich von uns abgesondert, wiewohl auf gleiche Weise eingetheilt. Man schied uns in 6 Backe, wovon je 3 auf jeder Seite des Schiffs waren. Jeder Back bestand aus 10 Mann, die zusammen eine Tafel, welche mit Tauen am Verdeck hing, zwei Bänke, eine Lampe und eine grosse Kiste, worin die tägliche Ration aufbewahrt wurde, zum Gebrauche hatten. Bei unserem Detachement befand sich bloss ein Sergeant und ein Korporal, die unter die 60 Mann vertheilt waren. Bei jedem Back wurde ein Backmeister gewählt, der für Ordnung und Reinlichkeit zu sorgen hatte, und während der ganzen Reise dieses Amt bekleidete. Ausser ihm hatte noch eine andere Person ein Amt, das die übrigen 9 Mann abwechslungsweise versahen, und zwar ein sehr lästiges, nämlich das des Essenholens, Aufwaschens, Rationvertheilens u. s. w. Der damit Geplagte hiess mit seinem Amtstitel: »Söhnchen«. Die Kost bestand des Morgens aus Grütze, die man mit Butter vermischte; voraus ging ein Schnaps (Orlam), vom Bottelier des Schiffes ausgetheilt. Um 11 Uhr genoss man abermals einen Schnaps, und um 12 Uhr Erbsen mit Speck oder gesalzenem Fleische. Das Essen wurde durch das Söhnchen in einem Back