Sechs Jahre in Surinam. August KapplerЧитать онлайн книгу.
der die Augen davon abwenden musste, jedes Stück der Reihe nach ausgetheilt, um Parteilichkeit zu vermeiden. Es ass nun Jeder aus dem Backe, wobei es manchmal heftige Streitigkeiten gab, weil die einen gern Essig, die andern keinen darin haben wollten, und Teller nicht vorhanden waren, um die Erbsen zu theilen. Nach dem Essen musste das Söhnchen den Kübel und die Löffel reinigen, die Tafel und den Boden aufwaschen und alle häuslichen Geschäfte verrichten. Bei stürmischem Wetter passirte es später manchmal, dass das Söhnchen mit den Erbsen die Treppe herabfiel, und die unten Stehenden die heisse Brühe auf's Gesicht und die Kleider bekamen, wobei es dann manches Donnerwetter absetzte.
Wir waren zu unsern Dienstverrichtungen auf dem Schiffe in zwei Theile abgetheilt, nämlich in die Steuer- und Backbordseite. Es werden so die zwei Seiten des Schiffes genannt, von welchen, wenn man vom Hintertheile des Schiffes nach vornen sieht, die rechte Steuer- und die andere Backbord ist. Die eine Hälfte unserer Mannschaft war auf dieser, die andere auf jener Seite. Während der ganzen Reise musste die Mannschaft einer Seite abwechslungsweise sich auf dem Verdecke befinden. Ob es nun regnete oder stürmte, kalt oder warm war, von den dreissig Männern, welche diese Wache hatten, durfte keiner sich im Zwischendeck befinden. Die Ablösung fand je nach vier Stunden statt, welchen Zeitraum man eine Wache nannte, deren sechs ein Etmaal oder einen Tag ausmachen. Die Zeit, nach welcher man die Wachen austheilt, wird durch ½ Stundenglas dadurch angezeigt, dass man z. B. um ½1 Uhr einmal, um 1 Uhr zweimal, um ½2 Uhr dreimal, um 4 Uhr achtmal an die Glocke schlägt, was man Glasen nennt. Erhält man auf die Frage, wie spät es ist, zur Antwort: 3 Glasen, so weiss man, dass es ½2, ½6 oder ½10 Uhr ist. Das Kommando an Bord geht durch Pfeifen; jeder Unterofficier des Schiffes führt eine solche bei sich. Die Signale, welche dadurch gegeben werden, beziehen sich meist auf die Arbeiten der Matrosen; jedoch wurde auch zum Essen und zum Schnaps gepfiffen. Ausser dem gekochten Essen, das immer aus Grütze und Erbsen bestand, bekam man wöchentlich zweimal Zwieback, Käse und Butter; auch wurde jeden Abend warmes Wasser, Theewasser genannt, ausgetheilt. Dieses brauchte jeder nach Belieben; ich brockte in das meinige Zwieback, Käse, Butter und Speck, den ich vom Mittagessen übrig hatte, und Zwiebel, die man von der Frau des Schiffers kaufen konnte, und hatte somit die herrlichste Suppe, die man unter solchen Umständen bereiten konnte. Mit anbrechender Dunkelheit wurden die Lampen angezündet, und die, welche die Wache hatten, spielten Lotto oder Domino, oder vertrieben sich auf andere Weise die Zeit. Abends 8 Uhr hing man die Hängematten auf, die den Tag über in der Verschanzung aufgehoben wurden, und legte sich schlafen, während die wachthabende Hälfte ungeduldig auf dem Deck herumtrippelte, bis auch die Reihe an sie kam, in die warmen Hängematten zu liegen.
Es ist aber nichts Leichtes, in einem so engen Raume mit so vielen Menschen zu schlafen, und deren Ausdünstung, wie die von Thee, Käse und andern Ingredienzien, erträglich zu finden, dabei abgerechnet das Geräusch von etwa 60 Menschen überm Kopfe, das Geknarre der Hängematten, die immer gegen einander anstossen, das Geseufze der Masten, das Klirren der Ankerketten und das Schlagen der Wellen von aussen.
Wir blieben nach unserer Einschiffung noch 8 Tage auf der Rhede von Hellevoetsluis und segelten den 17. November ab. Kaum waren wir zwei Stunden vom Hafen entfernt, so lief das Schiff durch Unvorsichtigkeit des Lootsen auf eine Bank; das Steuerruder hackte aus und nahm noch sonstigen Schaden. Man that einige Schüsse, auf welche sogleich mehrere Kanonierboote herbeieilten, um uns beizustehen. Durch das Dampfboot Curacao wurden wir Nachmittags nach dem Hafen zurückgeschleppt. Da unser Schiff ins trockene Dock gebracht und ausgebessert werden musste, so wurden wir auf so lange in eine leerstehende Kaserne einquartirt.
Hier blieben wir nun ohne alle Beschäftigung vierzehn Tage und erhielten unser Essen vom Schiffe, an dem anhaltend gearbeitet wurde; übrigens war uns alle Freiheit gestattet. Wir durchliefen jeden Tag Hellevoetsluis und die Umgegend, wiewohl ohne Geld, da uns kein Cent Sold ausbezahlt wurde.
Viele verkauften ihre Kleider, um sich mit den Dirnen des Städtchens belustigen zu können, oder versoffen das Ihrige im Genever; Manche lagen, weil es sehr kalt war, den ganzen Tag im Bette; auch verging kein Tag, an dem nicht mörderische Prügeleien und dergl. vorgefallen wären. Der Detachements-Commandant, der seine Wohnung auf dem Schiffe hatte, wusste sich nicht zu helfen, Sergeant und Korporal wurden von dem zügellosen Volke nicht beachtet. Indessen kam vom Ministerium der Colonien, das unsere Geldlosigkeit rührte, eine Vergütung von 2 fl. 50 kr. per Mann, welche denjenigen ausbezahlt wurde, die ihre Kleidungsstücke nicht verkauft hatten. Die Andern aber waren bis zur Abreise unter Schloss und Riegel. Jetzt ging es wieder lustig her; doch in kurzer Zeit herrschte wieder Mangel, wie zuvor, und zu abermaligen Gratificationen war der hartherzige Minister nicht geneigt.
Einer unserer Kameraden hatte ein chinesisches Schattenspiel gemacht, womit er des Abends Vorstellungen gab, die von Soldaten, Matrosen und Dirnen des Städtchens fleissig besucht wurden, und wobei unter dem Publikum manche Scene vorfiel, die wohl in dichten Schatten gehüllt zu werden verdient.
Am 2. December kamen wir abermals an Bord. Zugleich wurden unter militärischer Bedeckung diejenigen unseres Transportes auf's Schiff gebracht, welche ihre Kleidungsstücke verkauft oder sonstige Fehler begangen hatten. Im Kreise der Officiere und der Equipage des Schiffes wurden uns nun die Kriegsartikel für die Marine vorgelesen, in welchen von Kielholen, Raafallen, Aufhängen u. s. w. die Rede war. Mit donnernder Stimme hielt uns der erste Officier unsere schlechte Aufführung vor; auch liess er sogleich einige, die dagegen etwas einzuwenden hatten, an die Kanonen festketten. Nachdem dieses geschehen war, wurden acht Matrosen vorgeführt, die während der Ausbesserung des Schiffes von Bord weggelaufen waren und den Schiffer beim Marinegericht in Rotterdam verklagt hatten. Dort fanden sie, wie es schien, kein Recht und wurden wieder an Bord gesendet.
Die Officiere alle und der Schiffsdoctor waren in Uniform auf dem Halbdeck, und von den Matrosen und Soldaten durfte keiner das Verdeck verlassen, wo nun ein Exempel für uns alle statuirt werden sollte. Wir Soldaten standen voll banger Erwartung da; denn man sah an dem fröhlichen Gesichte unseres Detachements-Commandanten, der immer lachte, wenn ein armer Schelm geprügelt wurde, dass tüchtig eingebrockt werden sollte. Der Schiffscommandant begann endlich den Delinquenten ihr Verbrechen vorzuhalten, und – das war der langen Rede kurzer Sinn – dass er Gnade vor Recht ergehen lassen, und sie desshalb nicht vor den Kriegsrath stellen, sondern mit einer kleinen Ermahnung abstrafen wolle. Es war bereits eine Lucke an der Wand aufgestellt, auf welche die Hauptperson des Complotts auf den Bauch gelegt und festgebunden wurde.
Der Schiffer (erster Unterofficier), den sie verklagen wollten, und der Schieman (ebenfalls ein Unterofficier), jeder mit einem fingerdicken und ellenlangen Theertau in der Hand, warteten nur auf das Zeichen des Commandanten, um der vorausgegangenen Ermahnung den gehörigen Nachdruck zu geben. Sie schlugen nun auch auf den armen Kerl, der in den rührendsten Ausdrücken um Gnade bat, so los, dass er zuletzt, seiner Sinne beraubt, wie todt dahing. Der Commandant liess den Doctor nachsehen, ob man noch etwas beifügen könne, was der menschenfreundliche Mann, nachdem er den Mund und die Augen des Schächers untersucht hatte, bejahte. Man schlug desshalb aufs Neue auf ihn los. Nachdem er sein Maas erhalten hatte, und man die Taue, womit er angebunden war, losmachte, fiel er gefühllos, wie ein Sack, zu Boden. Hierauf kam die Reihe an den zweiten und die übrigen; der erste hatte übrigens das Fett von der Suppe erhalten. Mir standen bei dieser Prügelei die Haare zu Berg, und nie hat eine derartige Scene solchen Eindruck wieder auf mich gemacht. Zwar war es mir in der ersten Zeit in Surinam unmöglich, das Peitschen und die Schläge der Neger gleichgiltig anzusehen, und kaum konnte ich mich der Thränen enthalten, wenn diese nackten Schwarzen, manchmal wegen unbedeutender Vergehen, mit den zähen Zweigen der Tamarinde so geschlagen wurden, dass ihr Blut den Boden färbte. Es empörte mich, wenn ein solcher Neger nach der Abstrafung, blutig und mit Schwielen bedeckt, noch von den Soldaten verhöhnt wurde. Wenn sich nun auch dieses Gefühl bei mir gerade nicht verlor, so ist es doch durch die Gewohnheit abgestumpft, und ich habe leider die Ueberzeugung, dass, wo Sklaverei ist, der Stock nicht fehlen darf; Mässigung aber und Menschenliebe dürfen weder dem Seeofficier noch dem Pflanzer fremd seyn, und nur im äussersten Falle wäre dieses Mittel zu gebrauchen! Wir gingen den 10. Dec. des Abends abermals unter Segel, und sahen bereits am Morgen die Kreideberge Englands vor uns liegen. Da der Wind ungünstig war, ankerte man vor der Stadt Deal. Das Wetter war kalt aber schön; Dampfschiffe und Fischerboote fuhren an uns vorüber, und eine Menge Schiffe lagen ebenfalls hier, um mit günstigem