Toni der Hüttenwirt Paket 1 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
Herr kam auf Petra zu. Er flößte ihr sofort Vertrauen ein. Er hatte dichtes weißes Haar. Blaue Augen zwinkerten sie durch die runden Brillengläser fröhlich an.
»So, das ist also die Petra! Groß geworden ist das Madl! Na ja, ist ja auch mehr als zwanzig Jahre her, daß ich dich gesehen hab’. Setz dich!«
Er gab Petra die Hand und zeigte auf die lederne Sitzgruppe in der Ecke. Der Tisch war gedeckt für zwei Personen. Auf einer Kuchenplatte türmten sich Leckereien. Die Sekretärin schenkte Petra und ihrem Chef Kaffee ein, dann verließ sie den Raum und schloß leise, fast geräuschlos die Tür.
»Als Kind hattest du gerne Schokoladentorte gegessen. Ich weiß nicht, ob das immer noch so ist. Deshalb habe ich Verschiedenes besorgen lassen, auch Plundertaschen mit Äpfeln und Blätterteigbrezeln mit Mandeln. Ich hoffe, dir schmeckt etwas davon. Greif zu!«
Petra schaute Doktor Ludwig Leuthold nur mit großen Augen an.
»Sie kennen mich?«
Statt einer Antwort stand er auf und holte einen Umschlag. Er öffnete ihn und gab Petra die Photos.
»Das bin ich – und da ist auch Mutter.«
Nacheinander betrachtete Petra die Bilder.
»An das Schaukelpferd erinnere ich mich, aber ich weiß nicht mehr, wo es gestanden hat.«
Der Notar lachte freundlich.
»Das gehörte meinem Sohn. Der war aber damals schon einige Jahre älter und spielte nicht mehr damit. Wenn deine Mutter mich besuchte, dann hast du immer damit gespielt.«
»Es tut mir leid. Ich erinnere mich an das Schaukelpferd, aber nicht an Sie.«
»Nun mit dem Sie, das kannst du gern lassen. Damals war ich der Onkel Ludwig für dich. Ich würde mich freuen, wenn du mich auch heute so nennen würdest.«
Petras Augen wurden noch größer.
»Sie – du – Sie! Ich bin ganz verwirrt. Ich esse vielleicht erst einmal ein Stück Schokoladentorte. Süßigkeiten und Zucker sollen die Nerven beruhigen, sagt man.«
»Das ist sehr vernünftig, meine gute Petra! Nerven, die wirst du jetzt brauchen.«
»So schlimm?« fragte Petra ängstlich.
»Das weiß ich nicht genau. Ich vermute aber, daß ich dir Dinge sage, die du vielleicht nicht weißt. Es liegt dann bei dir, zu entscheiden, ob sie schlimm sind. Doch ich gestehe, daß ich auch etwas aufgeregt bin. Ich habe schon viele Erbschaftsangelegenheiten geregelt, doch diese ist eine besondere Angelegenheit, ja, ganz besonders auch für mich. Doch schön der Reihe nach.«
Er griff nach einem Stück Käsesahnetorte. Sie aßen, genossen und warfen sich Blicke zu.
»Ich nehme an, du hast deiner Mutter, der guten Vera, nichts von meinem Schreiben erzählt?«
»Was führt Sie – ehm – was führt dich zu dieser Annahme?«
»Ganz einfach, dann wäre sie doch mitgekommen! Sie hätte dir vielleicht von früher erzählt. Dann hättest du gewußt, wer ich bin und wo das Schaukelpferd gestanden hat.«
»Ich rede nicht mehr mit ihr.«
»Streit?«
»Streit kann man das nicht nennen. Wir reden ja nicht miteinander, also streiten wir auch nicht.«
Petra Pfleiders Stimme klang hart und kalt. Doch schwang auf einer anderen, tieferen Tonlage Enttäuschung und Einsamkeit mit.
»Ihr hattet aber einen Streit? Wann?«
»An meinem achtzehnten Geburtstag! Ein richtiger Streit war das auch nicht. Sie sagte mir etwas. Ich war geschockt und enttäuscht, packte wortlos meine Sachen und ging! Seither herrscht absolute Funkstille!«
»Verständlich! Du fühlst dich verraten! Hinters Licht geführt! Nichts war mehr so, wie es einen Tag, eine Stunde, eine Minute vorher noch war. Es war, als würde man dir den Boden unter den Füßen wegziehen. Nicht wahr?«
Jetzt kam Petra ins Stottern: »Du, du, du weißt!«
»Ja! Und vielleicht mehr als du. Wie du mir das eben geschildert hast, kam es nicht zu einer Aussprache zwischen dir und deiner Mutter.«
»Nein! Was ich gehört hatte, reichte mir. Mehr wollte ich nicht wissen. Vielleicht wären dann weitere Lügen gekommen, erlogene Entschuldigungen!« Petra trank einen Schluck Kaffee. Sie spürte einen Kloß im Hals.
»Wenn du mehr wissen willst, dann kannst du fragen. Ich dränge mich dir nicht auf. Wie ich in meinem Schreiben darlegte, hast du geerbt. Wir können jetzt einfach die Testamentseröffnung vornehmen.« Er schaute sie an. »Oder wir können zuerst reden.«
Petra holte tief Luft.
»Gut! Irgendwann muß ich mich den alten Geschichten stellen. Ich denke, daß du als Rechtsanwalt und Notar sachlicher und ehrlicher bist als Mutter.«
»Ich bin das schon von Berufs wegen. Aber natürlich bin ich auch nur Mensch.«
»Fang schon an!« sagte Petra zornig und schaute ihn dabei mit großen Augen an.
»Also! Deine Mutter war schon einmal verheiratet. Sie lebte nach der Hochzeit nur knappe vier Wochen mit dem Mann zusammen. Er hieß Zacharias Vogelmeier.«
»Ist das mein Vater?« fragte Petra mit scheuem Augenaufschlag.
Er nickte und sah, daß ihre Hand leicht zitterte.
»Zacharias Vogelmeier entpuppte sich in der Ehe als krankhaft eifersüchtiger Ehemann. Damals lebten dessen Eltern noch, also deine Großeltern. Sie vermieteten Zimmer an Gäste. Deine Mutter half im Haus, wie das eben so ist in einem Familienbetrieb. Da war auch ein Gast – Ingbert Pfleider.«
»Den Mutter dann geheiratet hat und von dem ich dachte, daß er mein Vater ist.«
Er nickte wieder und schaute sie ernst an.
»Es muß dann eines Tages zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen deiner Mutter und Zacharias Vogelmeier, ihrem damaligen Ehemann, gekommen sein. Es war nicht die erste schlimme Auseinandersetzung in der kurzen Ehe. Ingbert Pfleider ging dazwischen und beschützte deine Mutter. Sie war unschuldig. Die Anschuldigungen entsprangen dieser krankhaften Eifersucht, existierten nur in der Vorstellung von Zacharias Vogelmeier.«
Petra hob die Hand.
»Heißt das, daß er handgreiflich gegenüber Mutter war?«
»Was sich damals abgespielt hat, daß soll dir deine Mutter selbst erzählen. Jedenfalls reiste Ingbert Pfleider sofort ab und nahm deine Mutter mit. Er war damals mein Klient. Wir waren außerdem befreundet. So brachte er deine Mutter zu mir. Sie hatte wirklich nichts mitnehmen können, als die Kleider, die sie trug. Wir berieten uns. Meine liebe Frau lieh ihr erst einmal Kleider und Dinge, die eine Frau nun einmal braucht.«
Er trank einen Schluck Kaffee und ließ die Worte auf Petra wirken.
»Dann half Ingbert deiner Mutter, eine kleine Wohnung zu finden und Arbeit. Deine Mutter stellte dann fest, daß sie schwanger war. Ingbert hatte sich inzwischen in deine Mutter verliebt. Er bot ihr an, sie zu heiraten und dich als sein Kind auszugeben. Die Ehe deiner Mutter wurde annuliert. Ich ließ ein paar Beziehungen spielen, und die Sache ging recht schnell. Deine Mutter war schon hochschwanger, als sie heirateten. Dann wurdest du geboren.«
»So war das also«, sagte Petra leise. »Ingbert war immer ein guter Vater. Ich hatte nie gedacht, daß er nicht mein leiblicher Vater sein könnte. Ganz genau wußte ich das auch nicht. Mutter sagte damals an meinem achtzehnten Geburtstag, daß es sein könnte, daß er nicht mein Vater ist, da sie noch eine andere Beziehung hatte, die aber nur kurz gedauert habe. Ich brüllte sie an, daß sie doch wissen müsse, wer mein Vater ist.«
»Was sagte sie dazu?«
»Sie sagte, daß es doch gar nicht darauf ankäme, wer mein leiblicher Vater sei. Ingbert liebe mich wie seine eigene Tochter. Dann bin ich