Toni der Hüttenwirt Paket 1 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
zündete sich seine Pfeife an und ging hinter die Almhütte. Er wollte mit seiner Frau keinen Streit haben. Hilda brachte es fertig, tagelang kein Wort mit ihm zu sprechen. Dann war es auf der Alm noch einsamer.
»Na, ihr beiden? Schon zurück? Seid früh dran!«
»Ja, Hilda! Der Anna hat’s gut gefallen. Wir werden morgen wieder raufgehen und dann ein paar Tage bleiben. Die Anna versteht viel von Hunden. Sie will den Bello trainieren. Dazu muß sie sowieso hier oben sein.«
»Dann wäre es Unsinn, jeden Tag sich die Müh mit dem Aufstieg zu machen«, bemerkte Hilda sachlich.
Antonius gab ihr die leeren Rucksäcke.
»Ah, du hast die Sachen schon in der Berghütte gelassen.«
»Ja, ja! Es gibt morgen noch viel zu schleppen. Ist ja nicht allzuviel drin. Ich habe da zwar schon ein paarmal übernachtet, aber da war ich alleine. Als Mann brauchte ich nicht viel. Aber die Anna soll’s ein bisserl besser haben.«
»Recht so! Mußt das Zeug aber nicht von euch daheim raufbringen. Ich werde dir was zusammenstellen. Wenn du willst, dann können der Wenzel und ich die Sachen teilweise heute noch raufbringen. Mußt mir nur den Schlüssel geben. Wir melken dann ein bissel früher. Es ist dann noch lang genug hell. Und wenn nicht, da übernachten wir in der Hütte und steigen morgen in Allerherrgottsfrüh ab.«
Antonius nickte und reichte Hilda den Schlüssel.
»Danke, Hilda!«
»Nix zu danken! Weiß doch, daß du das gleiche für uns machen würdest. Also, um Küchenzeug und Bettkram und Essen, da mußt dich nicht sorgen, Toni. Sorg du dafür, daß das Madl zünftig gekleidet ist. Du weißt ja, wie das ist mit dem Wetter im Gebirge. Schau, die Wolken kommen näher. Ich denk, daß es doch noch einen Schauer geben kann, wenn nicht heute abend, dann die Nacht.«
»Den Bello lassen wir hier. Bello, sitz!«
Doch Bello hörte nicht auf Antonius. Der ging zu Anna und rieb sich an ihrem Bein. Dann setzte er sich neben sie hin und schaute sie treu an.
»Du, Antonius, der will mit.«
»Mit dir mit!« sagte Antonius. »Mach, wie du denkst. So lang du da bist, hast du das Sagen in puncto Hund. Das habe ich dir versprochen.«
»Ja, dann gehen wir! Bis morgen, Hilda! Grüß mir den Wenzel. Und danke!«
»Grüß Gott, Toni, und sag auch deinen Eltern ein schönes Grüß Gott von uns.«
Anna verabschiedete sich auch von Hilda. Dann rief sie den Hund und sie gingen weiter. Für den Heimweg hatte Antonius den bequemeren Weg gewählt.
»Sagst nichts, Anna? Ist was mit dir?«
»Ich denke nach! Nein, eigentlich denke ich nicht nach. Ich versuche alles hinter mir zu lassen, damit die Kraft der Berge auch auf meine Seele wirken kann. Ich habe viel erlebt, Antonius. Sehr, sehr viel erlebt, seit gestern.«
Anna schaute auf ihre Armbanduhr.
»Gestern um diese Zeit saß ich noch im Auto und haderte mit Sues verrückter Idee. Na ja, das war eigentlich mein anderes Ich. Das war die Dorothea, die ehrgeizige Bankangestellte aus dem hohen Norden, die Flachlandindianerin. Jetzt geht neben dir die Anna, das ist mein neues Ich. Da habe ich eben viele Fragen. Die Anna hat Fragen und die Dorothea hat Fragen. Nun, du hast gesagt, daß man in die Berge gehen soll, wenn man Fragen hat, da würde man die Antworten ins Herz gelegt bekommen.«
»Ja, so ist das! Doch wie ist es bei dir? Hast du dann auch zwei Herzen? Das Herz der Dorothea und das andere Herz schlägt für die Anna!«
»Ist schon ein bisserl so! Die beiden muß ich unter einen Hut bekommen.« Anna seufzte tief. »Ach, Antonius! Ich hätte nie gedacht, daß die Berge so schön sein können. Sie haben mich gefangen und halten alle meine Herzen fest. Doch auch ich habe eine Heimat. Verstehst du?«
Er blieb stehen und schaute ihr in die Augen. Und sie sah in seinen grünen Augen die Freude, daß sie die Berge liebte. Sie sah aber auch die Fragen, die er nicht zu stellen wagte. Und sie war froh, daß er sie nicht fragte, denn sie hatte für sich selbst noch keine Antwort gefunden.
»Anna, hier in den Bergen sagt man seit alters her, wofür dein Herz schlägt, da ist deine Heimat.«
Ganz leise wiederholte Anna:
»Wofür dein Herz schlägt, da ist deine Heimat.«
Sie wußte längst, wofür ihr Herz schlägt. Es schlug für die Berge, die wunderschöne Natur, für die Gipfel, die sie gesehen hatte, für die Berghütte und für Antonius. In allererster Linie für ihn. Wo er ist, da wollte sie auch sein. Dieser Wunsch, diese Sehnsucht erfüllte ihr Herz.
Anna wandte sich ab und schaute über das Tal und weit in die Ferne. Was ist, wenn er mich jetzt fragt? Warum fragt er nicht? Er braucht doch nur zu fragen? Seine Augen sagen doch so viel. Die Gedanken hämmerten in ihrem Kopf. Ihr Herz klopfte. Doch dann erinnerte sie sich plötzlich, daß die Leute hier in den Bergen alles in Ruhe angingen. Sie ließen sich Zeit. Die Natur hatte ihren eigenen Rhythmus. Der Mensch mußte sich unterordnen, dann konnte ihm nichts geschehen. Das Gras auf den Almen brauchte seine Zeit zum Wachsen. Man konnte das nicht beschleunigen. Für jedes Ding gab es die rechte Hand und das rechte Maß.
Anna schaute auf ihre Armbanduhr, ein schickes Modell einer teuren Schweizer Uhrenmarke. Sie nahm sie ab und steckte sie in ihre Hosentasche.
»Was tust du da, Anna?«
»Ich habe meine Uhr ausgezogen. Ich brauche sie nicht mehr. Du trägst doch auch keine Uhr.«
Antonius lächelte sie an. In diesem Augenblick fingen die Glocken der Dorfkirche an zu läuten. Der Wind trug die Töne durch das Tal. Anna setzte sich ins Gras und lauschte.
»Willst nicht weitergehen?«
»Laß mich einen Augenblick, Antonius. Ich will den Glocken zuhören. Verstehst?«
»Anna, es wird dir guttun, einen Augenblick alleine zu sein. Es ist nicht mehr weit bis ins Dorf. Du kannst den Weg nicht verfehlen. Ich gehe schon mal vor. Bello ist ja bei dir. Du kannst dich nicht verlaufen. Bleibe hier ein bisserl sitzen.«
»Danke, Antonius! Ich komme dann später.«
Zum Abschied legte Antonius ihr kurz die Hand auf die Schulter. Dann ging er weiter. Bello legte sich neben Anna ins Gras.
Ihr Herz klopfte. Anna zog die Beine an und schlang die Arme um die Knie. Sie legte ihr Kinn darauf und schaute vor sich hin. Da unten sah sie die wenigen Häuser des Dorfes, die sich entlang der Dorfstraße aufreihten. Einige Höfe lagen abseits an den Hängen. Sie schaute hinüber auf die andere Talseite, wo der Tannenwald sich den Hang hinaufzog. Ihre Augen glitten hinauf zu den Almen und weiter hinauf, dort wo nur noch Moose und Flechten wuchsen und die Gemsen ihr Revier hatten. Sie betrachtete die Steilhänge und Bergpässe mit ihrem Schnee. Die Gipfel lagen teilweise in den Wolken. Die Schläge wurden langsamer und hörten dann ganz auf. Jetzt war es ganz still.
Anna stand auf und ging weiter in Richtung Dorf. Bello lief nicht voraus, sondern begleitete sie bei Fuß. Etwas weiter stand eine Bank. Sie setzte sich darauf und vergrub die Hände in ihre Hosentaschen. Ach, da war ja auch ihr Handy. Sie hatte es ausgeschaltet. Anna sah kurz nach, ob Nachrichten gespeichert waren. Ja, ihre Freundin Sue hatte wohl mehrmals angerufen und bat um Rückruf.
»Dorothea ist nicht da«, sagte sie leise vor sich hin. »Und Anna hat keine Lust dich anzurufen.«
Sie steckte ihr Handy wieder ein. Entspannt streckte sie die Beine von sich und legte die Arme rechts und links auf die Rückenlehne. Sie hätte die Welt umarmen können. Anna schloß die Augen. Sie ließ die Stunden seit ihrer Ankunft noch einmal in Gedanken vorbeiziehen.
»Grüß Gott, junge Frau!« riß sie eine Stimme aus ihren Träumereien. Anna riß die Augen auf und blinzelte gegen die Abendsonne. Schützend hielt sie die Hand über die Augen. Vor ihr stand ein alter Mann. Er ging gebeugt und stützte sich auf einen Stock.
»Du