Toni der Hüttenwirt Paket 1 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
Vor ihnen auf dem niedrigen Tisch aus Edelstahl und Glas hatte die Haushälterin Häppchen und Getränke serviert. Doch keiner hatte Appetit. Seit zwei Stunden trippelte Beate Clausen im Zimmer auf und ab. Die spitzen Absätze ihrer eleganten Schuhe lösten bei jedem Schritt ein knallendes Geräusch aus.
»Nun setz dich endlich hin, Beate! Dein Getrippel ist nervig«, brummte Norbert Angermann. Seine Geduld war ziemlich zu Ende. Beate führte sich nicht wie eine erwachsene Frau auf. Nur der gute und beruhigende Einfluß seiner Frau hatte ihn bisher davon abgehalten, Jutta, seiner wohl künftigen Schwiegertochter, einige deutliche Worte zu ihrem Verhalten zu sagen.
»So, das Getrippel stört dich! Wenn dich sonst nichts stört, Norbert, dann verstehe ich dich nicht.« Sie schaute auf ihre goldene Armbanduhr. »Seit mehr als zwei Stunden erkläre ich euch, daß ich Jens’ Verhalten unmöglich finde. Der Kerl ist verschwunden. In Urlaub gefahren, ohne mir etwas zu sagen! Er reagiert nicht auf meine Anrufe. Sein Handy hat er ausgeschaltet. Keine Nachricht! Nichts! Nichts! Nichts! Ich bin jetzt die zweite Woche ohne ein Lebenszeichen. Ich frage euch, was das soll. Ist das Dummheit? Ist das ein Spiel? Sagt es mir!«
Beate Clausen blieb für einen Augenblick stehen. Sie zupfte ihr helles Seidenkostüm zurecht.
»Wie könnt ihr nur so ruhig sein? Er geht einfach, ohne zu sagen wohin! Er sagte nicht, wann er wiederkommt? Wie stehe ich da! Was soll ich den Gästen sagen, die meine Eltern zum Wochenende zur Party eingeladen haben. Wie stehe ich da? Mama und Papa habe ich noch nichts gesagt. Aber lange läßt es sich nicht mehr verheimlichen.«
»Da gibt es nichts zu verheimlichen. Jens hat mit seinem Wanderzeug das Haus verlassen. Du kennst ihn doch, Beate. Wenn er sich geärgert hat, dann hat er sich schon immer zurückgezogen. Ich finde, du reagierst überzogen.«
»Jetzt fall du mir nicht auch noch in den Rücken. Na, ist ja kein Wunder, bei euch Zwillingen. Ansonsten bekämpft ihr euch wie Feuer und Wasser, aber wenn es darauf ankommt, dann haltet ihr zusammen wie Pech und Schwefel. Ich hätte es mir ja denken können, daß ich bei dir auf kein Verständnis stoße.«
»Beate, das ist nicht wahr!« verteidigte sich Jörg. »Deinetwegen hatte ich sogar Streit mit meinem Bruder. Ich habe ein gutes Wort für dich einlegen wollen. Langsam machst du auch mich nervös. Da stimme ich Vater zu. Was soll denn sein? Jens wird in die Berge gefahren sein. Du kennst ihn doch.«
»Wohin fährt er denn gewöhnlich?«
Jörg lachte laut auf. Es klang höhnisch.
»Mein Bruder ist dein Verlobter. Du solltest also der Mensch sein, der ihm am nächsten steht, der um seine Ziele, Wünsche und Leidenschaften weiß, der seine Freuden mit ihm teilt. Jetzt fragst du mich, wo er sein könnte?«
Beate Clausen setzte sich und schmollte. Dann versuchte sie die Mitleidstour.
»Du kennst mich doch ganz gut, Jörg. Du weißt doch, daß ich mir aus seiner Leidenschaft für die Berge nichts mache. Ich kann den Bergen nichts abgewinnen. Ich kann nichts mit ihnen anfangen. Einmal hab’ ich es ja probiert, aber dann einigten wir uns. Ich ließ Jens die Freiheit für sein Hobby und er bedrängt mich nicht mehr, mir die angebliche Schönheit der Berge zu beschreiben. Ich kann diese Begeisterung einfach nicht nachvollziehen. Jens war da sehr verständnisvoll. Das Thema klammerten wir einfach aus. Jens liebt mich und wollte mich damit nicht quälen. So ist es doch nur verständlich, daß ich nicht die geringste Ahnung habe, wo er seinen Urlaub verbringen könnte. Aber ihr, ihr müßtet es doch wissen. Sagt es mir!«
»Er kann überall sein in den Bergen, Beate. Was würdest du machen, wenn du wüßtest, wo er ist?«
»Ich würde ihn anrufen. Ihm sagen, daß er kommen soll. Schließlich hat er Verpflichtungen. Meine Eltern erwarten ihn zur Party.«
Beate Clausen schaute auf den Fußboden.
»Ich vermisse ihn. Ich kann über Gefühle schlecht sprechen. Das ist nicht meine Art und das gehört sich auch nicht. Jedenfalls ist er verschwunden, und ich will ihn wieder haben. Also, ihr seid seine Familie. Helft mir! Was ist nun?«
Die Eltern schauten sich unschlüssig an. Jörg ergriff das Wort.
»Beate, du bist wirklich eine sehr schöne und attraktive Frau. Jens ist ein ernster Typ. Er nimmt das Leben viel schwerer als ich. Hat er eine Aufgabe, dann verbeißt er sich Tag und Nacht hinein. Er erbringt Höchstleistungen. Aber er ist nie zufrieden mit dem, was er erreicht hat. Er will immer noch höher und weiter hinauf. Hat er einen Gipfel erreicht, dann peilt er schon den nächsten höheren an. Nie hält er mal inne und gewinnt Ruhe. Er ist oft böse auf alle, die nicht so sind wie er. Du bist da ganz anders. Du machst auch deinen Job. Aber genau wie ich, kannst du auch mal genießen, eine Pause einlegen, relaxen. Ich hatte gehofft, daß er ruhiger wird, wenn er mit dir zusammen ist.«
»Wie soll ich Einfluß auf ihn ausüben, wenn er nicht da ist! Die ganzen letzten Monate hat er sich in das Projekt verbissen. Ich kam mir vor, wie das fünfte Rad am Wagen. Immer mußte ich warten. Immer kam er zu spät. Immer war er mit seinen Gedanken bei der Arbeit.«
Norbert Angermann räusperte sich. Er legte den Arm um seine Jutta.
»Bei uns beiden war das im Anfang auch so. Ich war ehrgeizig. Wollte viel erreichen, doch nicht für mich, sondern für meine Frau. Jutta muß sich damals oft sehr einsam gefühlt haben.Sie nahm mich einfach so wie ich war. Ohne viel Worte zu machen, stärkte sie mir den Rücken. Ich bin ihr heute noch dankbar. Weißt du, Beate, ich habe lange nachgedacht, warum wir Männer so ehrgeizig sind. Das kommt daher, weil wir eigentlich wenig Einfluß auf die Familie haben. Wir arbeiten und sind den ganzen Tag von Frau und Kindern getrennt. Die Entwicklung der Familie, das Heranwachsen der Kinder findet doch im Grunde ohne uns statt. Es ist die Mutter, es sind die Frauen, die alles managen. Sie halten die Familie zusammen. Sie planen und führen aus. Sie beantworten Hunderte von Fragen täglich. Wir Männer, die wir draußen sind, wir kennen doch die Entwicklung unserer Kinder nur aus Erzählungen. Das ist sehr unbefriedigend. Wir suchen nach einem Ausgleich, auch nach einer Bestätigung. Wir verbeißen uns in unseren Ehrgeiz.«
»Was hat das Ganze mit Jens zu tun? Noch habe ich mit ihm keine Familie!« verwundert sah Beate ihren zukünftigen Schwiegervater an.
»Ich habe dir das erzählt, weil ich kürzlich ein Gespräch mit Jens hatte.« Er schaute kurz zu seiner Frau und seinem Sohn. »Ihr wißt nichts davon. Jens und ich hatten neulich ein langes nächtliches Männergespräch. Jens will bis zur Hochzeit noch viel erreichen. Er arbeitet quasi auf Vorrat, legt ein Depot an. Dann will er kürzertreten, sich mehr Zeit nehmen. Er fühlt in seinem Innern, daß es da noch etwas anderes geben muß. In weiter Ferne sagt er, hört er einen Ruf, vielleicht eine Berufung. Er könnte die Stimme noch nicht genau verstehen. Aber er wollte der Sache nachgehen. Vielleicht gäbe es da etwas, was er noch nie gemacht hätte, sich aber vielleicht unbewußt danach sehnt. Vielleicht will er einem verborgenen Talent in sich nachspüren und es ausleben, vielleicht einen ganz neuen Weg gehen. Er sagte mir, daß er dich sehr mag. Aber bevor er das Leben mit dir beginnt, möchte er sich selbst finden. Er sei auf der Suche, das spüre er deutlich. Er wisse aber nicht, nach was er sucht.«
Beate Clausen schaute ratlos in die Runde.
»Davon hat er mir nichts gesagt.«
»Hättest du ihm denn zugehört? Hättest du ihn verstanden? Hör mal, Beate, ein Mann kann einer Frau nur völlig glücklich machen, wenn er selbst glücklich ist. Ich hatte den Eindruck, daß Jens nicht sehr glücklich war.«
»Doch, er war, er ist glücklich mit mir. Wir sind doch das perfekte Paar.«
»Ich spreche von einem anderen Glück, Beate.« Norbert Angermann warf seinem Sohn einen Blick zu. »Entschuldige, Jörg, aber ich muß es zur Sprache bringen.«
Jörg Angermann nickte.
»Beate, es gab einen heftigen Streit zwischen den beiden Zwillingsbrüdern. Zwillinge sind sich näher als Menschen es sonst je sein könnten. Aber gerade weil sie sich so nah sind, kann es auch zu Mißverständnissen kommen. Die beiden haben heftig gestritten. Dann verließ Jens das Haus. Ich denke, daß er über Verschiedenes allein nachdenken