Toni der Hüttenwirt Paket 1 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
Trennung. Er wird spüren, daß du dich nach ihm sehnst und kommen.«
»Sieh mal an, der Ingenieur erteilt Lektionen in Sachen Leben und Liebe. Papa, du überraschst mich!«
»Warum bist du überrascht? Deine Mutter und ich sind jetzt fast dreißig Jahre verheiratet. Je länger wir zusammen sind, desto schöner und tiefer wird unsere Liebe zueinander. Wir wünschen uns für unsere Söhne, daß sie das auch erleben. Uns hat man es nicht gelehrt vom Elternhaus her. Uns hat es das Leben gelehrt. Beate, du fühlst dich hier auf wie ein Kind, das sein Spielzeug verloren hat. Schade! Einen Menschen kann man nicht besitzen. Man kann keine Forderungen stellen. Man liebt nur. Daraus ergibt sich alles. Liebe ist selbstlos und ohne Eigennutz. Wenn sie so ist, dann versteht man den anderen ohne Worte.«
Jutta Angermann kuschelte sich an ihren Mann.
»Beate, ich will dich etwas fragen. Wenn Jens hier zur Tür hereinkommen würde, was würdest du tun?«
Beate schüttelte den Kopf.
»Ich verstehe dich zwar nicht, was du mit der Frage bezweckst, aber ich will sie dir beantworten, Jutta. Ich würde ihn natürlich sofort fragen, wo er war, warum er so abgereist ist, ohne ein Wort. Wie er mir das alles hat antun können. Ja, das wollte ich erst einmal wissen.«
Jutta und ihr Mann schauten sich in die Augen.
»Ist das falsch? Würdet ihr das nicht fragen?«
»Beate, Jens ist unser Sohn und wir sind deshalb bestimmt voreingenommen, so wie es Eltern eben nun mal sind. Es ist auch ihr Vorrecht. Ich kann dir deshalb nur sagen, wie ich es als Mutter machen würde. Ich werde Jens einfach in die Arme nehmen und ihm sagen, daß ich mich freue, daß er wieder da ist. Dann werde ich in seine Augen sehen und feststellen, ob er glücklich ist. Wenn ihm dann danach ist, dann wird er erzählen.«
Beate Clausen stand auf. Sie zog ihren Rock zurecht, griff nach ihrer Handtasche und warf den Kopf in den Nacken.
»Ich gehe dann besser. Ich dachte, ich finde hier bessere Unterstützung. Könnt ihr denn nicht begreifen, daß ich mich um Jens sorge?«
Sie drehte sich auf dem Absatz um und rannte zur Tür. Die Angermanns hörten, wie die Haustür mit einem lauten Knall ins Schloß fiel.
»Wie lange ist Jens schon in Urlaub?« fragte Norbert Angermann rein rhetorisch.
»Etwas über zwei Wochen, Vater!« Jörg rührte in seinem Kaffee. »Vater, dann meinst du, daß ich mir keine Vorwürfe machen sollte. Ich meine, wegen des Streites zwischen mir und ihm?«
»Nein, Jörg! Jens war auf der Suche. Du hast ihn etwas geärgert mit deinen Anspielungen und Bemerkungen. Sie waren nur der Auslöser. Mache dir keine Vorwürfe!«
»Wenn du meinst.«
Jutta Angermann setzte sich neben ihren Sohn.
»Jörg, es war nicht einfach für uns mit euch beiden. Wir wollten euch beiden gerecht werden. Du warst immer schneller, weil du dich mit viel weniger zufrieden gegeben hast als Jens. Du hast immer schneller gefunden, was dich glücklich macht. Jens hat seine Meßlatte immer ganz oben aufgelegt. Ich und dein Vater hoffen, daß er findet, was er sucht.«
»Aber es kann doch auch etwas sein, was nicht zu akzeptieren ist.«
»Nein, Jörg!« Sie lächelte ihren Sohn an. »Jeder Mensch hat ein Recht zum Glücklichsein. Keiner darf dem anderen vorschreiben, was Glück ist, was er darf oder nicht darf. Jeder hat sein eigenes Leben und ist nur selbst dafür verantwortlich. Jeder will Glück. Glück kommt nicht von außen, sondern von innen. Jens ist in die Berge gereist. Dort war er immer glücklich. Er wird mit ganz neuen Ideen und viel Kraft und Zuversicht wieder kommen, wenn er es für richtig findet. Gönne ihm die Auszeit, gleich wie lange sie dauert! Zum Glück sind wir ein Familienbetrieb und können ihm deshalb mehr Freiheit geben.«
»Dann bist du nicht beunruhigt, daß er noch nichts von sich hören ließ, Mutter?«
»Nein! Eine Mutter und auch ein Vater müssen nicht unbedingt etwas von ihrem Kind hören oder wissen, was es macht oder wo es ist. Die Verbindung ist einfach da. Später, wenn du auch einmal Kinder hast, wenn du diese wirklich liebst, dann wirst du mich verstehen. Wir fühlen, daß Jens glücklich ist. Würde es ihm schlechtgehen, hätte er sich sicherlich schon gemeldet.«
»Gut, dann warten wir es ab. Ich kann seine Arbeit mit übernehmen, Vater.«
»Wir teilen uns sein Aufgabengebiet, Jörg.«
Es war alles gesagt. Die nächste Zeit hörten sie auch wenig von Beate. Sie rief Jörg einige Male an, damit er ihr etwas an ihrem Auto machte. Das war alles.
*
Toni kam regelmäßig abends von der Hütte herunter. Die beiden Männer hatten sich angefreundet. Dann saßen sie vor der Hütte und rauchten. Toni erzählte von den Bergen. Es waren die Geschichten, die ihm einst Alois erzählt hatte. Er schwärmte von seiner Berghütte und dem gemeinsamen Leben mit Anna.
»Toni, deine Renovierungen auf der Berghütte, die interessieren mich.«
»Oh, das habe ich schon bemerkt. Du hast mir auch wirklich nützliche Ratschläge gegeben, Jörg. Ich dank dir auch schön dafür. Scheinst von der Sache etwas zu verstehen!«
»Ja, das kommt mir auch so vor. Aber ich kann mich an nichts erinnern, immer noch nicht. Ich weiß nicht einmal, ob ich Jörg heiße.«
»Ich versuche, dich zu verstehen. Wirklich nachvollziehen, wie du dich fühlen mußt, kann nur einer, der selbst mal in so einer Lage war. Aber du kannst beruhigt sein. Du bist hier unter Freunden. Martin meint, es wäre auch nicht besser gewesen, wenn du in ein Krankenhaus gegangen wärst. Die können dein Gedächtnis auch nicht herzaubern. Der Stein hat dir eben ein bissel das Hirnkastl durchgeschüttelt. Doch das wird schon wieder, da bin ich mir sicher. War halt net gut, daß du keinen Helm getragen hast.«
»Das verstehe ich auch nicht. Ich kann mich an vieles erinnern, was mit Wandern und Klettern in den Bergen zu tun hat. Ich weiß oder hätte wissen müssen, daß es leichtsinnig ist, ohne Helm in die Berge zu gehen, besonders, wenn man so hoch raufgeht, wie ich es immer tue.«
»Vielleicht wird sich das eines Tages alles klären. Mußt Geduld haben! Es ist ja erst ein paar Wochen her.«
»Aber ewig kann ich auch nicht hierbleiben und es so belassen, wie es ist! Ich liebe Franzi genauso, wie du die Anna liebst. Aber ich bin ein Mann ohne alles. Ich habe keine Erinnerung, weiß meinen Namen nicht, habe keine Papiere. Ich weiß nicht, wo ich gewohnt habe und was ich gemacht habe. Ich muß sehen, daß ich meine Vergangenheit bewältige, damit ich mit Franzi eine Zukunft habe!«
Antonius Baumberger zog an seiner Pfeife.
»Also, ich denk’, daß du ganz schön zupacken kannst. Du bist vielleicht ein Handwerker gewesen, ein Schreiner, Tischler oder Dachdecker. Du hast gute Ideen und scheinst Ahnung zu haben. Arbeit wirst schon finden hier!«
Toni schlug sich mit der flachen Hand auf seine Oberschenkel.
»I hab’s!« schrie er laut. Franzi kam besorgt angerannt.
»Was is?«
»Franzi, ich nehm’ den Jörg mit auf die Berghütte. Der versteht sehr viel von handwerklichen Arbeiten. Dann bin i nimmer so allein da oben – und er kann was tun. Ich mein mehr tun als hier. Ich glaub’ nämlich, daß ihm dann vielleicht was einfällt.«
»Das ist eine gute Idee, Toni. Mein Schatz versteht was von solchen Dingen. Aber ein Handwerker war er bestimmt nicht.«
Die beiden Männer schauten Franzi verblüfft an.
»Nun schaut nicht so! Ich hab’ mir da so meine Gedanken gemacht. Auf der einen Seite hat er wirklich gute Einfälle und ist auch sehr geschickt.«
Franzi griff nach Jörgs Händen und drehte sie mit den Handflächen nach oben.
»Schaut! Keinerlei Schwielen! Das sind nie und nimmer die Hände von einem Handwerker. I denk, daß du