G.F. Barner Staffel 5 – Western. G.F. BarnerЧитать онлайн книгу.
Tasche sind zwei Schraubenschlüssel, eine Zange und noch ein Schlüssel mit einem Handgriff für einen Steckbolzen.
Es ist Harry Ducans Idee gewesen, eine Idee, auf die er sogar stolz ist. Harry Ducan hat sich den Kopf zerbrochen wie man eine Kettenkupplung durch ein Kettenglied ersetzen kann. Und die Lösung hat er gefunden. Die Kettenglieder werden in den Haken gehakt, so ist das üblich, der Haken dann mittels eines Steckbolzens gesichert. Ducan hat lange überlegt, aber dann die richtige Idee gehabt.
Man braucht nur ein einziges, etwas schwereres und dickeres Kettenglied zu haben, ein offenes Glied, also ein U. Oben durch das U werden zwei Löcher gebohrt, das eine größer, das andere etwas kleiner. In das kleinere Loch wird ein Gewinde geschnitten. Und dann steckt man einen Bolzen ganz einfach oben durch die beiden Schenkel des U und dreht den Bolzen vielleicht drei oder vier Gänge weit in das Muttergewinde ein. Dieses Gliedstück, das man an der üblichen Verbindungskette befestigt, hakt man nun mit dem Bolzen hinter den großen Haken des nächsten Waggons.
Ist aber an dem Steckbolzen ein Handgriff, dann kann man selbst bei der schwersten Belastung an einer Steigung, also bei voller Strämmung der Kette, den Bolzen herausdrehen.
Es kann nichts schiefgehen, das weiß Ducan genau. Nur, er muß erst einmal an den Zug herankommen. Der Zug kommt auf diesem Gleis, das weiß er genau. Einige leere Güterwaggons stehen auf dem Nebengleis.
»Du, Harry, wenn der Arm nun nicht fällt?«
»Der fällt, ich sage es dir. Ich habe um die Hauptmutter Leder getan und dann mit dem Schraubenschlüssel das Ding losgedreht. Es sitzt höchstens noch auf einem Gewindegang. Sie werden denken, daß sich die Mutter von allein losgedreht haben muß, wenn sie das Ding anleuchten. Wetten, daß das Rohr fällt, wenn sie den Arm schwenken?«
»Aber wenn nicht?«
»Mann, er kracht runter, ich sage es doch. Sie brauchen ihn nur zu schwenken, dann kommt er herunter. Hoffentlich steht nicht gerade einer darunter.«
»Na und wenn schon?«
»Kann einer meiner Freunde sein, verstehst du das nicht? Einige sind zu Hause geblieben, nicht aus Feigheit, aber weil die Bahn die Leute gebraucht hat. Nun halte mal die Klappe, du Revolvermann, der Zug muß gleich kommen. Du paßt mir auf. Wenn ich es schaffe, dann hänge ich mich unter die Plattform; die drei Meilen hält mein dicker Bauch das aus. Winke ich, dann hau ab, nimm meinen Gaul mit und reite zum Captain. Hörst du nichts?«
»Doch, den Zug.«
Und Mulligans Hals ist auf einmal ganz trocken.
Der Zug kommt, der das Geld bringen soll.
Du ahnst es nicht, denkt Mulligan, früher hab’ ich Leute gesucht, die Geld gestohlen hatten, heute klaue ich selber welches, verrückte Welt, was? Aber mir Gedanken machen? Wozu Gedanken machen. Man lebt, man macht
das, was einem befohlen wird, mehr nicht.
Harry Ducan starrt nach Osten. Und dann sieht er den Zug seine drei Lichter tauchen auf.
Er schiebt sich ganz an das eine Rad und blickt dem Zug entgegen. Nach seiner Berechnung müßte ungefähr hier der Wagen hinkommen.
Der Zug rollt aus, Bremsen kreischen. Stimmen werden laut, aber an der Gegenseite, zur Verladerampe hin.
»Harry, er hält zwanzig Yards vor uns.«
»Seh ich doch. Wird Harry Ducan auch mal kriechen müssen. Komm hinterher, mach dich flach.«
Er kriecht los, unter den abgestellten Güterwaggons durch. Direkt nebenan steht der Zug mit dem vielen Geld und der Wachmannschaft. Einer spielt da drin auf einer Harmonika. Und die Wachen, selbst wenn sie um die Ecke sehen könnten, die Güterwagen versperren ihnen die Sicht auf die nächsten Schienen nebenan, die sehen überhaupt nichts.
Besser kann es nicht kommen, denkt Harry und hört einen Pfiff.
Es kracht laut, als wenn ein großes Blechrohr aus sechs Meter Höhe auf den Boden kracht.
»Verdammter Mist…«
Und dann geht es los. Sie fluchen so schön und so lange. Und das alles nur, weil Harry Ducan seiner eigenen Bahngesellschaft einen Streich gespielt hat. Harry grient, wird aber jäh ernst, als eine Stimme sagt:
»Setzt die Maschine zehn Schritte zurück, damit das Rohr runter fällt. Wie ist das gekommen, Archer?«
»Mr. Glove, die Mutter ist von allein losgegangen.«
»Da habt ihr faulen Kerle wieder mal drei Monate nicht nachgesehen.«
»Mensch«, sagt Ducan heiser. »Die setzen zurück. Und ich bin gekrochen, ich, stell dir das vor. Wiedersehen, Revolverheld.«
Und dann rollt er zwischen die Schienen.
Sergeant Harry Ducan liegt unter dem Zug, streckt die Arme aus, greift nach den Blattfedern und zieht sich hoch.
Es klappert vorn an der Maschine, sie fährt zurück. Neben Ducan läuft jemand. Ducan hängt unter dem Waggon und bleibt ganz ruhig. Einen alten Eisenbahner kann das nicht erschrecken. Er muß einen Augenblick an den Captain denken. Barlogh hat sich wirklich die besten Leute ausgesucht, das muß man ihm lassen. Er ist in ein Straflager gegangen, um sich die härtesten Burschen auszusuchen. Und er hat sie gefunden.
Die Puffer knallen, der Zug steht wieder.
»He, nehmt Eimer, kommt mal alle her. Lieutenant, wir brauchen eine Eimerkette.«
Da müssen sie erst mal Eimer suchen, denkt Ducan, das dauert eine Weile. Warten, bis sie wieder vorsetzen.
Der Zug ruckt bald darauf an. Unter den Güterwagen auf dem Nebengleis sieht Ducan den Schatten von Mulligan. Ducan läßt sich sinken, zwei Schritte, nimmt beide Hände hoch, liegt genau zwischen den Gleisen und den Puffern. Er greift hoch und hat den Verriegelungsbolzen erwischt. Und dann dreht er den Lochbolzen langsam. Er keucht einmal, sieht und hört niemanden in seiner Nähe und kann den Bolzen rausziehen.
Im nächsten Augenblick liegt er ganz still, zieht nur die Hand langsam zurück und hört die Schritte von zwei Männern.
»Es wird etwas länger dauern, Lieutenant«, sagt neben ihm jemand, dessen Stiefel er nur sehen kann. »Fünf Minuten vielleicht, mehr nicht.«
»Pünktlichkeit, Mr. Forler, Pünktlichkeit, eins der Gebote für einen Soldaten. Na ja, wir sollten nicht so viel Zivilisten beschäftigen, weiß schon. Also gut, haben Sie Kaffee da? Dann können Sie mir einen Becher bringen.«
»Ich hole die Kanne, Sir.«
Der eine Mann verschwindet. Der Lieutenant, dieser und jener sollen ihn holen, bleibt doch haargenau neben dem Waggon stehen.
Hau ab, Mann, sagt sich Ducan. Verschwinde, sause ab.
Der Lieutenant bleibt stehen, geht erst nach einigen Sekunden zum Transportwagen.
Die ganze Zeit hat Ducan den Bolzen in der Hand gehabt, legt ihn nun hin, zieht das eine Glied aus der Tasche und dreht. Einmal, zweimal, die dritte Umdrehung – geschafft.
Er schnauft leise, dann stemmt er die Kette hoch, führt das U-Glied ein und setzt den Bolzen nach. Er zieht einmal, die Kette klirrt leise. Erschreckt hält er inne, wartet, versucht es wieder und merkt, daß das U-Teil festsitzt.
Nun nur noch die richtige Lage finden, so liegen, daß er sich auf die Puffer ziehen kann, auch wenn der Zug fährt. Er stemmt den einen Fuß gegen den Aschkasten, mit der einen Hand greift er zum linken Trittbrett. Wenn er sich jetzt einen Stoß gibt, dann wird er auf dem Trittbrett landen. Sobald der Zug langsame Fahrt hat, das weiß Ducan, muß er sich auf das Trittbrett werfen. Sie können ihn von innen in dem Winkel, in dem er liegt, dann nicht sehen. Erst dann, wenn er den Gewindebolzen herausdreht, muß er knien, dann könnten sie ihn sehen, aber sie brauchen nicht unbedingt gerade in dieser Minute aus dem kleinen Sehschlitz zu blicken.
Vorn klappern Eimer, eine Stimme ruft laut:
»Beeilt euch, nicht so müde. ihr könnt ruhig mal etwas tun.«