Eine Reise nach Hawaii. Theodor KirchhoffЧитать онлайн книгу.
die Masern Tausende hin. Kapitän Cook schätzte die Bevölkerung der Sandwichinseln auf 400 000; wahrscheinlich zu hoch, weil er sich durch die vielen Neugierigen, die von allen Inseln herbeigeeilt waren, um die Schiffe zu sehen, täuschen ließ. Aber alle alten Seefahrer veranschlagten die Bevölkerung auf Hunderttausende, wenn auch bedeutend niedriger als Cook. Heute, nach hundert Jahren, sind nur noch 40 000 übriggeblieben! Daß das gänzliche Aussterben der Kanaken nur eine Frage der Zeit ist, muß jedem einleuchten, der die obigen Zahlen aufmerksam gelesen hat.
Besonders traurig ist dies, weil der Volksstamm der Kanaken den meisten Naturvölkern sowohl geistig als körperlich weit voransteht. Die Bewohner von Tahiti, Tonga und Samoa und die Maoris auf Neu-Seeland, welche letzteren mit Erfolg ein Menschenalter lang gegen die Engländer kämpften, gehören zu derselben Rasse. Die Eingeborenen der Sandwichinseln haben sich die neuere Kultur – leider auch deren Laster! – mit Ausnahme einiger nationaler Eigentümlichkeiten, namentlich in Nahrung und Gewohnheiten, erstaunlich schnell angeeignet. Sie kleiden sich wie die Weißen. Ihre Kinder schicken sie freiwillig zur Schule, wo jene die englische Sprache schnell bemeistern; im Parlament zeichnen sie sich als Redner aus; die Gebildeteren unter ihnen wissen so gut in der Politik Bescheid wie irgend ein Yankee; als Seeleute und verwegene Reiter haben sie eine Berühmtheit erlangt. Sie schwärmen für Musik; ihre Vorliebe für Blumen hat etwas Kindliches, das außerordentlich angenehm berührt; sie besitzen einen Schatz von alten Helden- und Göttersagen, worauf jedes Volk der Welt stolz sein könnte. Daß ein solcher Volksstamm nicht die sittliche Kraft besitzt, sich der von den Weißen erlernten Laster zu erwehren, ist tief zu bedauern. Schon der Besuch der Schulen beweist, wie viel Tüchtiges in den Kanaken steckt. Im Jahre 1886 wurden im Königreiche Hawaii 172 Schulen mit 300 Lehrern von 9016 Schülern besucht, die sich nach Nationalitäten folgendermaßen verteilen:
Hawaiier | 5881 |
Portugiesen | 1185 |
Mischlinge | 1042 |
Norweger | 55 |
Amerikaner | 300 |
Chinesen | 130 |
Engländer | 191 |
Südsee-Insulaner | 24 |
Deutsche | 175 |
Japaner | 33 |
zusammen 9016 Schüler, und zwar 5060 Knaben und 3956 Mädchen. 44 000 Kanaken und Mischlinge sandten also nahezu 7000 Kinder in die Schulen; 20 000 Chinesen nur 130 Kinder! – Der Census-Superintendent macht dazu die Bemerkung, daß volle 80 % der eingeborenen hawaiischen Bevölkerung (d. h. solche, die das 6. Lebensjahr überschritten haben) Schulbildung genossen haben. 2/3 der Schüler werden nur in der englischen Sprache unterrichtet, 1/3 in Hawaiisch; der englische Unterricht ist in rascher Zunahme begriffen. Die für höhere Lehrzweige eingerichteten »Colleges« stehen fast alle unter der Leitung geistlicher Lehrer, namentlich katholischer Priester. Diese vorzüglichen Lehranstalten würden auch in alten Kulturländern ein hohes Ansehen genießen.
2. Justus Perthes giebt den Flächeninhalt des Königreichs Hawaii auf 16940 Q Kilometer an, – fast so groß wie die Provinz Schleswig-Holstein (ohne Lauenburg). 6740 engl. Q Meilen, die Größenangabe der offiziellen hawaiischen Vermessung, sind = 17282 qkm. 1 qkm = 0,39 engl. Q Meile (square mile). 1,6093 Kilometer = 1 engl. Statute-Meile (16 Kilometer ungefähr = 10 engl. Meilen). 1 Meter = 3,28 engl. Fuß.
Drittes Kapitel.
Ein Königreich mit zwei Gasthäusern. – Das Hawaiian Hotel. – Erste Eindrücke in Honolulu. – Der Gegenseitigkeitsvertrag und seine Folgen. – Amerikanischer Einfluß und Gepflogenheiten. – Ein Paradies für Droschkenkutscher. – Straßenverkehr und Völkergemisch. – Léis-Kränze. – »Aloha!« – John Chinaman. – Das Musikchor des Herrn Berger. – Konzert in Queen Emma´s Square. – Kanaka-Reiterinnen.
Der Fremde, welcher eine Vergnügungsreise nach den Sandwichinseln unternommen hat, findet im Bereiche der Inseln nur zwei gute Gasthäuser, das allen vernünftigen Ansprüchen genügende Volcano-House auf der Insel Hawaii und das vorzügliche Hawaiian-Hotel in Honolulu. Wer sich längere Zeit in dieser Stadt aufhält, wird sich vielleicht ein möbliertes Zimmer mieten, ist aber alsdann auf die Restaurants angewiesen, die von zweifelhafter Güte sind. Die kleineren Kosthäuser sind nicht zu empfehlen. Will ein Reisender die Zuckerpflanzungen besuchen, oder Ausflüge nach den verschiedenen Inseln unternehmen, so ist er ausschließlich auf die Gastfreundschaft der Pflanzer angewiesen. Gasthäuser giebt es dort nicht. Die chinesischen Kosthäuser und Herbergen in einigen kleineren Plätzen verdienen nicht den Namen Gasthäuser und sind für einen civilisierten Menschen abscheulich. Es soll nun allerdings den von aller Welt abgeschlossen lebenden Pflanzern der Besuch eines gebildeten Europäers oder Amerikaners in früheren Jahren meistens recht angenehm gewesen sein. Die Gastfreundschaft der Pflanzer wurde aber nicht selten so mißbraucht, daß ein Fremdenbesuch ihnen heutzutage nur in Ausnahmefällen erwünscht ist. Seit von den sehr schreiblustigen Fremden, welche mit äußerster Gastfreundschaft aufgenommen wurden, insbesondere von Amerikanern, oft die entstellendsten Berichte über Hawaii in den Zeitungen veröffentlicht werden, sehn sowohl die Bürger Honolulus als die Pflanzer sich den hereingeschneiten Ausländer, der vielleicht Reisebriefe für ein Wochenblatt in Hangtown in Californien oder für eine Zeitung in Pike County in Missouri liefert, erst etwas genauer an, ehe sie ihn in ihre Familienkreise einführen, oder ihm ihre Gastfreundschaft anbieten. Scheint seine Bekanntschaft wünschenswert zu sein, so kann er sich auch heute noch gewiß nicht über einen kalten Empfang beklagen.
Das nach amerikanischem Vorbild eingerichtete und geleitete Hawaiian Hotel, ein ansehnliches von zwei übereinander liegenden breiten Verandas umgebenes Gebäude aus »Concrete« (durch Cement verkittete zerschlagene Lava- und Korallensteine), ist das Hauptquartier aller Fremden, welche Honolulu besuchen. Da die Unsitte der Trinkgelder noch nicht nach Hawaii gedrungen ist, so kann man den Preis von drei Dollars den Tag für Wohnung und Beköstigung nebst freien Bädern in diesem vorzüglichen Gasthof nicht hoch nennen. Bei Tisch werden meistens californische Weine getrunken. In der Vorhalle hängen große blutrote Vulkanbilder, Landkarten der Inseln, Photographien hawaiischer Naturschönheiten u. s. w. Die Landkarten werden oft von Reisenden beschaut, die ihre geographischen Kenntnisse bereichern wollen, während die blutigen Vulkanbilder an Dantes Hölle erinnern. Im untern Raum des Gasthauses befinden sich kleine Spielzimmer, ein großer Billardsaal und ein prächtiger, ganz nach amerikanischem Muster eingerichteter Trinkstand (bar). Zu jeder Stunde des Tages und bis spät in die Nacht hinein findet man dort durstige Seelen und eifrige Spieler, welche sich bemühen, die Zeit auf anständige Weise tot zu schlagen. Abends ist in jenen Räumen oft ein dichtes Gedränge. Da man hier, wie allerwärts auf den Inseln, wo die gerichtliche Erlaubnis für den Ausschank (license) 1000 Dollars das Jahr beträgt, nicht für weniger als ¼ Dollar seinen Durst zu löschen vermag, (selbst ein kleines Glas Bier macht keine Ausnahme!) so regnet es an der »Bar«, die eine förmliche Silbermine ist, von größeren Silbermünzen – hawaiisches oder amerikanisches Geld. Kein Gentleman wird so knauserig sein, wenn er sich in dem riesigen, von vergoldetem Schnitzwerk und Säulen überreich eingefaßten Spiegel betrachtet, ohne Mittrinker ein Labsal hinter die Binde zu gießen. Das unter den Inselbewohnern arg eingerissene Traktieren würde jeder californischen Minenstadt zur Ehre gereichen.
Die Aussicht von einer der vorderen Verandas des Gasthauses ist