Sophienlust Extra 9 – Familienroman. Gert RothbergЧитать онлайн книгу.
versichert, wie sehr er sie liebe und dass sie die einzige Frau sei, mit der er sich ein gemeinsames Leben vorstellen könne. Von Heirat hatte er allerdings nicht gesprochen.
Ein bitteres Lächeln umspielte Elisabeths volle Lippen. Wie unerfahren sie damals noch gewesen war. Axels Fehler hatte sie nicht erkannt. Sie hatte in ihm das Idealbild eines Mannes gesehen.
Doch besonders in den letzten Wochen hatte sie Augenblicke gehabt, in denen sie klar erkannt hatte, dass Axel sehr unberechenbar war. Aber auch in dieser Zeit hatte sie ihn immer noch entschuldigt. Vielleicht hätte sie, nachdem Heidi geboren worden war, wieder in ihrem Beruf arbeiten sollen, als Apothekerin? Ob Axel sie überhaupt geheiratet hätte, wenn Heidi nicht unterwegs gewesen wäre? Das war eine Frage, die sie sich nicht zum ersten Mal stellte.
Zu der Zeit, als der Arzt ihr gesagt hatte, sie sei in anderen Umständen, war Axel beruflich unterwegs gewesen. Zuerst hatte sie sich riesig über ihre Schwangerschaft gefreut, doch je näher die Stunde des Wiedersehens mit Axel gekommen war, desto beklommener war ihr zumute gewesen.
Noch heute hörte sie seine gereizte Stimme. »Was sagst du da?«, hatte er wütend gefragt. »Was sollen wir mit einem Kind? Ich will es nicht haben. Versuch alles, um es loszuwerden.«
»Das ist doch nicht dein Ernst«, hatte sie wie betäubt gerufen. »Du verlangst von mir, dass ich das Kind nicht austrage? Das ist doch gleichbedeutend mit Mord!«
»Was für theatralische Worte!«, hatte er getobt. »Vielleicht willst du mich mit dem Kind erpressen! Vielleicht willst du, dass ich dich heirate!«
»Du brauchst mich nicht zu heiraten. Aber das Kind trage ich aus«, hatte sie erklärt und war davongelaufen in der Meinung, dass es zwischen ihnen aus sei. Doch dann war er zu ihr gekommen, hatte sie um Verzeihung gebeten und war so lieb zu ihr gewesen wie seit langem nicht. Dann hatten sie geheiratet.
Natürlich hatte sie gewusst, dass eine Ehe mit Axel voller Aufregungen sein würde, dass es ein unruhiges Leben sein würde. Denn er war viel unterwegs. Eine Freundin von ihr hatte einmal erklärt, Axel sei ein unverträglicher und rechthaberischer Mensch, deshalb halte er es nirgends lange aus. »Das stimmt nicht«, hatte sie ihn verteidigt. »Er ist der beste Ehemann, den es gibt.«
War er das wirklich?, hatte sie sich später manchmal gefragt. Dass er sie betrog, wollte sie einfach nicht wahrhaben oder seine Seitensprünge zumindest tolerieren.
Elisabeth blickte sich wie eine Erwachende um und dachte nun wieder an ihre kleine Tochter Heidi. Sie machte sich bittere Vorwürfe wegen ihrer Nachlässigkeit dem Kind gegenüber.
Ein Frösteln überlief die junge Frau. Vielleicht war Heidi fortgelaufen, weil Axel und sie gestritten hatten?
Wieder kehrten Elisabeths Gedanken zu Axel zurück. Sie hätte doch mit ihm nach Sophienlust fahren sollen, überlegte sie. Vielleicht machte er sich nun große Sorgen um sie.
Dann dachte sie daran, dass sie keine Stunde mehr glücklich sein könnte, wenn sie Axel verlieren würde. Ihr Leben hatte erst durch ihn wieder einen Sinn bekommen. Denn sie hatte ihre Eltern sehr früh verloren und sich seit deren Tod sehr verlassen gefühlt. Sehnlichst hatte sie sich eine Familie gewünscht. Nun hatte sie eine kleine Familie. Eines Tages würde sie noch ein Kind haben, einen kleinen Jungen. Und Axel würde gewiss mit der Zeit beständiger werden.
Elisabeth fasste wieder etwas Mut. Er braucht mich, dachte sie erleichtert. Bisher ist er jedes Mal, wenn er Ärger hatte, zu mir zurückgekommen. Meine Liebe ist stark genug, um alle weiteren Schwierigkeiten zu überbrücken, sagte sie sich und atmete tief auf. Sobald Axel sich an seinem neuen Arbeitsplatz in dem großen Werk in Mannheim eingearbeitet und eine kleine Wohnung gefunden haben würde, würden sie alle wieder vereint sein. Dann würde alles gut werden.
»Dort vorn ist schon Sophienlust«, riss einer der Polizisten sie aus ihren Zukunftsträumen.
»Aber das ist ja ein Schloss!«, rief Elisabeth überrascht.
»Ja, es sieht aus wie ein Schloss. Es gehörte früher der Baronin Sophie von Wellentin. Sie hat den Besitz ihrem Urenkel Dominik von Wellentin-Schoenecker vererbt. Der Junge ist jetzt fünfzehn Jahre alt. Bis zu seiner Großjährigkeit verwaltet seine Mutter, Frau von Schoenecker, das Gut und Kinderheim. Sie ist mit dem Besitzer von Gut Schoeneich, Alexander von Schoenecker, verheiratet. Die alte Baronin hatte in ihrem Testament den Wunsch geäußert, dass Dominiks Mutter das Gut in ein Heim für solche Kinder umgestalten solle, die aus irgendeinem Grund die Elternliebe entbehren müssen oder ihre Eltern verloren haben. Seitdem hat Sophienlust den Beinamen: Das Heim der glücklichen Kinder.«
Interessiert hörte Elisabeth zu. Dann aber konnte sie es kaum mehr erwarten, ihr kleines Mädchen wieder in die Arme zu schließen. Als das Polizeiauto durch den Torbogen in den Gutshof einfuhr, begann ihr Herz wie verrückt zu schlagen.
Im Herrenhaus von Sophienlust waren alle um das niedliche kleine Mädchen versammelt, als Elisabeth eintraf. Die Dogge Severin wich auch hier nicht von Heidis Seite, sodass selbst der Bernhardiner Barri es für geraten hielt, sich etwas zurückzuhalten. Denn im Allgemeinen hielt er es für sein Recht, jedes Kind zu bewachen und zu beschützen.
Andrea stand mit ihrer Mutter etwas abseits. Die beiden Frauen überlegten eben, welche Schritte sie einleiten sollten, um Heidis Eltern ausfindig zu machen.
»Mutti, wir zeigen Heidi schnell mal Habakuk«, unterbrach der kleine Henrik das Gespräch der Frauen.
»Das ist ein guter Gedanke«, erwiderte Denise, die jedem Kind dankbar war, das versuchte, das kleine Mädchen von seinem Kummer abzulenken.
Lächelnd blickte sie der Kinderschar nach, die, gefolgt von Severin, in den Wintergarten ging. Heidi schien tatsächlich für ein Weilchen ihre Mutti zu vergessen.
Mit großen leuchtenden Augen stand sie vor dem Aquarium mit den schillernden Fischchen. »Schöne Fische«, stellte sie fest und klatschte dabei in die Händchen.
»Ja, sie sind sehr hübsch«, bestätigte Henrik, der ganz begeistert von der Kleinen war und ebenso wie die anderen Kinder hoffte, dass sie für immer in Sophienlust bleiben würde.
»Heidi, schau mal!«, rief Nick. »Das ist unser Habakuk. Er kann wie ein Mensch sprechen.«
»Das ist aber ein Vogel«, entgegnete Heidi erstaunt. »Vögel können doch nicht sprechen.«
»Und ob dieser Vogel sprechen kann.« Nick trat dicht an den großen Käfig heran. »Habakuk, sag doch endlich was«, bat er.
Aber der Papagei saß stumm da und blinzelte die Kinder listig aus seinen Äuglein an. Ärgerlich fixierte Nick ihn. »Warum blamierst du uns so?«, schalt er.
»Lass mich mal«, bat Pünktchen, ein elfjähriges Mädchen mit langen rotblonden Haaren, dunkelblauen Augen und unzähligen Sommersprossen. »Habakuk ist manchmal genauso schlecht gelaunt wie die Menschen.«
»Blödsinn«, brummte der schwarzhaarige Junge, der es nicht leiden konnte, wenn jemand ihn, egal in welcher Angelegenheit, überflügelte. »Auch bei dir wird er keinen Ton sagen.«
»Abwarten«, rief Pünktchen und wandte sich dem Papagei zu. »Habakuk, schau, wir haben ein neues Kind. Es heißt Heidi. Durch dein Sprechen wirst du Heidi fröhlicher stimmen. Also, Habakuk …«
»Ich will zu meiner Mutti!«, rief die Kleine in die erwartungsvolle Stille hinein und lief zur Tür.
»Bleib da!«, krächzte Habakuk da plötzlich und schlug mit den Flügeln. »Böserrr Schlingel! Braverrr Vogel!«, schnarrte er weiter. »Braves Kind!«
Heidi blieb wie angewurzelt stehen. Zögernd drehte sie sich um. »Papagei?«, fragte sie und steckte den Zeigefinger in den Mund.
»Siehst du, wir haben dich nicht beschwindelt«, triumphierte Henrik.
»Beißt der Papagei?«, fragte Heidi und näherte sich langsam dem Käfig.
»Nein, Heidi, bestimmt nicht«, beruhigte Angelika die Kleine.
»Sag das nicht!«, rief ihre jüngere Schwester Vicky.