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Reisen nach Ophir. Rolf NeuhausЧитать онлайн книгу.

Reisen nach Ophir - Rolf Neuhaus


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Bei den Japanern war der Schwindel am gröβten, und man durfte eigentlich nur kleine, wertlose Dinge kaufen, hölzerne Geduldspiele, Holzschachteln mit eingelegten Verzierungen, die sich auf Fingerdruck an verborgener Stelle öffneten, oder verspielte Fächer mit feinsten Holzstäbchen. Bei den Javanen und Tamilen lohnten sich alte Batik-Sarongs mit Blätter- und Vogelmustern, Kopftücher und Schärpen aus chinesischer oder indischer Seide, Sarongs aus schwerem Goldbrokat, aus Elfenbein geschnitzte Buddhas, Tempel, Götzen und Elefanten mit erhobenem Rüssel. Und dann die Antiquitätengeschäfte und Trödelläden der North Bridge Road, in denen es verschlissene Soldatenstiefel und die schönsten chinesischen Schmucksachen wie Goldkettchen gab, an denen Fische mit tausend Schuppen und glotzenden Augen aus Opalen hingen, oder Broschen und Manschettenknöpfe aus alten chinesischen und siamesischen Goldmünzen. Aber wer so arm wie Hesse war und so viel Geld für Erste-Klasse-Kabinen und Luxushotels ausgeben musste, weil er mit den reichen Sturzeneggers reiste, konnte das meiste nur mit den Augen in Besitz und im Gedächtnis mit nach Hause nehmen, nachdem er tagelang den groβen, bunten asiatischen Basarglanz eingesogen und manchmal stundenlang in einem Laden verweilt und nach allem gefragt hatte, ohne etwas zu kaufen, das war no problem, denn die Zeit, Geduld und Höflichkeit der asiatischen Händler schienen unendlich zu sein.

      Chinatown war ein hunderttausendköpfiges Gewimmel in Blau, Weiβ und Schwarz, wo das uniforme gelbe Ameisenvolk fleiβig seinem ernsthaften Bienenleben nachging – »eine geschlossene Welt, die uns nicht braucht«. Das heftige Straβenleben erinnerte Hesse an italienische Städte, kam aber völlig ohne das Gebrüll aus, mit dem in Italien jeder Streichholzhausierer seine Bagatelle ausschrie und jeder Zeitungsjunge sich als schallender Mittelpunkt der Welt darstellte. Zwischen den diskreten Chinesen in blauen Leinenhosen und weiβen Hemden und den Chinesinnen in weiten schwarzen Hosen und blauen Blusen schritten schwarzbraune, hochgewachsene, hagere Inder und Tamilen stolz einher, jeder ein entthronter Radscha, die jedoch ebenso wie die Malaien »mit negerhafter Hilflosigkeit« auf jeden Importartikel hereinfielen und sich kleideten wie Dienstmägde am Sonntag, nämlich in grelle, schreiende Farben. Die smarten Kaufleute des Westens hatten die indischen Seiden und Leinen entbehrlich gemacht, Baumwolle und Kattune noch viel greller, giftiger, indischer gefärbt und bedruckt, und die Inder und Malaien waren gute Kunden geworden für die billigen Stoffe aus Europa. Zehn solcher indischer Papageienfiguren genügten, um eine belebte, dabei aber fast stille Straβe im Chinesenviertel optisch unruhig zu machen, doch sie wurden schnell umschlossen, zugedeckt und erstickt von der Masse der Chinesen. Nachts noch waren diese in ihren Werkstätten produktiv, Hunderte Verkaufsbuden noch geöffnet und hell erleuchtet und die Papageien, Kolibris, Affen in den Käfigen der Tierläden müder als sie.

      Hesse und die Sturzeneggers besuchten Landsleute in ihren wohnlichen Bungalows drauβen in herrlicher Garten- und Parklandschaft, man traf sich zum Lunch oder Dinner in den Hotels der Stadt, man kegelte im deutschen Klub Teutonia und trank Whisky, man speiste fein und scheuβlich teuer im Singapore Club und trank Rheinweinbowle, im Chinesischen Klub Tee bei monotoner und zugleich leidenschaftlicher Musik, man ging in die Town Hall, saβ im Smoking unter lauter Chinesen und applaudierte den Akrobaten, in der Star Opera war man wieder vom malaiischen Theater enttäuscht, man unternahm nächtliche Rikschafahrten in tollem Galopp und trieb sich in den Hurengassen herum. Die chinesischen Bordelle sahen sehr hübsch aus, schienen aber nur für Gelbe da zu sein. Für Weiβe waren offenbar Japanerinnen vorgesehen, auch gab es viele russische Dirnen. Die Mehrzahl der Freudenhäuser, die hohen Profit abwarfen, gehörten dem Hörensagen nach portugiesischen und französischen Missionspatres. Am Sonntag dann fuhr man mit Bahn und Boot zu den Spielhöllen von Johore, ganze Züge voll Chinesen trieb es zum Glücksspiel hinaus, darunter eine Menge Freudenmädchen und Hurenmütter. Die schweizerdeutsch-deutsche Truppe nahm erst einmal einen Cocktail im Hotel Johore zu sich, dann stürmte sie eine der Höllen, wo Chinesen und ihre Weiber sich still und gespannt um die Spieltische drängten. Die weiβen Herren verloren die Schlacht um das Glück, versuchten es am Nachmittag in drei weiteren Höllen, in denen es wie in Bienenkörben summte. Fast hätten sie das letzte Boot verpasst, und auf dem letzten Wagen des überfüllten Zuges kamen sie als Trittbrettfahrer nach Singapur zurück.

      Fahrt nach Colombo via Penang, Hesse hat eine groβe, aber heiβe Innenkabine und das wohlige Gefühl, wieder auf der vertrauten »Prinz Eitel Friedrich« zu sein, der Schiffsarzt zeigt ihm seine Einkäufe aus Japan, dann knobelt Hesse mit dem Arzt und dessen Tafelrunde, sie würfeln um Bier und Wein, Schnaps und Zigarren und sind fidel wie die Studenten, die vier oder fünf jungen Doktoren erzählen Medizinerwitze, was für den Augenblick ganz lustig ist, doch auf Dauer fad. Unter den Mitreisenden befindet sich ein Herr mittleren Alters aus reicher Berliner Familie, der in jungen Jahren all sein Vermögen in Monte Carlo verlor und nun Sprachlehrer in Japan ist, auch den Prinzen unterrichtet, viele Sprachen spricht, von feinstem Schliff ist und stark trinkt. Nach Tagen auf hoher See, ohne Blick auf Küsten und bergige Inseln, fühlt sich Hesse müde und leer, Schwermut umfängt ihn wie das endlose Meer. Doch Ceylon empfängt ihn mit offenen Armen, auch mit aufgehaltener Hand. Das Hotel Bristol ist anständig, doch teuer – zehn Rupien pro Nacht –, abends geht er mit Sturzeneggers in ein Freudenhaus, um singhalesische Mädchen zu sehen, erst in ein europäisches, das sie sofort wieder verlassen, dann in ein primitives, echtes. Die Sahibs wünschen einen singhalesischen Tanz zu sehen – fünfzehn Rupien –, sechs Mädchen von 16, 17 Jahren erscheinen nackt, können aber nicht allzu viel. Die Herren besuchen ein singhalesisches Theater, das wie die malaiischen ist, nur noch übler. Am nächsten Morgen fährt Hesse allein nach Kandy – zwischen ihm und den Sturzeneggers ging es nicht immer reibungslos zu –, auf dem Bahnhof in Colombo spricht ihn alle naselang irgendjemand an, der ihm irgendetwas erzählt und am Ende Geld haben will, doch dann ist er im Coupé erster Klasse fast allein, der Schaffner erscheint und fragt, ob alles all right sei, und sagt, er erscheine kein weiteres Mal, also bitte Trinkgeld, das sagt er nicht, aber Hesse versteht es.

      Flaches Sumpf- und Reisland, Täler voll überquellender Fruchtbarkeit, dunkelbraune Männer durchqueren mit Ochsen einen rotbraunen Fluss, an den Hängen liegen sorgfältig gestufte Reisterrassen, darüber bewaldete Höhen und kühne Felsen. Vom Hotel Florence Villa in Kandy ist Hesse auf Anhieb enttäuscht, er bekommt ein schäbiges Zimmer, nebenan schreit ein Baby. Kaum installiert geht er auf die Suche nach einer besseren Bleibe und findet ein Zimmer im noblen Queen’s Hotel, das er hatte vermeiden wollen. Die erste Nacht bleibt er aber noch im Florence Villa, isst dort auch zu Mittag und zu Abend, die Boys reden ihn mit Master an, man speist schweigsam an englischen Familientischen, die Küche ist überraschend gut, fast bereut er seinen Entschluss umzuziehen, doch nach Tisch spielen lärmende Kinder vor seiner Tür, die Sanitäranlagen sind nicht sauber, es ist doch nichts. Mitten in der Nacht wacht er fröstelnd auf und wird von Übelkeit und Bauchkrämpfen befallen, den Rest der Nacht wandert er zwischen Zimmer und Lokus hin und her. Mit Sack und Pack übersiedelt er ins Queen’s, legt sich ins Bett und wird immer wieder von Diarrhöe heimgesucht. Er hat seine groβe Reiseapotheke durch die halbe Welt geschleppt und nichts weiter als Schlafmittel und Chinin benutzt, und nun, da er Opium braucht, liegt sie in Colombo. Im Nebenzimmer hört er Schweizerdeutsch sprechen, der Schweizer Chemiker aus Ostafrika hat zwar kein Opium, ist aber nett, und sein Freund gibt Hesse Bismuth. Tags darauf kommen die Brüder Sturzenegger nach Kandy, Hesse bekommt sein Opiat, und statt zu essen befolgt er den Rat Roberts, der selbst an Ruhr erkrankt, und trinkt halb und halb Brandy und Port. Erst zwei Wochen später, nach sechstägiger strenger Diät nebst Arznei auf dem Dampfer, der ihn nach Europa bringt, geht es Hesse wieder besser.

      Zwischen den Darmexplosionen, geschwächt vom Liegen und Fasten und den Koliken, benebelt vom Wein und betäubt von Opiaten macht Hesse Spaziergänge durch Kandy, um den künstlichen See herum, durch den Botanischen Garten, er jagt sogar Schmetterlinge im Hotelgarten und in der nächsten Umgebung. Die Vegetation ist wunderbar: herrliche groβe Bäume mit riesigen roten Blüten, mächtige Talipotpalmen mit weiβen Kronen von Blütenzweigen, 20 Meter hoher Bambus, und überall blühen die weiβen, kelchförmigen temple flowers. Das Menschengeschlecht blüht dunkelbraunschwarz, glänzt bronzefarben und leuchtet rot aus dem Betelmund, viele Mädchen und junge Frauen sind wunderschön, groβe schöne Augen haben sie alle ohne Ausnahme, die Singhalesen besitzen von Natur aus eine liebenswürdige Sanftmut und einen geräuschlosen, rehartigen Anstand, wie man sie im Westen nicht findet. Kandy, dieser Rest einer alten Königs- und Tempelstadt, ist lieblich-schön, gilt als der hübscheste


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