Reise Know-How ReiseSplitter: Von Kasachstan in die Südsee – Wie ich mal eben vom Weg abkam. Katharina BahnЧитать онлайн книгу.
freue mich, ein paar Anekdoten zu hören.
Jürgen empfiehlt mir, auf La Digue mal ein Fußballspiel zu besuchen. Nicht das Spiel sei das interessante, sondern das sich prügelnde Publikum, vorzugsweise die Frauen. Leider ist aktuell gerade Spielpause und ich verpasse dieses Spektakel. Stattdessen gebe ich mich mit einem sonntäglichen Kirchenbesuch zufrieden. Nicht alle der 2200 Inselbewohner sind hier, aber mehrere Hundert – und ausnahmslos alle in feinstem Zwirn und eleganten Kleidern. Der Gottesdienst ist katholisch und wird in kreolischer Sprache abgehalten. Da ich weder das eine noch das andere verstehe, bleibe ich nicht bis zum Ende der Messe und schleiche mich unauffällig raus.
Das Sahnehäubchen meiner entspannten Tage auf La Digue sind die SMS-Nachrichten, die ich mit Manuel, meinem Couchsurfing-Gastgeber auf Mahé hin und her schicke. Dank einer Prepaid-Handy-Karte des lokalen Netzanbieters geht dieser Spaß ohne immense Kosten vonstatten. Das lockere Flirten nimmt Substanz an, als wir uns für einen Tag auf der Nachbarinsel Praslin verabreden. Praslin, Mahé und das kleine Paradies La Digue sind die drei am dichtesten bevölkerten von über 115 Inseln der Seychellen und gehören zu den „Inner Islands“. Auf den bis über 1000 Kilometer von Mahé entfernten „Outer Islands“ leben nur etwa 2% der Bevölkerung.
Kelma (links) – purer Zucker. Und Telma – die ihre Skepsis mir gegenüber inzwischen abgelegt hat
Die Fähre legt von La Digue nach Praslin rund 15 Kilometer zurück. In aller Frühe gehe ich an Bord. Am Hafen von Praslin warte ich ungeduldig auf die Fähre aus Mahé. Als das Schiff anlegt und die Passagiere aussteigen, halte ich Ausschau nach Manuel. Ich habe ein bisschen Herzklopfen. Auch wenn ich mir der Kurzlebigkeit der Gesamtsituation bewusst bin, erscheint mir dieser Moment unglaublich romantisch.
Wir mieten für den Tag ein kleines Auto und ich bekomme meine persönliche Führung über die Insel. Auf keinen Fall verpassen darf man hier den Nationalpark „Vallée de Mai“. Hier und nur noch auf einer weiteren Insel der Seychellen wachsen die berühmten „Coco de Mer“, die Seychellenpalmen. Ihre Samen sind die größten der Pflanzenwelt und bringen es auf bis zu 20 Kilogramm. Deren Form, die an ein weibliches Becken erinnert, begleitet mich schon seit dem ersten Tag hier. Der Stempel, den man bei der Einreise in den Pass erhält, ist eine gezeichnete „Coco de Mer“ und das Wahrzeichen des Inselstaats. Der Blütenstand der männlichen Palme gleicht übrigens einem Penis – der Legende nach feiern die Palmen in stürmischen Nächten Hochzeit und paaren sich. Wer sich trotz Sturm in den Wald wagt und den Palmen beim Liebesspiel zusieht, muss sterben. Ich bin am Tage hier und es ist nicht stürmisch, also kann ich entspannt mit Manuel die Ruhe im Nationalpark genießen. Auf manchen Wegen und Lichtungen trifft man hier wirklich keinen einzigen Menschen.
Zurück auf La Digue bei Jürgen und Telma bemerke ich erfreut, dass die Dame des Hauses inzwischen ihre Skepsis mir gegenüber abgelegt hat. Als sie ein Bündel grüner Kochbananen auf meiner Terrasse liegen sieht, bietet sie an, mir diese zu frittieren. Bestens – hatte ich doch vorgestern am Strand versucht, eine der Bananen auf die herkömmliche Weise zu essen. Wie ich feststellen musste, sind die Früchte im rohen Stadium ungenießbar. Daher wusste ich gar nicht so recht, was mit ihnen anzufangen ist. Aber nicht jedes Problem erfordert sofort eine Lösung – manchmal muss man nur Geduld haben. Dann kommt vielleicht jemand vorbei und bietet dir an, deine Kochbananen zu frittieren.
Später zeigt Telma mir das winzige Spielcasino von La Digue. Es besteht aus einem einzigen Raum mit klimpernden und rasselnden Automaten. Nach ein paar Runden zieht es mich jedoch wieder raus in die Sonne. Telma ist nicht loszueisen. Sie leiht sich noch 500 Rupien von mir, rund 32 Euro, und bleibt. Später gibt sie mir zu Hause mein Geld sofort zurück, fragt aber, ob ich Jürgen davon erzählt habe. Nein, habe ich nicht. Nach dem Abendessen zeigt sie mir ein paar Kleider, die sie mir gerne verkaufen will. Für 500 Rupien. Ein Zufall? Ich vermute, dass sie das Geld verzockt hat, aber keinen Ärger mit Jürgen haben will. Ich will ihr keine Probleme bereiten und kaufe die Kleider, obwohl ich sie nicht besonders schön finde.
Ich reise außerplanmäßig früher zurück nach Mahé. Nach zweieinhalb Wochen wird mir La Digue doch zu klein. Zudem wartet auf der Hauptinsel noch jemand auf mich. Als ich Telma von der kleinen Romanze mit Manuel erzähle, fragt sie mich, ob er ein Haus hat. Ja hat er. Sie gratuliert mir und sagt, dass ich Glück habe. Ich sage nichts. Ja, ich habe Glück. Aber meine Definition davon ist anders. Ich behalte das für mich.
Die Fähre läuft aus dem Hafen von La Digue aus. Ich lasse die letzten Tage Revue passieren. Die Welt aus der Sicht eines deutschen Auswanderers gibt mir neue Denkanstöße. Ob Jürgen und ich uns jemals wieder hören oder sehen, weiß ich zu diesem Zeitpunkt nicht. Zwar würde ich mich darüber freuen, rechne aber nicht damit. Ich glaube, Jürgen hat mit seinem Leben in Deutschland abgeschlossen und ich respektiere das. Aber man weiß ja nie.
Manuel holt mich am Fährhafen von Mahé ab. Etwas zwischen uns ist anders, aber ich kann es nicht so recht benennen. Er wirkt gestresst und in sich gekehrt. Dann kollidiert sein Bedürfnis, Probleme zu wälzen, mit meiner tiefenentspannten Urlaubsstimmung. So richtig kann ich das nicht einordnen, aber ich mache mir trotzdem eine schöne Zeit. Beispielsweise besuche ich das Atelier des Malers Michael Adams im Südwesten der Insel. Den Hausherren selbst bekomme ich nur im Vorbeihuschen zu sehen, aber seine Frau zeigt mir die Gemälde in der Galerie, die direkt an das Wohnhaus anschließt. Die Kunstwerke sind wunderschön und sehr farbenfroh. Wir unterhalten uns bei einem Glas Kokoswasser. Im Jahr 1971 haben sich ihr Mann und sie, beide aus England stammend, in Afrika kennengelernt. Ein Jahr später sind sie gemeinsam auf die Seychellen gezogen – ohne vorher jemals hier gewesen zu sein. Ich bin beeindruckt von so viel Mut.
Zurück bei Manuel verbringe ich noch mehr Zeit mit seiner Familie. Mit seiner Schwester Tina besuche ich ein kleines Musikfestival. Nachwuchsbands spielen hier Reggae, R’n‘B und HipHop. Die halbe Insel scheint auf den Beinen zu sein. Viele junge Leute sind dort, die meisten kommen mit dem Auto. Das Problem: Die Busse auf Mahé sind das einzige öffentliche Verkehrsmittel der Seychellen, von den Fähren zu den Nachbarinseln mal abgesehen. Selten fahren die Busse bis 21 Uhr, niemals länger. Das allerdings hält nicht jeden vom Trinken ab. Es gibt viele Unfälle bedingt durch Alkohol am Steuer. Laut Tina würde es an ein Wunder grenzen, wenn alle Festivalbesucher die Nacht unbeschadet überstehen würden. Ich frage mich, ob es so problematisch wäre, die Busse zumindest bei Großveranstaltungen wie dieser bis Mitternacht fahren zu lassen.
Bei einer kleinen Wanderung am kommenden Tag verlaufe ich mich und stoße zufällig auf eine Bushaltestelle. Spontan fahre ich mit dem nächsten Bus nach Victoria. In einem Café mit einem hübschen, schattigen Innenhof lasse ich mich nieder. Wie aus dem Nichts bekomme ich plötzlich ein kaltes Bier hingestellt. Die edlen Spender vom Nachbartisch sind zwei Besatzungsmitglieder eines Kreuzfahrtschiffs. Einer der beiden kommt aus Kanada, der andere aus Rumänien. Bei Bier, Pommes Frites und Geschichten aus aller Welt sind schnell ein paar Stunden vergangen. Doch ich muss mich leider verabschieden, denn ich will noch mit Manuel Lebensmittel für den Abend einkaufen. Wir halten an verschiedenen Straßenständen und einem Supermarkt. Frische Kräuter hier, Obst, Gemüse und Eier dort. Vor einem unscheinbaren Häuschen liegt der Fang des Tages ausgebreitet auf dem Boden. Frischer kann der Fisch wohl kaum noch sein. Im Supermarkt hingegen sind viele Milchprodukte nicht gekühlt. Selbst Manuel als Einheimischer lässt die Finger davon.
Gekocht wird bei Manuels Familie. In der Küche steht ein Schemel, an dessen Vorderseite eine etwa 15 Zentimeter lange Metallspitze befestigt ist. Ich habe ein großes Fragezeichen im Gesicht und Manuel führt mir das außergewöhnliche Küchengerät vor. Man stellt eine Schale unter die Metallspitze und setzt sich auf den Schemel. Dann nimmt man eine halbe Kokosnuss und raspelt das Kokosfleisch an der scharfen Spitze in das darunter stehende Gefäß. Manuels zwanzigjähriger Neffe übernimmt spontan die Zubereitung