Seidenstadt-Schweigen. Ulrike RenkЧитать онлайн книгу.
des Staates, sondern nur seine Weberei und den Tuchhandel. Er wollte Fritz an seiner Seite. Aber als kleiner Tuchhändler würde Fritz sein Leben nicht beenden.
Es lag eine knisternde Spannung über der Kaserne. Diejenigen, die schon länger dabei waren, hofften auf einen Einsatz. Fritz war klar, dass er noch lange nicht so weit war. Doch er würde sich alle Mühe geben, um schnell voranzukommen. Adolf war da anders. Er meinte, die Offiziersausbildung wäre ein Spaziergang. Er wollte keine Befehle entgegennehmen, er wollte sie geben.
Macht war die Triebfeder für Fritz. Davon war er besessen. Eigentlich hätte er nach der Grundausbildung Anspruch auf einen kurzen Heimaturlaub gehabt, doch diesen schlug er aus. Er wollte keine Zeit verlieren.
»Kommst du? Gleich gibt es Essen. Bin ja mal gespannt, ob die Kantine hier besser ist als in Stahnsdorf.« Auch Adolf war nicht nach Hause gefahren. Das lag aber an der zweiten Frau seines Vaters. Nach dem Tod der Mutter hatte Peerhoven eine Frau geheiratet, die so alt war wie sein Sohn. Adolf war voller Wut auf seinen Vater, seine Stiefmutter wollte er erst gar nicht sehen.
Fritz faltete den Briefbogen zusammen, steckte ihn in einen Umschlag, verschloss diesen sorgfältig.
»Na, haste Mami geschrieben?« Adolf grinste. Fritz wusste inzwischen, dass sein Freund die Gefühle hinter einer großen Klappe verbarg. Er hatte das Bild seiner Mutter immer dabei. Nachts, wenn er dachte, dass es niemand bemerkte, holte er es hervor.
»Ich habe ihnen meine Entscheidung mitgeteilt. Mein Vater wird sich aufregen. Aber in ein paar Wochen wird er es verstehen. Gibt es etwas Neues von der Front?«
»Lass uns runtergehen, dort ist ein Volksempfänger und wir können die neusten Nachrichten hören.«
Fritz stand auf, strich seine Uniform glatt. Er mochte das Schwarz mit den feinen rosa Paspelierungen. Es sah edel aus. Er nahm ein Zigarettenetui aus der Tasche, bot Adolf eine an. Er hatte das silberne Etui in Berlin gekauft, es glich dem Peerhovens.
»Danke.« Adolf riss ein Streichholz an, gab ihm Feuer. In dieser Stube zog es wenigstens nicht mehr so und auch die Heizung schien zu funktionieren. Überhaupt war alles besser als in Berlin, auch wenn sie hier ab vom Schuss waren.
Fritz folgte Adolf nach unten. Er war glücklich und zufrieden, sicher, dass er die richtige Entscheidung getroffen hatte.
10. Kapitel
»Wir haben eine arg dezimierte Mannschaft.« Sabine Thelen rieb sich über die Augen. »Fischer hat Urlaub, Ermter ist auf einer Tagung, Oliver ist krank. Hoffentlich bleibt es ruhig.«
»Nicht nur Oliver ist krank. Roland und Uta haben sich auch krankgemeldet. Magen-Darm-Grippe. Sehr ansteckend. Scheint umzugehen. Hat Oliver das auch? Dann bekommen wir es alle.« Volker schaute besorgt in die kleine Runde. Er hatte sich noch keinen Kaffee genommen und wischte sich nun die Hände an seiner Hose ab. Sabine Thelen musste grinsen.
»Oliver hat nur schwere Kopfschmerzen. Morgen ist er sicherlich wieder im Dienst. Auch Ermter ist morgen wieder da. Gibt es irgendetwas?«
»Heute Nacht ist es ruhig geblieben bei den Landschaftsgärtnern. Keine Einbrüche. Keinerlei Vorkommnisse.«
»Und sonst?«, fragte Sabine.
»Ich habe eine Meldung aus der Rechtsmedizin in Duisburg. Der tote Wehrmachtsoldat …« Vienkrath suchte in seinen Unterlagen nach dem Fax. Als er es fand, setzte er umständlich die Lesebrille auf. »Der Soldat wurde erschossen. In den Kopf. Die Kugel steckte noch.«
»Ist der Mann zu identifizieren?« Sabine sah ihn interessiert an.
»Ja, es ist schon eine Anfrage an das Rote Kreuz und das Ministerium ergangen. Offensichtlich trug er seine Marke noch.«
»Weiß der Staatsanwalt darüber Bescheid?«
Niemand äußerte sich.
»Dann sollten wir ihn informieren. Er wird alles Weitere in die Wege leiten. Ich weiß gar nicht, was mit einem Toten aus dem Krieg passiert. Muss man noch Angehörige informieren?« Sabine Thelen massierte sich den Nacken. Sie hatte schlecht geschlafen. Immer wieder war sie von den Geräuschen aus dem Nebenzimmer geweckt worden. Es war ungewohnt, jemanden in der Wohnung zu haben.
»Soweit ich weiß, wird die Kriegsgräberfürsorge eingeschaltet. Anhand der Feldpostnummer kann man die Identität feststellen und eventuell auch Angehörige ausfindig machen.« Vienkrath schob das Fax wieder in die Mappe.
»Informieren wir erst mal Altmann, der wird schon wissen, wie es weitergeht. Sonst noch was?«
Da nichts weiter anlag, beendeten sie die Besprechung. Gerade als alle den Raum verlassen wollten, kam Christiane Suttrop herein.
»Ich habe gerade einen Anruf aus Köln erhalten«, sagte sie aufgelöst. »Der Chef hatte einen Unfall. Ein LKW ist ungebremst an einer Ampel auf seinen Wagen gefahren. Guido ist schwer verletzt und liegt in der Uni-Klinik.«
Sie sahen sich fassungslos an.
»Und nun?« Dieter schob seinen Stuhl zurück, stand auf, nahm eine Packung Taschentücher hervor.
»Laut Plan ist Fischer seine Vertretung, aber der hat doch ab heute Urlaub.«
»Hilft alles nichts, wir müssen Jürgen anrufen.« Vienkrath schnäuzte sich.
»Aber er zieht doch um.« Sabine Thelen schüttelte den Kopf. »Da können wir ihn doch nicht rausreißen.«
»Es geht doch nur um das Formale. Da nicht viel los ist, werden wir ihn wohl kaum brauchen.«
»Ich ruf Fischer nachher an und du Altmann.« Sabine seufzte.
Als Fischer heute Morgen aufwachte, war Martina nicht da.
Ihre Seite des Bettes war unberührt. Er hatte bis spät in die Nacht Kartons ausgepackt und Sachen eingeräumt. Das Kreppband um die Tür- und Fensterrahmen hatte er sorgfältig entfernt und den Müll in blaue Säcke gepackt. Als er nichts mehr zu tun fand, duschte er und ging ins Bett. Der Versuchung, Martina anzurufen, widerstand er, obwohl es ihm schwerfiel.
Er hinterließ ihr einen Zettel und fuhr in seine Wohnung. Alle fünf Minuten schaute er auf sein Handy, doch sie meldete sich nicht. Er überprüfte den Akku und den Empfang, beides war in Ordnung. Langsam fing er an sich Sorgen zu machen.
Jürgen Fischer schaute sich in der Wohnung um. Er hatte alle seine Sachen eingepackt, das klapprige Bett nach unten geschafft und auch die anderen Dinge, die er nicht mehr brauchte, zum Sperrmüll gestellt. Die Wände hatte er weiß gestrichen. Die Wohnung war gefegt und gewischt. In einer halben Stunde würde der Vermieter kommen und Fischer hoffte, die Schlüssel ohne Probleme abgeben zu können.
Das Telefon klingelte in dem Moment, als auch die Türglocke schellte.
»Verdammt«, fluchte Fischer, nahm ab und öffnete dann die Tür. »Hallo? Martina?«
Er war erleichtert ihre Stimme zu hören.
»Es tut mir leid, Jürgen.«
Er bildete sich ein, dass sie fröhlicher klang als gestern, hoffte es sehr. »Wo bist du?«
»Ich bin im Haus … hier. In unserem Haus in Traar.«
Ein ganzer Berg schien ihm vom Herzen zu fallen. Unserem. Alles würde gut werden.
»Mein Vermieter ist gerade gekommen …«, sagt Jürgen.
»Meldest du dich anschließend, Jürgen?«
»Natürlich.«
Der Vermieter war an der Tür stehen geblieben, schaute verlegen zu Boden.
»Entschuldigung. Wir können jetzt.« Fischer führte ihn durch die Räume. Nach wenigen Minuten war sie fertig. Einen Augenblick zögerte Fischer, dann ließ er den Schlüsselbund in die Hand des Vermieters fallen. Jetzt war es endgültig und für Fischer gab es kein Zurück. Martina wusste noch nicht, was mit ihrem Haus in Moers werden sollte. Sie schwankte zwischen verkaufen und vermieten, konnte sich zu keiner der beiden