Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
auf der Isomatte unter dem Felsüberhang und schlief. Markus sah sie schon von weitem dort liegen. Er ging langsamer und vorsichtiger. Er achtete darauf, dass er weniger Geräusche machte. Trotzdem waren sie nicht ganz zu vermeiden. Sein Herz klopfte, als er sich der schlafenden Tina näherte.
Als er bei ihr war, sah er, dass sie tief schlief. Ihr Atem ging langsam. Ihre Brust hob und senkte sich mit jedem tiefen Atemzug, das konnte er trotz des Schlafsackes erkennen, den sie bis zum Hals heraufgezogen hatte. Ihre blonden Haare lagen aufgelöst um ihren Kopf.
Markus’ Herz schlug schneller. Unbewusst fasste er sich an die Brust, als er die schlafende Tina betrachtete. Er erinnerte sich an das Märchen vom Schneewittchen. Darin entdeckt der Prinz die Königstochter im gläsernen Sarg und verliebt sich auf der Stelle in sie. Als Knabe hatte er über die Zeilen der Gebrüder Grimm hinweggelesen. Jetzt verstand er die Gefühle, die sie dem Prinzen ins Herz gelegt hatten.
Wie ging das Märchen damals weiter?
Markus lächelte still vor sich hin, als er sich an die weitere Handlung des Märchens erinnerte. Der verliebte Prinz öffnete den Glassarg und küsste das totgeglaubte Schneewittchen. Dabei geschah das Wunder. Es war ein Wunder, wie es nur die Liebe vollbringen konnte. Schneewittchen, das nach dem Verzehr des vergifteten Apfels in einem tiefen, todesähnlichen Schlaf gelegen hatte, erwachte. Die Liebenden wurden ein Paar und lebten glücklich, bis ans Ende ihrer Tage.
Schade, dass wir nicht in einer Märchenwelt leben, Tina, dachte Markus. Ich würde dich so gerne küssen. Du bist wunderschön, und von dir geht ein Zauber aus, der größere Magie hat, als jemals in einem Märchen beschrieben wurde.
Markus konnte die Augen nicht von Tina lassen. So kniete er noch eine ganze Weile neben ihr und schaute sie an. Es kostete ihn viel Kraft, sich von ihr loszureißen. Sein Herz stand fast still, als Tina im Schlaf zu murmeln anfing. Er lauschte und versuchte, sich auf die Wörter und Bruchstücke der Sätze einen Reim zu machen. Es war nicht viel, was Tina laut sagte, aber Markus hatte genug gehört, um sich einiges zusammenzureimen. Das arme Madl, dachte er. Wenn nur ein Funken Wahrheit dahinter steckt, dann verstehe ich, dass es ihr das Herz zerreißt. Markus sah die Tränen, die unter Tinas geschlossenen Lidern hervorquollen. Sie blieben zuerst an ihren langen Wimpern hängen und rollten anschließend die Wangen hinab. Tina räkelte sich und drehte sich im Schlafsack auf die Seite.
Ihre Traumphase ist hoffentlich zu Ende, dachte Markus. Besser traumlos schlafen, als von solchen Albträumen geplagt zu werden.
Leise erhob sich Markus und entfernte sich. Schritt für Schritt ging er rückwärts, bis er sich ein ganzes Stück von ihr entfernt hatte. Dann drehte er sich um und wanderte mit großen Schritten schnell der Berghütte zu. Er musste mit Toni reden. Vielleicht konnte ihm dieser mehr sagen. Außerdem war Markus davon überzeugt, dass es das Schicksal war, das ihn zum Zeugen von Tinas Traum hatte werden lassen.
*
Die Terrasse der Berghütte war voller Gäste. Toni und Anna bedienten sie und eilten zwischen Küche und Terrasse hin und her. Der alte Alois stand hinter dem Tresen und zapfte Bier. Bello, der junge Neufundländerrüde, streifte auf der Terrasse von Tisch zu Tisch und hoffte auf Leckereien.
»Du bist schon zurück! Im ›Paradiesgarten‹ kannst noch net gewesen sein. So schnell schafft niemand den Aufstieg und den Rückweg«, bemerkte Toni.
Markus ging auf ihn zu. Er fasste Toni beim Arm und flüsterte ihm ins Ohr.
»Toni, ich muss dringend mit dir reden! Ganz dringend! Jetzt gleich!«
Toni schaute Markus ernst an.
»Ja, doch lass mich erst das Bier hier fortbringen! Gehe schon mal rein. Setz dich! Ich komme gleich!«
Markus ging in die Berghütte und setzte sich an einen Tisch.
»Alois, hast du noch von deinem Selbstgebrannten? Ich brauche eine Stärkung!«, rief er in Richtung Tresen.
Der alte Alois nickte und verschwand in der Küche. Es dauerte nicht lange, dann kam er mit einer Flasche und einem Glas.
»Hier, bediene dich!«
Markus bedankte sich. Er schenkte sich gleich zwei Schnapsgläser hintereinander voll und trank aus.
Toni kam.
»So, hier bin ich! Ich habe aber nicht lange Zeit. Aber im Augenblick haben alle etwas zu essen und zu trinken, da kann ich mich dir einen Augenblick widmen. Also, was hast du auf dem Herzen?«
Markus schaute Toni in die Augen.
»Toni, ich habe Tina gesehen!« Markus zögerte einen Augenblick. Dann sagte er leise und voller Zärtlichkeit. »Toni, ich glaube, ich habe mich in die schlafende Schönheit verliebt.«
Toni schmunzelte.
»Was du net sagst?«
»Doch, Toni! Ich kam an der Stelle vorbei und habe sie betrachtet. Dann schlug mein Herz schneller. Jetzt kannst du über mich lachen. Es ist mir gleich! In diesem Fall gehe ich das Risiko ein, mich zum Gespött zu machen. Ich kam mir vor wie der Prinz aus dem Märchen der Gebrüder Grimm, im Märchen vom Schneewittchen und den sieben Zwergen.«
»Dann musst du sie nur noch küssen!«, grinste Toni.
»Toni! Höre auf zu spotten. Ich werde sie schon noch küssen. Aber jetzt geht es um etwas anderes. Tina hat im Schlaf geredet. Sie muss einen Albtraum gehabt haben. Es war schrecklich. Sie hat im Schlaf geweint.«
»Was du nicht sagst? Des ist wirklich schlimm.«
Toni rieb sich das Kinn. Er stand auf und holte sich auch ein Glas. Er schenkte noch einmal ein. Sie tranken.
»Erzähle, was hat Tina gesagt?«
»Irgendetwas von einem Hof, einem Haus, von dem sie vertrieben wird. Sie sagte mehrmals: ›Ich will nicht gehen!‹, ›Ich will hierbleiben!‹, ›Es ist doch meine Heimat!‹. Und dann weinte sie wie ein Kind und stieß dabei hervor, ›Das könnt ihr doch nicht tun!‹, ›Tut mir das nicht an!‹. So ging das eine ganze Weile. Kannst du dir darauf einen Reim machen?«
Toni schenkte noch einmal von Alois’ Selbstgebranntem ein.
»Ja, das kann ich! Ich weiß, dass Tina Ärger mit den Eltern hat, Näheres hat sie nicht erzählt. Es muss daheim etwas vorgefallen sein, was sie schwer getroffen hat. Das ist meine Vermutung. Nach dem, was du mir erzählst, könnte es mit dem Gerstmair Hof zusammenhängen. Aber das ist nur eine Vermutung.«
»Kannst du das nicht herausfinden, Toni?«, fragte Markus.
»Des ist net so einfach!«
Toni dachte einen Augenblick nach. Dann erzählte er Markus von Tinas Bitte, niemandem zu sagen, dass sie auf der Berghütte Quartier genommen hat. Vor allem sollte er nicht ihre Eltern informieren, wenn diese anrufen sollten.
»Ich habe Tina mein Wort gegeben, Markus!«
»Das verstehe ich. Aber du kennst die Nachbarn vom Gerstmair Hof. Vielleicht wissen sie etwas, haben einen Streit gehört. Toni, es ist wichtig für mich. Im Märchen gibt es die böse Stiefmutter mit dem vergifteten Apfel. In der Wirklichkeit vergiftet im übertragenen Sinn jemand Tinas Leben. Solche Albträume kommen nicht von ungefähr. Vor allem hat Tina ja dir gegenüber Andeutungen gemacht. Toni, wenn wir Eins und Eins zusammenzählen, dann kommt Zwei dabei heraus. Also, bitte! Überlege, was zu tun ist. Es wird doch immer viel geredet in einem Dorf. Kennst du niemanden, den du fragen kannst? Wissen deine Eltern etwas? Am Stammtisch wird doch auch immer viel geredet.«
Toni rief Anna und Alois heran. Er berichtete kurz, was Markus ihm erzählt hatte.
»Tina muss irgendetwas tief getroffen haben, Toni. Ich werde deine Mutter anrufen! Ich habe Tina nichts versprochen«, sagte Anna.
Toni reichte Anna das Handy. Anna ging in die Küche der Berghütte und redete dort mit ihrer Schwiegermutter, Meta Baumberger. Anna wusste, dass Tonis und Tinas Mütter befreundet waren. Es war ein kurzes Gespräch.
»Und was ist, Anna? Was