Toni der Hüttenwirt Paket 3 – Heimatroman. Friederike von BuchnerЧитать онлайн книгу.
»Doch!«
»Nein, du musst mich mit einem anderen Madl verwechseln! Ich bin dir nie begegnet.«
»Falsch und doch auch richtig, es kommt auf die Auslegung an.«
»Das wird ja immer komplizierter«, stöhnte Tina.
Sie holte tief Luft.
»Markus, bitte, höre damit auf. Ich schlage mich im Augenblick mit so Allerlei herum. Das reicht mir. Ich habe keine Kraft und keine Lust, deine rätselhaften Sprüche zu ergründen.«
Markus setzte sich neben sie. Er legte den Arm auf die Rückenlehne der Bank.
»Ich war heute Morgen auf dem Weg hinauf zum ›Paradiesgarten‹ …«
»Ach so!«, seufzte Tina.
»Genau so! Du hast so tief geschlafen, dass du mich nicht bemerktest.«
»Du bist aber kein Spanner oder so?«
Markus lachte laut. »Nein, das bin ich nicht. Ich bin nur ein verliebter Bursche. Ich habe mich heute Morgen in dich schlafende Schönheit verliebt. Wären wir im Märchenland gewesen, hätte ich dich, mein liebes Schneewittchen, geküsst.«
»Schneewittchen hatte schwarze Haare, schwarz wie Ebenholz. Ich bin blond.«
»Stimmt! Aber das ist mir gleich! Ich sah dich und habe mich in dich verliebt. Ich lief zurück zur Berghütte, um mit Toni über dich zu reden. Mein Herz raste. Ich dachte, dass es besser ist, umzukehren. Die Luft oben beim ›Paradiesgarten‹ ist noch dünner und wäre mir bestimmt nicht bekommen, nachdem ich dich gesehen hatte. Dein Anblick war einfach atemberaubend.«
Markus griff vorsichtig nach Tinas Sonnenbrille und zog sie ihr von der Nase. Er nahm das nasse Tuch und tupfte ihr Gesicht ab. Tina hielt ganz still und ließ es geschehen. Sie schloss die Augen. Markus tupfte weiter. Er tat es ganz sachte. Dann spürte sie seine Lippen flüchtig auf ihren Lippen. Sie öffnete die Augen und sah ihn an. Markus las darin wie in einem Buch. Seine Lippen kamen den ihren nochmals näher. Dieses Mal war der Kuss fester.
»Habe ich damit mein Schneewittchen wieder ins Leben geholt? Fühlst du dich besser? Ist der Fluch der bösen Stiefmutter gebrochen?«
»Ich habe keine böse Stiefmutter. Aber ich habe Eltern, die etwas tun wollen – werden, was mir nicht gefällt. Deshalb will auch von Waldkogel fortgehen. Ich könnte es nicht ertragen.«
Sie schauten sich an.
»Denke nicht daran! Was immer es auch ist, was dein Herz betrübt, ich bin hier, du bist hier. Du bist nicht mehr alleine. Tina, ich liebe dich! Kannst du mich auch lieben?«
Sie schaute ihn nur an.
»Bin ich dir wenigstens sympathisch? So muss es sein oder? Hättest du dich sonst von mir küssen lassen?«
Tina wehrte sich gegen die Gefühle in ihrem Herzen und schwieg. Es war nicht lange, nicht einmal zehn Sekunden. Doch Markus kam es wie eine Ewigkeit vor. Tina streckte die Hand aus und streichelte seine Wange.
»Du bist bestimmt wunderbar, Markus. Deine Küsse sind herrlich. Nur leider ist es der völlig falsche Zeitpunkt. Sicher ist da in meinem Herzen ein Gefühl für dich. Es fühlt sich gut an, warm und schön. Aber darauf will ich mich nicht einlassen, ich kann mich nicht darauf einlassen. Die anderen Gefühle in meinem Herzen sind weniger schön.«
»Sie machen dir sehr zu schaffen. Du bist verzweifelt, so sehr, dass du von Waldkogel fortgehen willst?«
»Ja, Markus! Diese Gefühle sind so mächtig. Es ist eine ungeheure Enttäuschung und Schmerz und Zorn und eine sehr große Bitternis. Mit so viel Bitternis kann man nicht lieben. Ich will nur Abschied nehmen und dann fortgehen. Irgendwann in ferner, in sehr ferner Zukunft, wenn der Schmerz erträglicher ist, dann kann ich vielleicht auch lieben, mich den schönen Gefühlen im hintersten Winkel meines Herzens hingeben. Jetzt kann ich nicht, Markus. Das hat nichts mit dir zu tun. Ich muss erst mit dem Groll in meinem Herzen fertig werden.«
Markus legte den Arm um Tina.
»Ich will dir etwas sagen, denn ich glaube daran, dass ein höherer Sinn dahintersteckt. Wenn du – aus welchen Gründe auch immer – wenn du nicht in die Berge gegangen wärst, um Abschied zu nehmen, wären wir uns nicht begegnet. Verüble es mir bitte nicht, dass ich über das Leid, dass man dir angetan hat, nicht so empört bin, wie du es vielleicht von mir erwartest, obgleich mich alles wütend macht, was man dir angetan hat. Es hat uns zusammengeführt. Wir hätten uns sonst nie getroffen – höchstwahrscheinlich – nehme ich an.«
Tina lächelt ihn zaghaft an. Sie streichelte ihm die Wange.
»Ich bin dir nicht böse. Außerdem ist es die Wahrheit.«
Sie schaute ihn ernst an.
»Markus, ich frage mich, ob du die Antwort bist, um die ich die Engel vom ›Engelssteig‹ heute Nacht gebeten habe?«
»Ja, das kann gut sein, Tina. Wie sagt man? ›Wenn dir jemand die Tür verschließt, dann öffnet der liebe Gott ein Fenster‹. Was meinst du?«
Tina legte den Kopf an seine Schulter und schwieg. Er hielt sie fest.
»Falls du das Fenster hinausklettern willst und Hilfe benötigst, ich reiche dir gern die Hand, Tina. Ich bin für dich da. Was kann ich für dich tun?«
»Nichts kannst du tun, Markus. Außerdem hast du schon so viel getan. Du bist hier. Das ist sehr schön.«
»Wollen wir jetzt essen?«
Tina nickte. Sie setzten sich auf die Decke, aßen und tranken Bier. Nach einer Weile fing Tina an, zu erzählen. Zu Beginn erzählte sie stockend, dann flüssiger und schließlich sprudelte alles aus ihr heraus, was sie erlebt hatte.
»Kannst du das verstehen, Markus? Kannst du nur ein ganz klein wenig nachempfinden, wie ich mich fühle? Es ist, als würde mir der Boden unter den Füßen fortgerissen. Ich kann nicht von unserem Hof fortziehen in das Neubaugebiet. Ich kann nicht an unserem Hof vorbeigehen oder fahren und fremde Menschen dort ein und ausgehen sehen. Es ist meine Heimat.«
Markus schaute sie ernst an.
»Das verstehe ich. Ich könnte das auch nicht. Außerdem ist es doch unnötig. Man gibt seine Heimat doch nicht einfach so auf, vor allem, wenn es dem einzigen Kind das Herz bricht! Die Argumente, die dein Vater aufführt, lasse ich nicht gelten. Ich verstehe, dass sie für dich nicht zählen. Es gibt Werte, die mehr bedeuten. Du bist dort verwurzelt. Er muss doch wissen, wie schmerzhaft es für dich ist.«
»Er sieht es anders, will mich im Leben vor Belastung bewahren, will es mir schön und einfach machen.«
»Das ist doch Unsinn! Einfach wird durch den Verkauf des Hofes für dich gar nichts, ganz im Gegenteil. Willst du nicht noch einmal ruhig mit ihm reden?«
Tina schüttelte den Kopf.
»Nein, es ist sinnlos, denke ich. Er hat schon dieses Gutachten in Auftrag gegeben, diese amtliche Schätzung. Die Maklerin in Kirchwalden will es haben.«
Tina nannte Markus den Namen der Maklerin.
»Sie ist sehr erfolgreich. Jeder kennt sie. Sie stammt aus Waldkogel.«
Tina seufzte.
»Ich werde meine Arbeit in Kirchwalden kündigen und in eine andere Stadt ziehen, weit fort von hier, viele, viele Kilometer von hier. Anna kann mir dabei vielleicht helfen. Sie kommt aus Hamburg, wie du sicherlich weißt. Ihre Verwandten wohnen dort. Ich will bald mit Anna reden.«
»Sie wird dir sicherlich behilflich sein. Du kannst für die erste Zeit bestimmt bei Annas Verwandten unterkommen. Hamburg wäre gut, ich wohne ganz in der Nähe. Dann könnten wir uns oft sehen.«
Markus lächelte Tina an.
»Ich lasse dich nämlich nicht mehr aus den Augen. Aber ich kann warten. Doch lass mich bitte nicht zu lange warten, Tina.«
Sie lächelte ihn