Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
ist ja doch fast nie zu Hause«, fuhr Uli fort, »und wenn sie da ist, sagt sie bloß, dass ich sie nicht stören soll. Und alle Hausangestellten, die nett sind, bleiben nicht lange. Warum kommt Papi heute eigentlich nicht mehr?«, wechselte er dann das Thema.
»Ich weiß es nicht, Uli. Er wird sicher viel zu erledigen haben.«
Uli wusste nicht, dass seine Mutter im Lande war. Werner Grothe hatte es ihm verschwiegen.
Schwester Annelie dachte jetzt an die elegante, puppenhafte Frau, die so gar nicht zu Werner Grothe passte.
»Papi arbeitet viel zu viel«, meinte Uli, »und Mama gibt das Geld aus.«
»Aber dein Papi hat dich sehr lieb«, sagte Annelie leise.
Uli nickte. »Ich ihn aber auch. Er hat mir versprochen, dass er öfter für mich Zeit haben wird, wenn Mama nicht mehr da ist. Vielleicht kommt sie doch nicht mehr.«
»Willst du das denn?«, fragte Annelie gepresst.
»Ja«, erwiderte Uli, ohne zu überlegen. »Es wäre schön, wenn du immer bei uns sein könntest, Schwester Annelie.«
Das hatte er schon ein paar Mal gesagt, und gerade als er es diesmal sagte, trat Werner Grothe ein.
Annelie stieg das Blut ins Gesicht. Sie zwang sich zu einem Lächeln.
»Siehst du, Uli, nun ist dein Papi doch noch gekommen«, bemerkte sie.
Aber als sie zur Tür ging, fragte Uli: »Warum läufst du denn gleich weg? Hast du keine Zeit mehr?«
»Du hast doch jetzt Gesellschaft. Ich muss mich noch um andere Patienten kümmern. In einer halben Stunde kommt meine Ablösung.«
»Wo wohnst du eigentlich?«, fragte Uli.
»Ein ganzes Stück entfernt«, erwiderte sie.
»Papi kann dich doch heimfahren, dann brauchst du nicht zu laufen. Gell, Papi, das tust du gern?«
»Selbstverständlich«, antwortete Werner Grothe leicht verlegen.
»Das ist wirklich nicht nötig. Ich fahre mit der U-Bahn«, erklärte Annelie rasch.
»Ich bin jetzt sowieso müde«, meinte Uli, »aber es ist schön, dass du mir noch gute Nacht sagen kommst, Papi.«
»Sonst kann ich auch nicht schlafen, mein Kleiner.«
Uli legte seine Wange auf Werner Grothes Hand.
»Noch eine Woche kann ich hierbleiben«, flüsterte er. »Ist Mama dann wieder zu Hause?«
Werner hörte, mit welchem Widerwillen er »Mama« sagte.
»Sie wird nicht mehr dasein, Uli«, entgegnete er stockend.
»Nie mehr?«
»Nie mehr.«
»Hat sie das geschrieben?«
»Nein, ich habe es ihr gesagt. Kannst du es denn schon verstehen? Du bist doch noch so klein.«
»Aber ich bin froh, wenn sie nicht mehr da ist«, sagte Uli.
Du müsstest es hören, Marlies, dachte Werner Grothe. Das Kind wird dich nicht vermissen. Es will gar nichts von dir wissen.
»Könnten wir nicht Schwester Annelie zu uns holen, Papi?«, fragte Uli »Da müsste sie nicht so viel arbeiten, und sie ist so lieb. Da würde ich dich auch nicht so sehr vermissen.«
»Ich weiß nicht, ob das geht«, antwortete Werner Grothe leise.
»Du kannst sie ja mal fragen. Wenn du sie heute nach Hause fährst, kannst du sie fragen, Papi. Ich will jetzt sowieso schlafen.«
»Du stellst dir das so einfach vor«, murmelte Werner Grothe verlegen.
»Fragen kann man doch«, meinte Uli. »Geh jetzt lieber, sonst ist sie weg.«
Er schlang seine Ärmchen um seines Papis Hals und drückte seine Nase an dessen Wange.
»Dich habe ich schrecklich lieb, Papi«, sagte er zärtlich. »Ich bin froh, dass du wieder gesund bist.«
»Und ich bin froh, wenn du wieder gesund bist. Schwester Annelie könnte uns ja hin und wieder besuchen.«
»Aber schöner wär’s doch, wenn sie immer bei uns sein könnte. Sie hat so weiche Hände. Wenn sie mich streichelt, tut gar nichts mehr weh.«
»Jetzt schlaf gut, mein Junge«, sagte Werner und küsste den Kleinen auf die Stirn.
»Aber du fährst Schwester Annelie heim!«, drängte Uli.
»Wenn ich sie noch treffe.«
Er sah Annelie, wie sie in ein Zimmer huschte. Er wartete draußen im Wagen auf sie. Vielleicht wollte sie ihm ausweichen, scheu, wie sie war. Er meinte, sie schon ganz gut zu kennen.
Es vergingen noch zwanzig Minuten, bis sie kam, in einem grauen Lodenmantel, der nicht mehr in der Mode war. Bescheiden wie sie selbst, war auch ihre Kleidung.
Er fragte sich plötzlich, was eine Krankenschwester wohl verdient, die so viele Stunden am Tag auf den Beinen
war.
Annelie wurde erst rot, dann blass, als er die Wagentür öffnete.
»Nun kommen Sie schon«, sagte er in väterlichem Ton. »Ich habe sowieso keine Lust, nach Hause zu fahren.«
Ja, es graute ihm davor, wieder mit Marlies zusammenzutreffen, und er ahnte, dass sie heute mal auf ihn warten würde.
»Haben Sie schon gegessen?«, fragte er beiläufig.
»Ich esse immer in der Klinik.«
»Aber vielleicht könnten wir irgendwo noch ein Gläschen Wein trinken?«
»Lieber nicht, das bin ich nicht gewohnt.«
»Ich würde mich gern mit Ihnen unterhalten. Wer weiß, wann sich wieder eine so günstige Gelegenheit ergibt.«
»Vielleicht könnten wir dann ein Stück gehen. Ich bin gern an der frischen Luft. «
»Verständlich, wenn man den ganzen Tag so eingespannt ist. Fahren wir zum Forstenrieder Park.«
»Werden Sie nicht erwartet?«
»Wohl möglich, aber das soll uns nicht stören. Ab heute ist es bei mir aus.« Es klang sehr bestimmt.
Annelie schwieg. Sie schwieg auch dann, als sie nebeneinanderher gingen.
»Verzeihen Sie die indiskrete Frage, aber fühlen Sie sich wohl in Ihrem Beruf?«
»Sonst hätte ich ihn nicht gewählt«, erwiderte sie.
»Noch eine dumme Frage. Ist der Verdienst auch Ihrem Einsatz entsprechend?«
Sie sah unwillkürlich an sich hinab.
»Doch, augenblicklich muss ich nur sparen. Ich möchte mir eine eigene Wohnung einrichten. Bald habe ich es geschafft. «
Es klang sehr rührend. Von ihrem Schicksal wusste Werner Grothe noch nichts, aber an diesem Abend sollte er es dann doch noch erfahren, und er war tief erschüttert.
Sie wäre bestimmt gern bei ihrem Kind geblieben, aber sie hatte mitarbeiten müssen, um ein Haus abzuzahlen, von dem sie nun gar nichts hatte. Und was noch schlimmer war: Sie hatte das Kind verloren, das sie über alles liebte.
»Es tut mir leid«, sagte er leise. »Ich wollte nicht kaum vernarbte Wunden aufreißen. Ich wollte Sie fragen, ob Sie nicht zu uns kommen wollen, um Uli zu betreuen. Ja, deshalb wollte ich mit Ihnen sprechen. Er wünscht es sich so sehr. Selbstverständlich würden Sie das gleiche Gehalt bekommen wie in der Klinik. Ich brauche einen Menschen, bei dem ich Uli in guten Händen weiß. Mit dem auch ich sprechen kann«, fügte er stockend hinzu.
»Das geht doch nicht«, flüsterte sie.
»Warum nicht? Ich habe die Scheidung eingereicht.