Dr. Norden Bestseller Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
wirst eine gute Mutter sein, Liebes. Da ist mir nicht bange. Und ich hoffe, dass ich auch ein guter Vater sein werde. Aber gerade weil ich mir so viel Gedanken darüber mache und auch schon einige Erfahrungen sammeln konnte, würde ich niemals ein Kind adoptieren. Dazu gehört eben sehr viel Bereitschaft, innere Überzeugung und auch sehr viel Kraft.
Hilflose Babys sind immer niedlich. Plötzlich wächst das Kind heran, kriegt vielleicht abstehende Ohren oder sonstige Merkmale, die es nicht mehr so niedlich erscheinen lassen. Es wird vielleicht ein sehr trotziges oder ungezogenes Kind, obgleich man sich bemüht hat, es liebevoll zu erziehen. Es muss nicht sein, aber es kann sein. Es kann an Zerstörungswut leiden, oder es entwickeln sich Eigenschaften, die einem fremd sind.
Meinst du nicht, dass dann sehr schnell der Gedanke kommt: Es ist ja nicht unser Kind. Das hat es von seinen Eltern, das ist das fremde Blut, das in ihm fließt. Und in dem Augenblick, wo solche Gedanken aufkommen, vermindert sich schon das Verständnis.«
»Kinder sind die Produkte ihrer Umgebung, nicht die ihrer Erbanlagen«, warf Fee ein.
»Das will ich nicht wegreden. Wahrscheinlich sind auch Adoptivkinder mit so verschiedenen Maßstäben zu messen wie die eigenen. Ich will nur sagen, dass ich sehr subjektiv urteile und ein Adoptivkind niemals so lieben könnte wie ein eigenes. Vorausgesetzt natürlich, dass man selbst Kinder haben kann. Du musst mich schon so nehmen, wie ich bin. Ich habe immer Hochachtung und Bewunderung für Eltern empfunden, die da keine Unterschiede machen, aber das liegt eben in der Natur des einzelnen.«
»Und wenn unsere Kinder Fehler hätten, die wir nicht begreifen könnten?«, fragte Fee.
»Dann würde ich nicht den Kindern die Schuld geben, sondern die Erziehungsfehler bei mir suchen, Fee. Ich wünsche, dass alle unsere Kinder so werden wie du.«
»Du Schmeichler! Meinst du, ich hätte keine Fehler?«
Er umschloss ihr Gesicht mit beiden Händen.
»Du bist eine wunderbare Frau. Das hast du gestern wieder bewiesen. Manche andere hätte ihren Unwillen bekundet, dass dieses Wochenende einen ganz anderen Verlauf genommen hat, als wir es uns vorgestellt haben.«
»Ärgerst du dich darüber?«
»Wie könnte ich, Liebling! Wir haben ein kleines Menschenleben gerettet, und nichts entbindet uns von der Verantwortung, nun auch dafür zu sorgen, dass Mario wieder ein frohes Kind wird.«
»Das hast du schön gesagt«, flüsterte Fee und küsste ihn auf den Mund. »Ich liebe dich, Daniel, und ich bin glücklich, dass unsere Kinder einen solchen Vater bekommen!«
»Es wird Zeit, dass wir heiraten und einen Sprössling bekommen, Fee«, murmelte er zwischen zwei zärtlichen Küssen.
Das war aber auch die einzige Stunde, die ihnen blieb, denn dann mussten sie sich dem schon wieder recht lebhaften Mario widmen, der ihnen unbedingt erzählen wollte, was er inzwischen alles von Lenchen gelernt hatte.
*
Unvorbereitet wollte Fee ihren Vater nicht mit dem Kind überraschen.
Dr. Cornelius fiel erst mal aus allen Wolken, als sie ihn anrief und ihm sagte, dass sie Mario mitbringen würde.
»Du lieber Gott, du lieber Gott«, murmelte er vor sich hin, als das Gespräch beendet war.
»Warum rufen Sie den lieben Gott an, Johannes?«, fragte Anne Fischer.
»Fee bringt einen kleinen Jungen mit«, erwiderte er.
»Einen Patienten von Daniel?«
»Nein, sie haben ihn aus dem Wasser gefischt. Sie waren beim Segeln am Chiemsee. Seine Eltern sind ertrunken.«
»Ich habe das heute Morgen im Radio gehört«, äußerte Anne nachdenklich. »Sie sagten, dass von einem Münchner Arzt ein Kind gerettet worden sei. An Daniel habe ich dabei aber nicht gedacht.« Sie sah Dr. Cornelius forschend an. »Ist es Ihnen nicht recht, dass Fee den Jungen mitbringt? Das arme Kind! Es muss doch entsetzlich sein, die Eltern zu verlieren.«
»Ich habe doch nichts dagegen, dass Fee ihn mitbringt, aber ich kenne sie. Vor lauter Mitgefühl wird sie ihr ganzes Herz an das Kind hängen. Und ich kenne auch Daniel. Er durchdenkt alles.« Er seufzte wieder. »Es ist ein kleiner Italiener. Er spricht kaum Deutsch.«
»Das wird er schnell lernen. Katja spricht perfekt Italienisch. Oh, ich muss es ihr gleich sagen. Für sie wird es eine Freude sein.«
Warten wir es ab, dachte Dr. Cornelius.
Mario war indessen recht zufrieden mit allem, was er an diesem Tag erlebte. Um ihm möglichst viele neue Eindrücke zu vermitteln, waren Daniel und Fee mit ihm am Nachmittag in den Tierpark gefahren.
So viel fremdartige Tiere hatte Mario noch niemals gesehen.
Vor den Elefanten hatte er ein bisschen Angst, weil sie gar so groß waren, vor den Raubtieren ebenfalls. Aber die lustigen Affen und die schwatzhaften Papageien gefielen ihm sehr. Er wollte sich gar nicht von ihnen trennen.
Dann durfte er auch noch auf einem Pony reiten und den munteren Seehunden zuschauen. Viel zu schnell verging ihm die Zeit.
Er fragte Fee, ob sie wieder einmal dorthin fahren würden.
Er fragte auch, wie lange er bei ihnen bleiben dürfe, und war ein wenig traurig, als Fee ihm erklärte, dass sie am nächsten Morgen wegfahren würden.
Mario wollte gern bei Nonna Lenchen und dem Dottore bleiben, aber Fee versicherte ihm, dass es ihm auf der Insel bestimmt auch gefallen würde.
Nun, anschauen konnte er es sich ja mal. Für alles Neue zeigte er sich sehr aufgeschlossen. Er war sehr aufnahmefähig und begriff schnell.
Am Abend hatte er seinen deutschen Wortschatz schon vergrößert, und Fee hatte erfahren, dass er noch gar nicht lange hier gewohnt hatte.
Seltsamerweise erwähnte er Papa und Mama nicht. Vielleicht versuchte er schon jetzt, die Erinnerungen zu verdrängen.
Lenchen hätte nichts dagegen einzuwenden gehabt, wenn der Junge geblieben wäre, aber sie war so vernünftig, einzusehen, dass er hier nicht die Abwechslung haben würde wie auf der »Insel der Hoffnung«.
So gut war sie doch nicht mehr auf den Beinen, dass sie mit dem Jungen herumlaufen konnte.
Vor der Heimfahrt wollte Fee noch einige Sachen für Mario kaufen.
Nach dem Frühstück hatte Daniel die Polizeistation am Chiemsee angerufen und sich erkundigt, ob sich schon jemand gemeldet hätte, der das italienische Ehepaar gekannt hatte, aber dies war nicht der Fall.
So war der Junge einstweilen nur Mario, ohne Nachnamen, ein Kind ohne Eltern. Und man war froh, ihn nicht in einem Heim unterbringen zu müssen.
Mario erkundigte sich eingehend, was der Dottore jetzt machen würde und wann sie ihn wieder besuchen würden. Aber zum Abschied sagte er: »Arividerci, Daniel.«
Von Nonna Lenchen fiel ihm der Abschied noch schwerer. Sie gab ihm Kuchen und eine Tafel Schokolade mit.
Fee kleidete den Jungen ein. Er brauchte ein paar warme Sachen, denn bald konnte das Wetter umschlagen.
Fee dachte gar nicht daran, dass er womöglich nur für kurze Zeit bei ihnen bleiben könnte. Und daran dachte Mario wohl auch nicht mehr.
Er versicherte ihr während der Fahrt immer wieder, dass sie alle sehr lieb seien und er sie auch sehr lieb hätte.
Ob sie nie mit Daniel schimpfe, wollte er ebenfalls wissen, und auch, warum sie nicht immer beisammen wären.
Sie erzählte ihm, dass sie auch Ärztin sei, und da wurden seine Augen ganz groß. Er hätte gemeint, dass sie ein großes Mädchen sei, sagte Mario.
Als sie dann über die schmale Landzunge zur Insel fuhren, schloss er die Augen.
Sein kleines Gesicht war erblasst, als er den See sah. Aber es bekam schnell wieder Farbe, als sie von Dr. Cornelius und Anne Fischer in Empfang genommen wurden.