Der kleine Fürst Staffel 12 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
brauchte ohnehin viel Zeit zum Nachdenken. So viel war seit ihrer Flucht aus Hamburg noch ungeklärt. Im Augenblick sah sie weder zurück noch nach vorn, sie versuchte einfach im Jetzt zu leben, und das war oft anstrengend genug. Noch immer weinte sie sich manches Mal in den Schlaf.
Von Bernd hatte Verena nichts gehört, seit er sie damals mit den Worten ›Ich brauche Freiheit‹ verlassen hatte. Von seiner Familie, die sonst nie müde geworden war, Verenas Hilfe einzufordern, kam kein Wort. Funkstille auch, was den gemeinsamen Freundeskreis betraf. Klar, dass die alle Bernd, dem Promisohn, die Treue hielten. Verena musste sich allerdings eingestehen, dass sie auch selber dafür verantwortlich war, denn sie hatte all die eigenen Freunde vernachlässigt und schließlich aus den Augen verloren. Alles, was neu dazu gekommen war, hatte sich über die Familie Grünbach und Bernds Firma ergeben. So, und das hatte sie nun davon. Allein marschierte sie über die Prater Hauptallee, ihr einziger Begleiter ein kurzatmiger, glubschäugiger Mops. Selber schuld, Verena! Und im Übrigen ist hier nicht der Moment für Selbstmitleid, schallt sie sich still. Sieh dich nur um: blühende Bäume, zwitschernde Vögel, Sonnenschein! Im Rucksack eine Box mit frischen Erdbeeren, die Anna morgens vom Naschmarkt mitgebracht hatte. Und keine Leute außer ein paar wenigen Glücklichen, die sich ebenfalls den Vormittag frei genommen hatte, um Luft zu schnappen! Gerade wurde sie von einem Jogger überholt, der, die Ohren mit seinem i-Pod verstöpselt, vorbei schnaufte. Herr Franz versuchte ein paar Meter lang mitzuhalten, dann gab er es auf und hob lieber sein Bein an einem der Kastanienbäume. Verena zog ihn weiter und ohne nach links oder rechtes zu schauen, querte sie die asphaltierte Bahn in Richtung eines kleinen Wäldchens.
Genau in diesem Augenblick dröhnte die Erde, und eine Reitergruppe galoppierte wie eine wilde Horde an ihr vorüber. Verena konnte gerade noch zur Seite springen, dabei glitt ihr die Hundeleine aus der Hand. Die Pferde sprengten so knapp an der jungen Frau vorbei, dass die aufspritzenden Lehmklumpen um ihre Ohren flogen. Sie sah drei elegante Reitoutfits, einen schwarzen Zopf unter der einen, zwei blonde Zöpfe unter einer anderen Reitkappe und das Ringelschwänzchen des davonjagenden Herrn Franz. Die Leine schleifte er hinterher! Mit einem kurzen asthmatischen Schnaufer verschwand der Hund in dem Wäldchen. Vor Entsetzen schrie Verena laut auf:
»Herr Franz!«, rief sie verzweifelt. Neben ihr ertönte ein glockenhelles Lachen. Die Reiterin mit dem schwarzen Zopf schien sich über das Unheil, das sie angerichtet hatte, sehr zu amüsieren.
»Herr Franz!«, rief Verena ein weiteres Mal. »Herr Franz, bitte kommen Sie zurück!«
Jetzt kriegte sich die schöne Reiterin gar nicht mehr ein vor Lachen. Sie krümmte sich förmlich auf ihrem Pferd. Die anderen beiden sahen mit einer Mischung aus Belustigung und Erstaunen auf Verena herunter. Es handelte sich um ein großes blondes Mädchen und einen jungen Mann, dessen braune Locken wirr unter dem Helm hervorstanden. Verena schaute sich hilflos um. Nicht auszudenken, wenn sie Herrn Franz nicht wiederfand! Was würde Lilo sagen? Sie hatte ihr den Hund als kostbarsten Schatz anvertraut, nun verlor sie ihn gleich bei ihrer ersten großen Tour. Und der arme Kerl selbst? Er war doch gar nicht in der Lage sich in der freien Natur zurecht zu finden, verwöhnt wie er war!
»Herr Franz! Herr Franz!!!« Schon spürte Verena, wie Tränen in ihr aufstiegen. Auch das noch!
»Schreiben Sie ihm doch einen Brief, Ihrem Herrn Franz!«, ätzte die schwarzhaarige Reiterin von ihrem Rappen herunter. Ihre Stimme klang nun gar nicht mehr glockenhell, sondern schrill und unangenehm. Verena warf ihr einen wütenden Blick zu.
»Sie haben uns fast über den Haufen geritten!«, sagte sie vorwurfsvoll.
»Oh, nun haben Sie sich nicht so. Ist ja nix passiert«, antwortete das Mädel. »Außerdem haben Sie beim Queren der Straße nicht aufgepasst. Kommt, reiten wir weiter!«
Die anderen Reiter wendeten ihre Pferde und setzten sich langsam in Trab. Dann aber zögerte der junge Mann und brachte seinen braunen Wallach erneut zum Stehen. Er murmelte seinen Begleiterinnen etwas zu und sprang ab. Die dunkelhaarige Frau antwortete spöttisch und lachte abermals auf. Wie der besonders nervige Klingelton eines Handys, dachte Verena und rannte an der Gruppe vorbei in das Wäldchen.
»Herr Franz!«, rief sie weiter, zunehmend verzweifelt. Doch der Kleine war nirgends zu sehen.
Hinter ihr knackte das Gehölz. »Na endlich, Herr Franz!«, rief Verena erleichtert. »Was haben uns diese Idioten erschreckt!« Sie wandte sich um, stolperte, und fand sich plötzlich in den Armen des jungen Mannes wieder. Als hätte sie sich nicht schon lächerlich genug gemacht! Brüsk riss sie sich los und starrte den Kerl zornig an.
»Sorry«, sagte der Mann mit belegter Stimme, die vor unterdrücktem Lachen vibrierte. »Aber Sie verwechseln mich. Ich heiße Markus Bäumler, nicht Franz, und das ›Herr‹ können Sie auch weglassen.« Und dann prustete er auch schon los.
»Trottel!«, zischte Verena. »Wenn ich den Hund nicht mehr finde, können Sie was erleben!«
»Na dann lassen Sie uns lieber mal suchen«, sagte er nun und warf sich ohne Vorwarnung ins Gebüsch. »Herr Franz!«, rief nun auch er, und so tönte es bald zweistimmig aus dem Wald.
Der Hund saß auf dem Sonnenflecken einer Lichtung und kratzte sich mit dem Hinterbein hinter dem rechten Ohr. Keinen Millimeter war er ihnen entgegen gegangen, dafür war sein Plätzchen offensichtlich viel zu gemütlich. »Herr Franz!«, rief Verena befreit und fasste rasch nach der Leine. Dann richtete sie sich langsam auf und wandte sich ihrem Begleiter zu.
»Danke für die Hilfe. Ich bin übrigens Verena. Verena Königshofer.« Sie lächelte verlegen. »Ich fürchte, ich war vorhin ein wenig unfreundlich …«
Er lächelte zurück und deutete eine kleine Verbeugung an. »Es tut mir wirklich leid, dass wir Sie erschreckt haben. Sie waren zu Recht wütend«, sagte er jetzt. Seine Stimme war tief und wohlklingend. Seine haselnussbraunen Augen hatten kleine goldene Sprenkel. Verena konnte gar nicht wegschauen.
Markus von Bäumler hielt ihrem Blick stand.
»Danke, dass Sie mir geholfen haben, den Hund zu suchen«, sagte Sie und lächelte scheu.
»Ist doch klar«, gab Markus zurück. »Ich wollte Sie nicht allein lassen, Sie haben so verzweifelt ausgesehen, und ich kam mir so schäbig vor.«
»Weil Sie zu schnell geritten sind?«
»Weil ich Sie ausgelacht habe. Verzeihen Sie bitte. Aber es …«
Und er gluckste schon wieder.
» … es hat wohl ziemlich dämlich ausgesehen?«, vollendete Verena seinen Satz.
Er nickte heftig und schnappte nach Luft. »Allerdings«, gestand er und platzte auch schon wieder heraus. Aber diesmal konnte Verena mitlachen. Die Erleichterung über den wiedergefundenen Hund machte sie so unbeschwert, dass sie erst einmal Atem holen musste, bis sie sich wieder beruhigte.
»Kommen Sie, setzen wir uns doch ein bisserl«, schlug Markus vor. Ganz automatisch, ohne auf den Weg zu achten, waren sie nun eine Weile dahinmarschiert, die Leine mit dem nun ganz braven Herrn Franz hielt Verena fest in der Hand. Auf einer von Regen und Schnee verwitterten und etwas wackeligen Parkbank nahmen sie Platz. Vor ihnen lag eine große Wiesenfläche, gleich daneben glitzerten die Sonnenstrahlen in einem Teich auf dem einige Ruderboote dahindümpelten, auf der anderen Seite führte eine Straße in die Zivilisation. Von Zeit zu Zeit donnerte ein Autobus vorüber, sonst war es still, bis auf das Zwitschern der Vögel und ihre eigenen Stimmen.
Verena packte die Erdbeeren aus und bot Markus davon an. Er griff herzhaft zu. Seine Finger waren lang und schlank. Gepflegte Büroarbeitshände. Ihre Finger hingegen waren vom Malen rau, unter den kurzgefeilten Fingernägeln zeigten sich Spuren der Acrylfarben, mit denen sie neuerdings experimentierte.
Als sich ihre Fingerspitzen für einen Moment unbeabsichtigt streiften, zuckten beide jäh zurück. Sie lachten. Markus griff nach ihrer Hand und betrachtete sie. »Sie sind – du bist«, wagte er sich dann vor, »du bist Malerin?«
»Oh, ich trage meine Visitenkarte wohl unter den Fingernägeln?«, gab Verena unbeschwert zurück.
»Na