Kärntner Totenmesse. Roland ZingerleЧитать онлайн книгу.
um kurz vor elf parkte Heinz seinen schwarzen, getunten VW Corrado auf dem Parkplatz der Seniorenresidenz Seemoos ein, und nahm die Mundschutzmaske aus dem Handschuhfach, die er seit Beginn der staatlichen Verordnungen wegen des Corona-Virus’ immer mithatte. Bei seiner Recherche war er sich nicht sicher gewesen, ob Seemoos der richtige Name war, und jetzt, als er den Bau betrachtete, verstärkte sich diese Verunsicherung noch mehr. Das schlossartige Jugendstilgebäude hatte mehr Ähnlichkeit mit einem Fünf-Sterne-Hotel als mit einem Altersheim, aber er beschloss, sein Glück trotzdem zu versuchen. Sollten alle Stricke reißen, konnte er diesen Rechtsanwalt immer noch zurückrufen und so tun, als hätte er vorhin etwas falsch verstanden.
Als Heinz die Residenz betrat, hielt er inne und staunte. Vor ihm lag ein breiter Gang, der in einen Raum mit mehreren großen Fenstern mündete. Das hereinflutende Licht glänzte mit seiner eigenen Spiegelung im dunklen, rostroten Marmor des Bodens und der Wände um die Wette. Die Bilder und Spiegel in dem Gang waren in Mahagoni eingefasst, und in großen Messingtöpfen wuchsen tropische Pflanzen. Ein paar wuchtige, mit schwerem Brokat bezogene Ohrensessel standen an zierlichen Holztischchen, alles war sauber und glänzend poliert. Die Rezeption bestand aus einem großen, stilistisch mit dem restlichen Interieur harmonierenden Holztisch. Hinter diesem saß eine attraktive, dezent gestylte Dame mittleren Alters, die im Gegensatz zu Heinz keine Mundschutzmaske trug.
„Kann ich Ihnen helfen?“ Sie lächelte ihn freundlich an.
„Mein Name ist Sablatnig.“ Heinz trat zu ihr an den Tisch. „Ich bin hier verabredet.“
Noch ehe er herumdrucksen konnte, weil er den Namen seines Termins vergessen hatte, rief eine Männerstimme von etwas weiter hinten im Gang:
„Herr Sablatnig?“
Im Gegenlicht sah Heinz, wie an einem der Polstersessel schattenhaft eine großformatige Zeitung zusammengefaltet wurde, wonach sich ein Mann erhob und auf ihn zukam.
„Sie sind Heinz Sablatnig?“ Unglauben schwang in der Stimme mit.
„Ja.“
Als der Mann näherkam, konnte Heinz ihn besser sehen. Er mochte Mitte sechzig sein, war etwa einen halben Kopf kleiner als Heinz und erkennbar rundlich, dennoch saß sein Anzug perfekt. Zwischen sorgfältig gekämmten und gegelten Haarbüscheln über den Schläfen zog sich eine Glatze über seinen Kopf. Auch er trug keine Maske.
„Doktor Werginz, angenehm, sehr angenehm!“ Der Anwalt reichte ihm die Hand. „Den Mundschutz brauchen Sie hier nicht.“
Heinz nahm die Maske wieder ab. Ihm entging nicht die Enttäuschung in dem listig-intelligenten Gesicht. Kein Wunder, so wie Heinz beieinander war, hatte sein Auftreten nichts Heldenhaftes an sich – doch genau das hatte Werginz wohl erwartet, zumindest hatte Heinz das aus dessen Anspielung auf seine Rolle bei der Starnacht am Wörthersee geschlossen.
Der Anwalt ließ sich aber nichts weiter anmerken. Er bedankte sich bei der Dame an der Rezeption und forderte Heinz auf, ihm zu folgen.
Der Raum am Ende des Gangs entpuppte sich als weitläufiger Salon. Die in einem warmen Weiß getünchten Wände waren mit Vertäfelungselemen ten aus Mahagoni besetzt, und neben den Pflanzen in den Messingtöpfen dienten hier auch Farbradierungen als Dekorationselemente. Sie zeigten Landschaftsszenen und waren auf Staffeleien platziert. Die Fensterrahmen waren im Weiß der Wände lackiert, was mit den cremefarbenen, leicht gerafften Vorhängen harmonierte. Das Ambiente wurde von einem frischen Blütenduft getragen, der von den Schnittblumen herrührte, die in Vasen auf jedem Tisch standen.
Heinz konnte sich nicht daran erinnern, jemals in einem so prächtigen und gleichzeitig so angenehmen Raum gewesen zu sein. Er war traurig – traurig über seine Unfähigkeit, dieses Erlebnis genießen zu können. Er folgte Doktor Werginz’ einladender Geste und setzte sich auf einen der hell gepolsterten Holzstühle, die an den ovalen Holztischen standen. Die Tische waren mit Tüchern in der Farbe der Vorhänge gedeckt, neben den Blumen stand auf jedem eine Kristallkaraffe, in der frisches Wasser funkelte, sowie einige stilgleiche Gläser.
Der Anwalt nahm ihm gegenüber Platz, räusperte sich und blickte auf seine Hände, die er aneinander rieb.
Heinz bekam das nur am Rande mit, zu sehr irritierte ihn der Reichtum der Ausstattung hier. „Sagen Sie, was ist das hier?“, fragte er.
Doktor Werginz lachte kurz und hektisch. „Das hier ist der Aufenthaltsraum der Seniorenresidenz.“
„So etwas habe ich noch nie gesehen.“ Heinz konnte sich an keinen Seniorenheim-Aufenthaltsraum erinnern, der luxuriöser ausgestattet gewesen wäre als mit Resopaltischen, Linoleumboden und Schnabeltassen aus Plastik – alles in uniformen Pastellfarben gehalten, „um die Herrschaften zu beruhigen“, wie ein Pfleger ihm einmal erklärt hatte.
Hier aber saßen elegant und bequem gekleidete, ältere Damen und Herren vereinzelt an den Tischen, unterhielten sich, lasen Zeitung oder blickten aus den Fenstern. Es hatte eher den Charakter eines noblen Kaffeehauses als den eines Altersheims.
„Nun, kein Wunder, dies ist ja auch die nobelste Seniorenresidenz, die wir in Kärnten haben“, meinte der Anwalt bescheiden, „und natürlich auch die teuerste, immens teuer. Dafür gibt’s aber auch einige Sonderregelungen“, er warf einen Blick auf die Mundschutzmaske in Heinz’ Hand. „Herr Sablatnig, bevor wir mit Frau Doktor Moritsch sprechen, ein paar Anmerkungen vorweg.“
Der ernste Ton in Werginzʼ Stimme zog Heinz’ Konzentration auf sich.
„Frau Doktor Moritsch ist zweiundsiebzig Jahre alt, was heutzutage ja beileibe kein Alter mehr ist, nur leider hat es die Natur nicht gut mit ihr gemeint.“ Der Anwalt machte eine Pause, während der er seinen Händen dabei zusah, wie sie sich gegenseitig kneteten. „Ich weiß nicht, ob Sie sie kennen, sie war ja lange Jahre eine höchst erfolgreiche Kärntner Landesrätin mit mehrmals wechselnden Referaten.“
Jetzt, da er es erwähnte, erinnerte Heinz sich tatsächlich. Liese Moritsch – den Namen hatte er in seiner Kindheit immer wieder in den Radionachrichten gehört, ohne dass er gewusst hatte, wer sie genau war oder was sie tat. Dennoch hatte er sich diesen Namen besser gemerkt, als er sich heute die der gegenwärtigen Landespolitiker merkte. Das mochte daran liegen, dass für ihn als Kind eine Amtszeit von mehreren Jahren unendlich lang erschienen war, während er heute oft glaubte, die Volksvertreter würden sich die Klinken zu den Büros der Macht im Wochentakt gegenseitig in die Hand drücken.
„Wie auch immer“, fuhr Doktor Werginz fort, „seit sie in der Polit-Pension ist, haben ihre Geisteskräfte, sagen wir einmal, nachgelassen.“ Er sah Heinz an, als hoffte er, dieser würde ihn verstehen, ohne dass er deutlicher werden musste.
„Sie meinen, sie ist ...“
„Dement“, zischte der Anwalt leise.
Heinz nickte.
Werginz blickte wieder auf seine Handbewegungen, als müsste er sich sammeln, ehe er fortfuhr: „Sie müssen wissen, dass ich seit vielen, vielen Jahren ihr Weggefährte bin. Ich habe schon in ihren politisch besten Zeiten ihre rechtlichen Agenden vertreten, und das war kein leichtes Brot, das dürfen Sie mir glauben.“ An dieser Stelle schlich sich ein lachender Unterton in seine Ausführungen, der aber sofort wieder verschwand. „Was ich sagen will, ist, dass mir ihr mittlerweile immens schlechter Zustand durchaus nahegeht. Und jetzt wird auch noch ihr Sohn ermordet, und sie versucht, diese Tatsache irgendwie in ihr Leben zu integrieren, zumindest in ihren hellen Momenten.“
Heinz fühlte sich wie vom Blitz getroffen. Moritsch ... es gab doch auch aktuell einen Landesrat dieses Namens ... meinte der Anwalt etwa ihn? Und wann war der ermordet worden?
Doktor Werginz sah Heinz mit einem Ausdruck völliger Fassungslosigkeit an. „Herr Sablatnig ... Sie wissen gar nichts davon, habe ich recht? Mein Gott!“
Für einen Moment schien es Heinz, als wollte der Rechtsanwalt aufstehen und schweigend davongehen. Stattdessen sank sein Kopf mit einem hoffnungslosen Schnauben zwischen seine Schultern. Als er sich wieder gefasst hatte, legte er den Kopf schief und blickte Heinz hart an. „Herr Sablatnig,