Elfenzeit 5: Trugwandel. Uschi ZietschЧитать онлайн книгу.
Meister.«
Der Getreue drehte sich leicht, griff mit der behandschuhten Linken in eine Spalte der Steilwand und zog eine fiepende Ratte hervor, die er dem Kau hinwarf. Der reagierte reflexartig, fing das Tier und schrie auf, als es ihn mit scharfen Nagezähnen in die Hand biss. »Da habt ihr«, sagte der Verhüllte, drehte sich um und schritt durch das Portal. Kurz darauf war seine finstere Gestalt im Licht verschwunden.
»Wann hat er es geöffnet?«, stieß Cor verdattert hervor.
Der Kau konnte keine Antwort geben, er kämpfte mit der Ratte, die sich zäh an ihr Leben klammerte und immerhin ein Viertel seiner Körperlänge maß – ohne Schwanz. »Ich hasse ihn!«, schrie er. »Ich bringe ihn um, das nächste Mal ganz bestimmt!«
Da musste der Spriggans plötzlich lachen. »Ja, genauso wie die Ratte!«, gackerte er und kugelte sich über den Boden.
2.
Nadja: Ins Boyne Valley
Heute.
»Liiinks! Linke Spur! Du musst liiinks faaaahreeeen!«, kreischte Pirx und hielt sich das rote Mützchen vor die Augen.
Der Wagen schlingerte über die Fahrbahn, ein entgegenkommendes Auto konnte gerade noch hupend und mit blitzendem Fernlicht ausweichen, dann lehnte der Rover sich an die linke Leitplanke an und fand endlich wieder auf sichere Bahn.
Strafend blickte Fabio Oreso von der linken Beifahrerseite auf David Bonet, der hochkonzentriert das Steuer umklammert hielt, die sonst kühn geschwungenen Augenbrauen fest zusammengezogen, den Blick starr auf die Straße gerichtet.
»Nächstes Mal«, sagte der Venezianer streng, »fahre ich!«
»Ich weiß nicht, was ihr immer alle habt!«, gab David entrüstet zurück. »Ich bin ein sehr guter Autofahrer!«
»Bist du nicht!«, schrien alle im Chor, die sich noch im Wagen aufhielten, die meisten davon mit geschlossenen Augen und Angstschweiß auf der Stirn.
»Ich hätte mich niemals überreden lassen sollen«, brummte Fabio.
»Ich habe dich nicht überredet«, erwiderte David grinsend. »Ich hab dich reingelegt.«
»David, bei allen Göttern, fahr endlich links ran und lass Fabio ans Steuer!«, forderte Rian ihren Zwillingsbruder zum wiederholten Mal auf, nun deutlich ungehalten.
»Wenn ich mich scheiden lassen könnte, würde ich es tun!«, schimpfte Nadja, deren Flüche der letzten halben Stunde bewundernde Blicke von Pirx eingebracht hatten. »Wenn du schon nicht auf uns hörst, dann wenigstens auf deinen ungeborenen Sohn, dem es mindestens ebenso speiübel ist wie mir!«
»Ach was, das bisschen Schaukelei, das liebt er«, gab David ungerührt zurück und steuerte schon wieder die rechte Straßenseite an, fing sich aber gerade noch rechtzeitig, als er einen Wagen entgegenkommen sah. »Ein Verkehr ist das hier …«
Außerdem regnete es in Strömen, und man sah höchstens hundert Meter weit. Aber das störte den Elfenprinzen kaum. Er hatte noch nie vor irgendetwas Angst gehabt. Im Gegensatz zu den anderen im Auto, die diesen Begriff seit Antritt der Fahrt etwa alle Viertelstunde neu definierten.
Wie sie es vom Flughafen Dublin überhaupt bis hierher geschafft hatten, war allen ein Rätsel. Andererseits war der Verkehr rund um Irlands Hauptstadt von sich aus schon chaotisch, wenngleich nicht ganz so turbulent wie in Catania, wie Nadja fand. Doch dieses Chaos reichte aus, dass David das Auto irgendwie unbeschadet hindurchbrachte, und nun waren sie in den Norden Richtung Drogheda unterwegs.
Die Nerven lagen blank. Der Grogoch hatte schon seit einer halben Stunde nichts mehr gesagt und hielt die Augen fest geschlossen. Seine linke Hand klammerte sich krampfhaft an Rians Bein, eine überaus gewohnte Geste, seit sie zum ersten Mal nach Paris gegangen und als Erstes in den Autoverkehr geraten waren.
»David, wenn du jetzt nicht sofort anhältst, werde ich gewalttätig«, griff Fabio zur letzten Drohung.
»Außerdem muss ich kotzen!«, rief Pirx, und er sah wirklich nicht gut aus. Nadja blickte krampfhaft weg von ihm, zum Fenster hinaus.
»Also schön«, gab David beleidigt nach. Immerhin hatte es gerade zu regnen aufgehört, was nichts zu bedeuten hatte – in diesem Land wechselte das Wetter oft alle zehn Minuten. Wenigstens war es nicht kalt; kein Wunder, der Frühsommer stand vor der Tür. Gleich darauf wurden alle nach links geschleudert, was in dem Fall bedeutete, dass auf Rian das meiste Gewicht lastete, und dann nach vorn, als David bremste und gleichzeitig den Motor abwürgte, weil er die Kupplung nicht trat.
Zeternd, am Rande ihrer Kräfte, stiegen die Mitfahrer aus. Pirx und Grog wackelten eilig ins tropfnasse Gebüsch, von wo aus gleich darauf würgende Geräusche erklangen, und Rian klopfte Nadja beruhigend auf die Schulter, während Fabio die Autoschlüssel an sich riss. Der Prinz breitete die Arme aus.
»Was denn?«, fragte er ratlos. »Das Auto hat nicht mal eine Schramme!«
»Das ist nicht deinen, sondern den Fahrkünsten der Iren zu verdanken«, knurrte Nadjas Vater. »Du bist ein leichtsinniger, ignoranter …«
»Elf!«, vollendete David und verschränkte die Arme vor der Brust. Seine violetten Augen trugen einen stolzen Ausdruck. »Wäre Alebin dir als Schwiegersohn lieber?«
»Könnten wir diesen grässlichen Namen einfach mal weglassen?«, fragte Nadja, und jetzt würgte es sie doch. Pirx und Grog, die gerade mit runzligen Nasen zurückkamen, brachten sich schnell in Sicherheit.
Fabios Handy klingelte, und er hielt es sich ans Ohr. Sein Gesicht nahm einen weichen Ausdruck an; damit wusste jeder, wer dran war, noch bevor er sagte: »Schatz.« Ein paar Sekunden lauschte er, dann lächelte er und ging ein Stück abseits. Obwohl Pirx lange Ohren machte, konnte er kein Wort verstehen. Nach einer Weile kehrte Fabio zurück. »Schöne Grüße von Julia. Auf Sizilien ist alles in Ordnung, auch bei ihr im Waisenhaus. Als ich ihr von Davids Fahrkünsten erzählte, war sie froh, daheim geblieben zu sein.«
Unwillkürlich musste Nadja lachen. Julia – oder vielmehr Donna Letitia, wie ihre Mutter auf Sizilien genannt wurde – wäre auch so nicht mitgekommen, sie wurde im Waisenhaus gebraucht. In den vergangenen Wochen hatte sie die Arbeit, wie sie es bezeichnete, »genug schleifen lassen«, um bei ihrer Familie zu sein, nun wollte sie wieder für die Kinder da sein. Nadja und Fabio war es sehr recht, dass sie außerhalb des Brennpunkts der Geschehnisse blieb.
Die Stimmung besserte sich erheblich, als Fabio das Steuer übernahm. David nahm es ihm nicht lange übel, dafür war das Land viel zu interessant. Immerhin erstreckte sich über dieses Gebiet auch das Reich der Crain in der Anderswelt, und er fand einige Parallelen. Das besondere Grün der Wiesen, vor allem, wenn die Sonne nach dem Regen darauf schien, die sanften Hügel, und die hier zahlreichen Bäume. Es gefiel dem Elfenprinzen ausnehmend gut, und seine Mitreisenden waren bald erneut genervt, weil er bei jedem Inn, an dem sie vorbeifuhren, und bei jedem Pub in den kleinen Ortschaften inständig darum bettelte, anzuhalten und etwas zu trinken.
Niemand sprach es aus, aber Nadja war sicher, dass sie sich nicht allein Gedanken über Davids seltsames Verhalten machte, und ob es an seiner Seele liegen mochte, die langsam in ihm heranwuchs. Früher war er nie so stark emotional gewesen, und wenn, dann eher negativ – mürrisch, aufbrausend, überheblich. So wie jetzt kannte sie den Mann, den sie liebte, überhaupt nicht. Andererseits war es kein Wunder, dass er so durcheinander war. Er musste sich an den Gedanken gewöhnen, Vater zu werden und Verantwortung zu übernehmen; das allein brachte ihn sicherlich schon aus dem Konzept. Elfen banden sich nur selten an jemanden, und noch seltener zogen sie den Nachwuchs gemeinsam auf. Meistens blieben die Kinder bei einem Elternteil, und der andere sah ab und zu vorbei. Inzwischen kam noch dazu, dass Nachwuchs in der Anderswelt mittlerweile zur einer Sensation zählte.
Das Elfenvolk war alt geworden, es gab kaum Nachkommen – und nun hatte es auch noch die Unsterblichkeit verloren. Innerhalb kürzester Zeit war die Anderswelt auf den Kopf gestellt worden – und für junge Elfen wie David und Rian hatte dies umso stärkere Auswirkungen.
Doch