Sophienlust Box 15 – Familienroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
das auch dürfen«, erklärte Nick. »Sie hat gesagt, solange wir mit keiner der isolierten Personen in körperlichen Kontakt kommen, kann nichts passieren.« Er schaute Anja fragend an, und sie bestätigte die Worte seiner Mutter.
»Dürfen Heidi, Bärbel und Vicky noch nicht aufstehen?«, erkundigte sich Pünktchen und blickte hinüber zu dem anderen Fenster, aus dem kein Laut drang.
Anja schüttelte den Kopf. »Noch nicht, Pünktchen. Dazu sind sie noch zu schwach. Aber in einer Woche geht es ihnen hoffentlich schon besser.«
»Wir haben uns schon einige Spiele ausgedacht, die man auch durchs Fenster spielen kann«, berichtete Pünktchen eifrig.
»Glauben Sie, dass die drei sich darüber freuen werden?«
»Ganz bestimmt«, versicherte Anja. »Sie langweilen sich ja jetzt schon. Je besser es ihnen geht, umso mehr werden sie unter der Langeweile leiden.« Dabei hoffte sie mit der ganzen Kraft ihres Glaubens, die drei Kinder durchzubringen. Sie wusste nur zu gut, dass die Krise noch nicht überstanden war.
Pünktchen und Nick erzählten noch einige Neuigkeiten von Sophienlust und ein bisschen Klatsch aus dem Dorf, dann verabschiedeten sie sich wieder. Vorher bestellten sie jedoch noch liebe Grüße an die drei kranken Mädchen.
An diesem Nachmittag kam auch Felicitas mit ihrem Hund Stoffel. Denise, die im Dorf zu tun gehabt hatte, war beim Dokorhaus vorbeigefahren und hatte Felicitas mitgenommen.
Mit strahlenden Augen und einer Tüte Bonbons in der Hand stand das kleine Mädchen auf einmal vor dem Fenster. »Mutti!«
Anja, die gerade sehnsüchtig in den sonnengebadeten Park hinausgeblickt hatte, glaubte ihren Augen nicht zu trauen. »Filzchen! Filzchen, mein Liebling! Wo kommst denn du auf einmal her?«
Das Mädchen strahlte, weil ihr die Überraschung gelungen war. Auch der Spaniel begann freudig zu bellen.
»Pst, Stoffel, nicht so laut«, mahnte Anja. »Die drei Patienten halten gerade Mittagsschlaf.«
»Tante Isi hat mich mitgebracht, Mutti«, berichtete Felicitas.
»Das ist wirklich eine schöne Überraschung«, freute sich Anja. Sie musste die brennende Sehnsucht, ihre kleine Tochter in die Arme zu schließen, gewaltsam unterdrücken. Da stand sie, das kleine Mädchen, nur einige Meter von ihr entfernt. Und doch konnten sie nicht zusammenkommen. Doch Anja freute sich auch schon über Filzchens Anblick. »Wie geht es dir denn, mein Liebes? Ißt du auch genügend?« Sie hatte den Eindruck, dass das Kind ein wenig schmaler geworden war.
Doch Filzchen nickte eifrig. »Ich esse immer, Mutti. Tante Elise kocht uns
jeden Tag leckere Sachen. Auch Papi
ißt viel, und Stoffel auch.« Sie hüpfte glücklich auf der Stelle.
Anja musste lächeln. »Das freut mich.«
»Hier habe ich eine Tüte Bonbons für die kranken Kinder mitgebracht, Mutti.« Felicitas streckte die Tüte zum Fenster hinauf. »Ich habe sie von meinem Sparschwein gekauft«, fügte sie stolz hinzu.
»Das ist aber wirklich lieb von dir, Filzchen. Da werden sich die armen kranken Häschen bestimmt sehr freuen.« Anja verschwieg, dass die Kranken noch gar keine Süßigkeiten essen durften, um das freudige Gefühl des Schenkens bei ihrer Tochter nicht zu zerstören.
Nach einer halben Stunde sagte Filzchen der Mutti auf Wiedersehen. Dabei vergaß sie nicht, viele liebe Grüße an Bärbel, Heidi und Vicky auszurichten.
Anja machte den Abschied kurz, weil sie bereits eine Träne in Filzchens Augenwinkeln glitzern sah. »Du darfst hierher zum Fenster kommen, sooft du willst«, versprach sie. Doch als Filzchen dann hinter ihrem Stoffel davonsprang, musste sie sich doch abwenden und die Nase putzen.
In der gleichen Nacht verschlechterte sich Bärbels Zustand. Es kam zu einer Krise. Das Fieber stieg und quälte das Kind mit Phantasien und Träumen.
Anja wich nicht von Bärbels Bett. Wenn das Kind nach seiner Mutti rief, nahm Anja die heißen, kleinen Finger in ihre Hände und redete begütigend auf Bärbel ein. Obwohl sie nicht bei sich war, also auch keines der beruhigenden Worte verstehen konnte, die Anja ihr zuflüsterte, tröstete sie doch der Klang der vertrauten Stimme genauso, wie die Gegenwart der Mutter sie getröstet hätte.
Das unruhige Stöhnen und Weinen riss auch Heidi und Vicky aus ihrem Schlaf, sodass Anja ihnen ein leichtes Beruhigungs- und Schlafmittel geben musste. Bei Bärbel prüfte sie jede Stunde Puls und Temperatur und wusch ihr heißes Gesicht und ihre verschwitzten Ärmchen mit einer extra dafür vorbereiteten medizinischen Lösung. Das verschaffte dem Kind jedes Mal für kurze Zeit Erleichterung.
Die Mittel, die Anja dem Kind einflößte, durften nicht zu stark sein. Sie hatte die Dosierung mit den Ärzten des Maibacher Krankenhauses genau abgesprochen. Deshalb wagte sie es auch jetzt, in den gefährlichen Krisenstunden, nicht, die Dosierung zu erhöhen. Es hätte den Tod des Kindes bedeuten können. Wie jeder gute Arzt wusste Anja, dass der geschwächte Körper den Kampf gegen die heimtückischen Krankheitserreger selbst ausfechten musste. Man konnte den geschwächten Organismus des Kindes nur hilfreich unterstützen.
Es war eine furchtbare Nacht, voller Angst und Zittern. Stunde um Stunde saß die Ärztin am Bett des schwerkranken Kindes und hoffte und betete. Mehr als einmal war sie nahe daran, ihren Mann anzurufen, um von ihm durchs Telefon seelischen Beistand zu erhalten. Doch sie überwand diese Schwäche jedes Mal wieder, weil sie genau wusste, wie sehr sie Stefan damit ängstigen würde.
Als Bärbel im Morgengrauen in einen etwas ruhigeren Schlummer fiel, spürte Anja die Müdigkeit und die nervliche Anspannung wie Blei in ihren Gliedern. Das Bangen und Zittern und die Angst hatten sie völlig ausgelaugt. Sie wollte aufstehen, um sich in ihrem Zimmer aufs Bett zu legen, doch das gelang ihr nicht mehr. Sie schlief an Bärbels Bett auf dem harten Stuhl ein.
Als der erste Sonnenstrahl ins Zimmer lugte, erwachte Anja steif und gerädert. Es gelang ihr kaum, sich zu erheben. Prüfend wanderte ihr Blick über die drei Krankenbetten.
Vicky und Heidi schliefen ruhig. Auch Bärbel schlief jetzt. Doch ihr Atem ging kurz und stoßweise. Sie stöhnte leise. Doch sie schlief wenigstens. Schon allein für diese Tatsache war Anja dankbar. Der Schlaf würde Bärbels geschwächtem Körper ein klein wenig Kraft geben.
Lautlos verließ die Ärztin das Krankenzimmer, ließ jedoch die Tür einen Spalt offen, um es sofort zu hören, wenn eines der Kinder nach ihr rufen sollte.
Was sie immer wieder erneut ängstigte, war die Tatsache, dass Bärbels Fieber nicht sinken wollte. Mit brennenden Augen starrte ihr die Kleine entgegen, als sie später wieder an ihr Bett trat. »Hast du heute wieder mehr Schmerzen, Bärbelchen?«, fragte sie.
Das Kind nickte gequält. »Alles tut weh, Tante Doktor«, flüsterte Bärbel mit heiserer Stimme und wollte den Kopf heben.
Doch Anja drückte sie behutsam in die Kissen zurück. »Bleib liegen, Kindchen, du darfst dich nicht anstrengen.« Sie schob ganz vorsichtig ihre Hand hinter Bärbels Kopf und hob ihn ein wenig an, um der Kleinen die Tropfen einzuflößen. Dabei spürte sie, wie ihr selbst der Schweiß ausbrach. Aber nicht von der körperlichen Anstrengung, sondern infolge der seelischen Belastung. Obwohl sie Ärztin, also Leiden gewohnt war, schmerzte es sie, ein hilfloses Kind leiden zu sehen. Die kleine Bärbel war ein so liebes, geduldiges Mädchen. Tausendmal lieber hätte Anja die Schmerzen der Kleinen selbst auf sich genommen, als so ohnmächtig neben dem Bett gestanden und abgewartet, ob die heimtückische Krankheit nachließ oder nicht.
In den vielen Nachtstunden, die Anja Frey noch im Zimmer der drei Kranken wachte, als die Krankheit ihren Höhepunkt erreichte, erkannte sie eines: die Ohnmacht der Ärzte. Trotz aller Erkenntnisse der Wissenschaft und aller Errungenschaft der Technik gab es Dinge, die der Mensch nicht beeinflussen konnte.
In diesen hilflosen Augenblicken begann Anja Frey heimlich zu beten. Niemand ahnte es, und sie hätte es auch nicht zugegeben, dass sie als Ärztin den lieben Gott anflehte, ihre Kinder wieder gesund zu machen.
Nachdem Bärbel