Der kleine Fürst Staffel 13 – Adelsroman. Viola MaybachЧитать онлайн книгу.
Er schloss die Tür direkt vor ihrer Nase.
Sie war so fassungslos, dass sie noch mehrere Sekunden am selben Fleck stehen blieb, ohne sich zu rühren.
Auf dem Heimweg weinte sie wieder. Sie weinte auch noch, als sie sich ins Bett legte. Etwas war an diesem Abend unwiderruflich zu Ende gegangen, sie wusste nur noch nicht, was.
*
Als Annabelle etwa zwei Wochen später den Bericht über eine Bande von Drogendealern in der Zeitung las, blieb ihr Blick an einem Foto hängen, auf dem sie ein bekanntes Gesicht entdeckte. Es gehörte René von Hoydorff, dem Kommissar mit dem Röntgenblick aus blauen Augen. Sieh mal an, dachte sie.
Sie las den Artikel aufmerksam durch. Offenbar war die Schule, an der sie demnächst unterrichten würde, auch betroffen gewesen. Einige der älteren Schülerinnen und Schüler dort hatten sich bei der Bande mit Pillen eingedeckt, denen die Dealer eine geradezu magische Wirkung zugeschrieben hatten.
Sie waren immer nach demselben Muster vorgegangen. Zuerst hatten sie sich Jugendliche ausgesucht, die leicht beeinflussbar und anfällig für Einflüsterungen waren. Diese bekamen ein paar Proben gratis, damit sie sich überzeugen konnten, wie ›gut‹ die Ware war. So wurden sie nach und nach in die Sucht gelockt, und wenn für die Kriminellen alles gut lief, dann ließen sich auch noch ein paar Freundinnen oder Freunde ihrer Kunden verführen.
Die Bande hatte sich jugendlicher Lockvögel im Alter der Opfer bedient und damit großen Erfolg gehabt. Jetzt waren sie aufgeflogen. Was Annabelle beobachtet hatte, war also tatsächlich ein Polizeieinsatz gewesen. René von Hoydorff hatte mit seinem Einsatz letztlich doch noch Erfolg gehabt.
An diesen Einsatz hatte sie noch öfter denken müssen. Nicht nur, weil sie gern in Erfahrung gebracht hätte, ob René von Hoydorff ehrlich zu ihr gewesen war, sondern auch, weil er sie wider Willen beeindruckt hatte. Aber natürlich wusste sie, dass sie ihn vermutlich nicht wiedersehen würde.
Als es klingelte, war ihr das gar nicht recht. Sie wollte jetzt eigentlich nicht gestört werden. Am nächsten Tag würde sie nach Sternberg reisen, und bis dahin hatte sie noch viel zu erledigen. Sie öffnete trotzdem und sah sich unvermutet dem Mann gegenüber, an den sie gerade eben gedacht hatte. Das war ihr beinahe ein bisschen unheimlich, aber zum Glück konnte er ja keine Gedanken lesen.
Kommissar René von Hoydorff lächelte sie vergnügt an. »Fein, dass Sie zu Hause sind«, sagte er. »Lassen Sie mich kurz eintreten?«
»Niemand hat gern die Polizei im Haus, aber ich kann in diesem Fall wohl schlecht ›nein‹ sagen, Herr Kommissar.«
»Vielen Dank.« Er folgte ihr in die Wohnung und sah die aufgeschlagene Zeitung auf dem Tisch liegen. »Sie wissen also schon Bescheid«, stellte er fest.
»Ja, ich habe es gerade gelesen. Sie hatten Erfolg, ich gratuliere Ihnen. Hätten Sie die Bande nicht geschnappt, hätte ich vielleicht auch noch mit dem Problem zu tun bekommen, wie ich mittlerweile weiß.«
Er zog fragend die Augenbrauen in die Höhe.
»Ich fange als Referendarin an nach den Ferien. Und das Gymnasium war ja offenbar auch betroffen. Bitte, nehmen Sie Platz. Ich bin gespannt, weshalb Sie gekommen sind, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass Sie noch eine Zeugenaussage von mir brauchen.«
»Doch«, erklärte er. »Ich habe ein Protokoll von unserer Begegnung geschrieben, das Sie mir unterschreiben sollen. Hier, bitte.«
»Und dafür kommt ein hochbezahlter Kommissar extra zu mir nach Hause?«, fragte Annabelle. »Warum haben Sie mich nicht anrufen lassen, damit ich vorbeikomme? Das hätte jede Sekretärin erledigen können.«
»Ja«, seufzte er. »Das stimmt natürlich. Ich hatte mir schon gedacht, dass Ihnen das auffällt. Also gut, ich habe mir einen Vorwand gesucht, um Sie wiederzusehen.«
»Wie bitte?«
Er nickte. War da nicht sogar eine Spur Verlegenheit in seinem Lächeln. »Schlimm?«, fragte er. »Natürlich hätte ich anrufen und Sie vorladen können, aber das wollte ich eben nicht. Und deshalb bin ich jetzt hier.«
»Das ist ja wirklich allerhand!«, entfuhr es Annabelle. »Dürfen Sie das überhaupt?«
»Ganz streng genommen dürfte ich das vermutlich nicht«, gab er zu. »Und wenn Sie mich jetzt bitten zu gehen, mache ich das. Sie unterschreiben das Protokoll, und ich bin weg. Hier, bitte.«
Er reichte ihr ein eng beschriebenes Blatt, dessen erste Zeilen sie überflog, dann legte sie es vor sich auf den Tisch. »Sie sind ganz schön mutig«, sagte sie. »Und wenn ich jetzt einen Mann gehabt hätte, der Krafttraining betreibt und Sie, genau wie ich, sofort durchschaut hätte?«
Er lachte, jetzt blitzten seine Augen wieder, und auch die Verlegenheit war verschwunden. »Das habe ich nicht riskiert, ein paar Erkundigungen habe ich vorher schon eingezogen, in aller Stille. Ich wusste also, dass ich Sie ziemlich sicher allein antreffen würde.«
»Das durften Sie auch nicht«, sagte Annabelle streng.
»Nun, ich darf mich schon erkundigen, wer die Frau ist, für die ich mich interessiere. Das machen nicht nur Polizisten.«
Ihre Blicke begegneten sich. Annabelle fühlte sich plötzlich ganz leicht, in ihrem Körper kribbelte es. Die berühmten Schmetterlinge im Bauch. »Schlechtes Timing, Herr Kommissar«, sagte sie. »Morgen verreise ich erst einmal.«
»Für länger?«, fragte er.
»Na ja, zwei Wochen könnten es schon werden. Danach fängt hier bei uns ja die Schule an, und ich möchte gut ausgeruht sein, wenn ich meine neue Stelle antrete.«
»Werden Sie sich mit mir treffen, wenn Sie zurück sind?«
Sie legte den Kopf schief und betrachtete ihn prüfend. »Ich könnte darüber nachdenken. Wollen wir heute Abend eine Kleinigkeit zusammen essen?«
Er fing schallend an zu lachen. »Sie sind wirklich umwerfend«, stellte er fest. »Zuerst stellen Sie mich streng zur Rede, und jetzt kommen Sie mir mit so einem Angebot.«
»Nur, um mir ein genaueres Bild von Ihnen zu machen«, erklärte Annabelle. »Es gibt Steaks und Salat, mehr nicht. In Ordnung?«
»Sie laden mich hierher ein?«, fragte er ungläubig.
»Warum nicht? Ich werfe Sie frühzeitig wieder hinaus, machen Sie sich keine Hoffnungen. Können Sie um sieben hier sein?«
»Mit dem größten Vergnügen«, erklärte er. »Aber unterschreiben Sie mir trotzdem bitte dieses Protokoll?«
Sie las es aufmerksam durch, bevor sie ihre Unterschrift daruntersetzte. Als er sich verabschiedet hatte, sah sie ihm nach, wie er zu seinem Auto lief. Er rannte beinahe, wie ein kleiner Junge, der nach Hause will, um seinen Eltern zu erzählen, dass er etwas Aufregendes erlebt hat.
Kommissar von Hoydorff, dachte Annabelle, als sie sich mit einem Lächeln abwandte. Wer hätte das gedacht!
*
»Gabriela ist verändert, oder?«, fragte Robert von Gehringen, der sich an diesem Tag mit Philipp von Moerss in einem Café getroffen hatte.
»Total«, antwortete Philipp. »Wolltest du deshalb, dass wir uns treffen?«
»Ja. Ich finde, dass das so nicht weitergeht. Aber ich bin immer noch in sie verliebt …«
»Ich auch.«
»Eben. Hast du eine Ahnung, was mit ihr los ist? Ich habe schon mehrfach versucht, mit ihr zu reden. Ohne Erfolg.«
»Geht mir genauso. Sie rückt nicht mit der Sprache heraus. Nicht einmal eine Andeutung hat sie gemacht.«
»Wenn du mich fragst: Sie wird sich von uns beiden trennen«, sagte Robert mit düsterer Miene.
»Der Gedanke ist mir auch schon gekommen«, murmelte Philipp. »Dabei war ich vor zwei Wochen ganz sicher, dass sie sich im Grunde entschieden hat.«
»Das dachte ich auch. Ich war sicher,