Chefarzt Dr. Norden Paket 1 – Arztroman. Patricia VandenbergЧитать онлайн книгу.
und sah ihr tief in die Augen.
»Für so bescheiden hatte ich dich gar nicht gehalten«, gurrte sie und schmiegte sich an ihn.
»Heutzutage muss ein Mann vorsichtig sein. Am Ende bekomme ich noch eine Anzeige wegen Vergewaltigung.« Mit einem kräftigen Ruck hob er sie hoch und trug sie über den Flur hinüber ins Schlafzimmer. In Erwartung der Dinge, die er gleich mit ihr anstellen würde, spürte er ihr Gewicht nicht.
»Ich kann immer noch behaupten, dass du mich gegen meinen Willen überwältigt hast.« Sie knabberte an seinem Ohr.
»Das würdest du tun?« Matthias legte sie aufs Bett und kniete sich über sie.
»Probier’s aus, wenn du dich traust!«, forderte sie ihn auf und zog ihn zu sich hinunter.
*
»Heute gibt es hausgemachte Matjesfilets mit Pellkartoffeln und Salat«, erklärte Lenni, die ehemalige Haushälterin der Familie Norden. Seit es in dem Arzthaushalt kaum mehr Arbeit für sie gab, hatte sie sich umorientiert. Mit tatkräftiger Unterstützung ihres Lebensgefährten Oskar arbeitete sie seit einiger Zeit im Kiosk der Behnisch-Klinik.
Leidenschaftliche Köchin, die sie war, ließ sie sich aber das Kochen für Gäste nicht nehmen. Wann immer Besucher im Hause Norden zum Essen blieben, schwang sie munter den Kochlöffel. »Ich hätte ja etwas richtig Aufregendes auf den Tisch gestellt. Zum Beispiel Linsen auf äthiopische Art«, sagte sie zu Viola und Svenja, als sie die Schüsseln auf den Tisch stellte. »Aber mein Chef und seine Frau sind ein wenig spie… konservativ. Zumindest, was das Essen angeht.« Diese Spitze hatte ihren Grund in dem Abendessen, das sie anlässlich des Besuchs von Danny und Tatjana serviert hatte. Nur die Freundin des Juniors war voll des Lobs gewesen. Alle anderen hatten mehr oder weniger offen ihr Missfallen zum Ausdruck gebracht, was Lenni nachhaltig verstimmte.
Um ein Haar wäre Svenja in prustendes Lachen ausgebrochen. Gerade noch rechtzeitig schlug sie die Hand vor den Mund.
»Nur, weil wir keinen Karotten-Reis-Auflauf mit Rosinen mögen, sind wir noch lange keine Spießer«, reklamierte Felicitas und wollte schon fortfahren, als sie eine Hand auf der ihren spürte.
»Ihr Matjesfilet ist einfach genial.« Daniel lächelte Lenni gewinnend an. »Das wollten wir unseren Gästen auf keinen Fall vorenthalten. Und die Linsen probieren wir einfach ein andermal.«
Die Haushälterin schmolz dahin wie Schnee in der Sonne.
»Zuerst bekommen Sie von mir den Pichelsteiner, den Sie sich so sehr gewünscht haben«, versprach sie ihm. Ganz kurz sah sie so aus, als ob sie ihn am liebsten in die Wange gekniffen hätte wie einen kleinen Jungen. Zum Glück beherrschte sie sich und tänzelte förmlich aus dem Esszimmer.
Belustigt sah Viola ihr nach.
»Eine reizende Person.«
»Lenni ist ein Schatz und hat das Herz auf dem rechten Fleck«, bestätigte Daniel. »Leider hat sie einen Charme wie ein Reibeisen. Das macht die Sache manchmal nicht ganz leicht«, fügte er leiser hinzu.
Svenja bemerkte den seltsamen Blick, den Viola ihrem Freund zuwarf. Sie wusste genau, dass ihre Mutter wieder einmal nicht verstanden hatte. Um sich vor den Freunden nicht zu verraten, stellte sie aber keine Fragen, sondern begann zu essen.
Zu Svenjas Erleichterung verlief die Mahlzeit ohne weitere Zwischenfälle. Viola stellte viele Fragen, sodass sie selbst nicht viel antworten musste. Eine Strategie, die sie im Laufe der Zeit entwickelt hatte, um ihre Defizite vor ihren Mitmenschen zu verbergen. Lediglich ihrer Tochter konnte sie nichts vormachen. Svenja beobachtete sie mit Argusaugen. Für sie musste sie sich immer neue Ausreden einfallen lassen. Doch wie lange würde ihr Kind ihr noch glauben? Zum Glück musste sie sich aber zumindest an diesem Abend nicht mit dieser Frage beschäftigen.
Zufrieden schob sie das Dessertschüsselchen von sich und leckte die restliche Vanillecreme von den Lippen.
»Wie macht ihr das nur, dass ihr so schlank seid? Mit einer Köchin wie Lenni wäre ich längst kugelrund.« Viola sah hinüber zu der Haushälterin, die mit einem Tablett ins Zimmer kam.
»Wie gesagt, nicht alle schätzen meine Kochkünste so wie Sie«, brummte Lenni.
Daniel verdrehte die Augen, als Svenja die Situation kurzentschlossen rettete.
»Kann ich etwas helfen?«, fragte sie und sprang auf, um sich nützlich zu machen. Nebenbei verstrickte sie Lenni in ein Gespräch über die Zubereitung der Vanillecreme.
Daniel sah den beiden nach, wie sie schwatzend in der Küche verschwanden.
»Da hast du ja ein richtiges Goldstück großgezogen«, lobte er überschwänglich.
»Vielen Dank.« Viola freute sich sichtlich über das Kompliment. »Sie hat es mir aber auch leicht gemacht.«
»Und trotz Kind ist es dir gelungen, Karriere zu machen«, bemerkte Fee anerkennend und schenkte Wasser nach. »Daniel hat erzählt, du bist hier, um einen Vortrag zu halten.«
Viola nickte.
»Das ist richtig. Ich wurde von der Akademie ›Netzwerk der Wissensvermittlung‹ eingeladen, meinen Vortrag ›Grenzen als konstituierende und variable Merkmale des Regionalen‹ zu halten.«
»Hui, das klingt aber sehr kompliziert.«
»Wenn man sich ein bisschen mit dem Thema auseinandergesetzt hat, ist es das gar nicht.« Viola war in ihrem Element und erzählte von ihrem Fachgebiet. »Besonders glücklich bin ich, dass mich Svenja diesmal begleitet«, schloss sie ihren Bericht. »Es macht doch viel mehr Spaß, zu zweit unterwegs zu sein, als ständig allein durch die Gegend zu gondeln.«
Fee lag die Frage nach einem Lebenspartner auf der Zunge. Da Viola aber selbst nichts darüber sagte, verzichtete sie wohlweislich darauf.
»Was macht Svenja, solange du mit dem Vortrag beschäftigt bist?«, fragte sie stattdessen.
Viola saß nah bei Fee und beobachtete sie genau. Die Worte, die sie nicht verstand, las sie von den Lippen ab.
»Sie will sich ein bisschen in München umsehen und hat sich auch schon bei einer Stadtführung für junge Leute angemeldet.« Viola gähnte mit vorgehaltener Hand. Sie sah auf die Uhr. »Seid ihr mir böse, wenn ich jetzt schon ins Bett gehe? Die Fahrt hat mich müde gemacht.«
Daniel wunderte sich. Violas Wohnort lag gerade einmal vier Autostunden entfernt. Für die Strecke hatte sie sich einen ganzen Tag Zeit genommen.
»Natürlich nicht«, versicherte er schnell und wollte aufstehen, um sie zum Gästezimmer zu bringen.
Sie ahnte seine Absicht und bedeutete ihm, sitzen zu bleiben.
»Keine Sorge, ich finde den Weg schon«, versprach sie.
Fee und Daniel sahen ihr nach, wie sie das Esszimmer durchquerte. Zuerst war alles ganz normal. Doch plötzlich wirkten ihre Schritte unsicher. Einmal schwankte sie gefährlich. Der Türrahmen bewahrte sie vor einem Sturz. Sie blieb kurz stehen, um sich zu sammeln. Als hätte sie ihre Gastgeber vergessen, verließ sie, ohne sich noch einmal umzudrehen, das Zimmer.
Daniels Augen waren schmal geworden.
»Wenn ich nicht ganz sicher wäre, dass Viola nur Wasser hatte, würde ich sagen, dass sie angetrunken ist.«
»Sie trinkt schon seit fast einem Jahr keinen Tropfen mehr. Trotzdem hat sie diese Ausfälle immer wieder.« Es war Svenjas Stimme, die aus dem Hintergrund kam.
Sie stand in der Küchentür und putzte sich die Hände an einem Geschirrtuch ab. »Außerdem ist sie manchmal schwerhörig. Wenn ich sie darauf anspreche, kommt sie immer mit irgendeiner Ausrede daher. Heute auf der Fahrt hat sie zum Beispiel behauptet, dass sie seit dem letzten Flug nicht mehr so gut hört. Dabei stimmt das gar nicht.« Sie war an den Tisch gekommen und ließ sich auf den Stuhl fallen. Mit ratloser Miene musterte sie den grau-beige gemusterten Teppich unter dem Esstisch. Schließlich hob sie den Blick. »Manchmal mache ich mir richtig Sorgen um sie.«
»Verständlich«,