Die Propeller-Insel. Jules VerneЧитать онлайн книгу.
schließt Sébastien Zorn sich ihm an, »denn morgen müssen wir unbedingt in San Diego sein.«
»Schon recht«, erwidert Yvernes, »ein halber Tag wird ja ausreichen, die Stadt unseres liebenswürdigen Amerikaners zu besuchen.«
»Was mich verwundert«, lässt sich Frascolin vernehmen, »ist, dass überhaupt eine so bedeutende Stadt in der Nähe von Freschal liegt! … Wie mochte es nur kommen, dass unser Kutscher davon kein Sterbenswörtchen gesagt hat?«
»Die Hauptsache bleibt doch, dass wir hier sind, alter G-Schlüssel«, bemerkt Pinchinat.
Durch zwei große Fenster dringt reichliches Licht ins Zimmer, das auf etwa eine Meile Länge Aussicht nach einer schönen, mit doppelter Baumreihe geschmückten Straße bietet.
Die vier Freunde beginnen nun in einem behaglichen Nebenraume ihre Toilette, übrigens eine kurze und leichte Arbeit, denn alles ist hier nach den neuesten Verbesserungen eingerichtet: Drehhähne für warmes und kaltes Wasser zur beliebigen Mischung, Waschgeschirre, die sich durch Achsendrehung selbsttätig entleeren, Fuß- und Handwärmer, Zerstäuber mit wohlriechenden Flüssigkeiten, die nach Belieben in Funktion treten, durch den elektrischen Strom bewegte Ventilatoren, mechanisch bewegte Bürsten, sodass man an die einen nur den Kopf, an die anderen die Kleidung oder die Stiefel zu halten braucht, um erstere gereinigt, letztere blankgewischt zu bekommen.
Des weiteren, ohne die elektrische Uhr und die elektrischen Ölfläschchen, die sich durch einen Fingerdruck nach Bedarf ergießen, zu rechnen, setzen Klingeltasten oder Telefone die verschiedenen Teile der ganzen Anlage mit dem Zimmer in sofortige Verbindung.
Und Sébastien Zorn nebst seinen Kameraden kann von hier aus nicht allein mit dem Hotel sprechen, sondern auch mit den verschiedenen Teilen der Stadt, ja vielleicht gar – das ist wenigstens Pinchinats Ansicht – mit jeder beliebigen Stadt der Vereinigten Staaten.
»Wenn nicht der beiden Welten«, setzt Yvernes hinzu.
In der Erwartung, sich hiervon noch später zu überzeugen, lässt sich zwei Minuten nach drei Viertel acht Uhr in englischer Sprache folgende telefonische Mitteilung vernehmen:
»Calistus Munbar entbietet seinen Guten Morgen allen verehrlichen Mitgliedern des Konzert-Quartetts und ersucht sie, sobald sie dazu fertig sind, herunter zu kommen, um im Dining-room des Exzelsior-Hotels das erste Frühstück einzunehmen.«
»Exzelsior-Hotel!« rief Yvernes. »Der Name dieser Karawanserei1 klingt vielversprechend!«
»Calistus Munbar, das ist unser so ungemein zuvorkommender Amerikaner«, bemerkt Pinchinat, »und der Name ist großartig!«
»Liebe Freunde«, ruft der Violoncellist, dessen Magen ebenso selbstwillig ist wie sein Eigentümer, »da der Morgenimbiss aufgetragen ist, wollen wir frühstücken, und nachher …«
»Nachher … spazieren wir durch die Stadt«, fällt Frascolin ein. »Doch welche Stdt in aller Welt kann das sein?«
Nachdem unsere Pariser ihre Morgentoilette so ziemlich vollendet haben, antwortet Pinchinat telefonisch, dass sie sich binnen fünf Minuten die Ehre geben werden, Herrn Calistus Munbars Einladung nachzukommen.
Bald darauf begeben sie sich nach dem Personenaufzug, der sich sofort in Bewegung setzt und sie in die monumentale Vorhalle des Hotels hinunterbefördert. An der Rückseite des Flurs liegt die Tür nach dem Diningroom, einem großen, in reichem Goldschmuck erglänzenden Saale.
»Ganz zu Ihren Diensten, meine Herren, ganz zu Ihrem Befehl!«
Der Herr vom vorigen Abend ist es, der diesen Satz von zehn Wörtern ausspricht. Er gehört dem Typus von Persönlichkeiten an, von denen man sagen kann, dass sie sich gleich selbst vorstellen. Erscheint es nicht, als ob man mit ihnen schon lange oder richtiger, schon »von jeher« bekannt wäre?
Calistus Munbar kann zwischen fünfzig und sechzig Jahre zählen, sieht aber höchstens wie ein mittlerer Vierziger aus. Er ist über mittelgroß, ziemlich beleibt und hat starke Gliedmaßen. Gesund und kräftig, zeigt er sichere Bewegungen – kurz, er »platzt« vor Gesundheit, wenn dieser Ausdruck erlaubt ist.
Dem Sébastien Zorn und seinen Kollegen sind solche Leute – deren gibt es ja in den Vereinigten Staaten nicht so wenige – schon oft in den Weg gelaufen. Der gewaltige, kugelrunde Kopf Calistus Munbars strotzt von noch blondem, üppigem Haar, das auf- und abschwankt, wie Baumlaub unter dem Winde; sein Teint ist recht frisch; der ziemlich lange, rotgelbe Bart läuft in zwei Spitzen aus; den Schnurrbart hat er wegrasiert; der an den Lippenwinkeln etwas hinaufgezogene Mund erscheint lächelnd, sogar scherzhaft; die Zähne gleichen blendendweißem Elfenbein; die an der Spitze etwas verdickte Nase, mit leicht beweglichen Flügeln und mit zwei lotrechten Falten unter der Stirn solid befestigt, trägt einen Klemmer, der von einer feinen, gleich einem Seidenfaden schmiegsamen silbernen Schnur gehalten wird. Hinter den Gläsern des Klemmers blitzt ein bewegliches Auge mit grünlicher Iris auf, deren Pupille wie von Kohlenglut erleuchtet aussieht. Dieser Kopf ist mit den Schultern durch einen wirklichen Stiernacken verbunden und der Rumpf auf fleischigen Ober-, nebst tüchtigen Unterschenkeln über etwas großen Füßen aufgebaut.
Calistus Munbar trägt ein weites, katechufarbenes Jacket von Diagonalstoff. Aus der Tasche an der Seite lugt der Zipfel des Taschentuchs hervor. Die stark ausgeschnittene Weste wird von drei goldenen Knöpfen geschlossen gehalten. Von einer Tasche derselben zur anderen hängt bogenförmig eine schwere Kette, die an dem einen Ende einen Chronometer, am anderen einen Pedometer trägt, ohne die Breloques, die in ihrer Mitte klimpern und klirren. Dieser Goldschmuck wird noch vervollständigt durch einen wahren Rosenkranz von Ringen, womit die vollen, rosenroten Finger verziert sind. Das tadellos weiße, steife und glanzgeplättete Hemd lässt drei schöne Diamanten sehen und läuft in einen breit zurückgeschlagenen Kragen aus, unter dem eine nicht recht zu bezeichnende Krawatte, mehr nur ein braunroter Galon, herabhängt. Das Beinkleid aus streifigem Stoffe mit weiten Falten verengt sich nur über den mit Aluminiumagraffen geschlossenen Schuhen.
Die Physiognomie2 dieses Yankees ist im höchsten Maße ausdrucksvoll – die Physiognomie