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Die Europäische Einigung. Von 1945 bis heute. Gerhard BrunnЧитать онлайн книгу.

Die Europäische Einigung. Von 1945 bis heute - Gerhard Brunn


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politische Führung in Washington musste akzeptieren, dass es den USA nicht mehr, wie nach dem Ersten Weltkrieg, möglich sein würde, sich auf den eigenen Kontinent zurückzuziehen. Es war, so lautete die Erkenntnis der Experten der amerikanischen Außenpolitik, unausweichlich, weltweit politisch zu wirken, allein schon im Interesse der eigenen Sicherheit und des eigenen Wohlergehens und nicht nur wegen der Verantwortung, die dem Land wegen seiner Stärke zugefallen war.

      Wie weit diese Verantwortungen reichen würden, überblickte die amerikanische Führung allerdings nicht. Sie ging aber davon aus, dass die Zusammenarbeit mit der Sowjetunion langfristig angelegt sei und dass Großbritannien und Frankreich stark genug und willens seien, eine tragende Funktion in der europäischen Sicherheitsarchitektur zu übernehmen. Beide Annahmen erwiesen sich als irrig.

      Die Zerstörung der britischen und der französischen Wirtschaftskraft, die innenpolitische Zerrissenheit Frankreichs und die Belastungen der beiden Länder durch ihre Anstrengungen, die um ihre Selbständigkeit kämpfenden Kolonien weiter im Besitz zu halten, stellten sich als so schwer heraus, dass keine der beiden Nationen in der Lage war, dem Anspruch gerecht zu werden, eine große oder gar Weltmacht zu sein.

      Ein französisches Europa

      Das Nachkriegsfrankreich unter General de Gaulle erhob aber den Anspruch, Ordnungsmacht im Westen des Kontinents zu werden und hier ein »französisches« Europa zu schaffen. Nach der festen Überzeugung der französischen Politik war dies eine notwendige Voraussetzung dafür, dass Deutschland nie wieder zu einem Krieg fähig oder zu einem machtvollen Konkurrenten Frankreichs werden dürfe. Französische Europapolitik war deshalb in den Nachkriegsjahren bis hin zum Schumanplan und zum Vorschlag der Europäischen Verteidigungsgemeinschaft vorrangig Deutschlandpolitik, und sie zielte in einer ersten Phase darauf, Deutschland zu zerstückeln, das Rheinland abzutrennen, das Ruhrgebiet als das industrielle Herz Deutschlands herauszulösen und es internationaler Verwaltung und Nutzung zu unterstellen. Mit solch einer regelrechten Verkrüppelung Deutschlands konnten sich die USA und Großbritannien nicht einverstanden erklären, weil daraus nur ein neues europäisches Chaos entstehen und eine Anlehnung ganz Deutschlands an die Sowjetunion als Schutzmacht folgen würde.

      Um Deutschland für lange Zeit klein zu halten und Frankreich als führende Macht im westlichen Europa zu zementieren, dachte de Gaulle ferner daran, aus Frankreich mit Einschluss des Rheinlands und des Ruhrgebiets sowie der Beneluxstaaten eine »westliche Gruppierung« zu schaffen. Er präzisierte den Plan im Oktober 1945 in Brüssel, aber die Beneluxstaaten ließen sich nicht dafür gewinnen.

      Eine weitere Option sah die französische Politik schließlich in einer dichten wirtschaftlichen Verzahnung und Kooperation mit Großbritannien, in der Neuauflage einer »Entente Cordiale« mit besonderen Qualitäten. Dazu war Großbritannien nicht bereit, so dass bis 1947 nicht eine der Optionen der französischen Europapolitik verwirklicht werden konnte.

      Wenn in der Nachkriegszeit auf dem europäischen Kontinent über Formen der europäischen Sicherheit und Zusammenarbeit gesprochen wurde, galt es als unabdingbar, dass Großbritannien mit seinem enormen Prestige, das es sich im Krieg als Bollwerk gegen NS-Deutschland und als Zufluchtsort für Exilpolitiker erworben hatte, dabei sein und die Führung übernehmen müsse, auch, um eine für die Beneluxstaaten unannehmbare französische Vorherrschaft zu verhindern. Dagegen gehörte zu den britischen außenpolitischen Optionen nach dem Krieg zwar ein westeuropäischer »Block«. Er sollte nicht nur die westlichen Länder vor einer potentiellen neuen deutschen Aggression schützen, sondern neben dem Pfeiler des Commonwealth auch als europäischer Pfeiler für den britischen Großmachtanspruch dienen. Diese Option aber wurde mit Rücksicht auf die Sowjetunion nicht wahrgenommen, die eine solche Blockbildung als unfreundlichen Akt hätte ansehen können. Außerdem schreckte die britische Regierung vor jedem europäischen Engagement zurück, das ihr weitgehende Verpflichtungen und damit eine Einschränkung in ihrem weltweiten politischen Handeln und den besonderen Beziehungen zum Commonwealth auferlegen würde. Denn nach dem Sieg 1945 herrschte in Großbritannien die von Zweifeln ungetrübte Überzeugung, neben den beiden Supermächten die dritte Weltmacht zu sein und ungebunden zusammen mit den beiden großen Kriegspartnern in den Angelegenheiten der Europa- und Weltpolitik agieren zu können.

      Aber 1947 verschärfte sich der Ost-West-Gegensatz weiter, und die Vorstellung, von der Sowjetunion bedroht zu werden, begann, das westliche außenpolitische Denken zu beherrschen. Als sich zeigte, dass Großbritanniens Kräfte nicht ausreichten, dem Großmachtanspruch in Asien, dem Vorderen Orient und Europa zu genügen, kam das Foreign Office in London kurzzeitig auf die Idee eines westlichen Blocks als Kraftquell für die britische Europa- und Weltpolitik zurück. Ernsthafter aber bemühte sich die britische Politik darum, die USA als Seniorpartner für ein atlantisches Sicherheitsbündnis zu gewinnen, anstatt auf ein europäisches Bündnis mit dem schwachen Partner Frankreich zu vertrauen. Außerdem sprachen innenpolitische Argumente gegen eine weitergehende europäische Verpflichtung. Die Labourregierung hatte nach dem Wahlsieg ihrer Partei im Juli 1945 ein ehrgeiziges Programm zur Sozialisierung der Wirtschaft und Verwirklichung des versprochenen Wohlfahrtsstaats auf den Weg gebracht, das sie ohne Störungen von außen umsetzen wollte.

      Kehrtwende der amerikanischen Politik

      »Wenn es ›Europa‹ gibt, dann nur weil es die Amerikaner wollen«, schreibt der englische Historiker Norman Stone, und er fährt fort, die europäischen Institutionen (fast alle) gebe es nur, weil die Amerikaner der »Euro-Anarchie« ein Ende bereiten wollten (The European, 14.–17. Mai 1992, S. 21). Die Aussage ist pointiert, aber nicht ohne Berechtigung, wie Beate Neuss in ihrer Studie über die USA als Geburtshelfer Europas nachweist. Ohne den Anstoß durch den Marshallplan, ohne die nachdrückliche Unterstützung der US-Regierungen, ohne das Drängen und Vermitteln bei der Umsetzung der aufeinander folgenden Initiativen vom Schumanplan bis zu den Römischen Verträgen wäre die Europäische Integration, wenn überhaupt, nicht so schnell und nicht in der weitreichenden Form verwirklicht worden, wie es geschehen ist.

      Der Wechsel der US-Politik von der Opposition gegen einen europäischen Zusammenschluss zu dessen Förderung lässt sich recht präzise auf das Jahr 1947 datieren. In diesem Jahr zeichnete sich eine weltpolitische Konstellation ab, mit der die Hoffnungen des Jahres 1945 begraben werden mussten, nach dem Sieg über den Nazismus und Japan ein neues Zeitalter des globalen Friedens auf den Weg zu bringen. Die beiden Supermächte, die 1945 je eine Hälfte Europas dominierten und ihren Willen zur Zusammenarbeit bekundeten, nahmen zwei Jahre später von ihrer Kriegskameradschaft Abschied. Sie steigerten sich in einen gegenseitigen unerklärten, den »Kalten Krieg« hinein.

      Nach der Potsdamer Konferenz im Juli/August 1945 war die von Roosevelt konzipierte und von seinem Nachfolger Truman übernommene Zusammenarbeit mit der UdSSR immer brüchiger geworden. Deutlich zeigte sich das in der Uneinigkeit über die Deutschlandpolitik. Eigentlich sollte der Alliierte Kontrollrat die politische und wirtschaftliche Entwicklung in allen vier Besatzungszonen koordinieren. Er konnte diese Aufgabe aber nicht erfüllen, weil er erst weitgehend von den Franzosen blockiert wurde, dann aber, so lautete der Vorwurf der Westmächte, die Sowjetunion zunehmend einen Kurs der Obstruktion verfolgte. Der Rückzug der Sowjetunion aus dem Kontrollrat im März 1948 zerstörte die Fiktion einer alliierten Koordination in Deutschland endgültig. Aber zu diesem Zeitpunkt hatten die westlichen Alliierten längst entschieden, dass es vergeblich sei, auf eine Zusammenarbeit mit der Sowjetunion bei dem Wiederaufbau Deutschlands zu hoffen.

      Auch in den Vereinten Nationen, dem Symbol der von der Kriegsallianz verantworteten neuen Weltordnung, kam keine Kooperation zustande. Die Vereinten Nationen arbeiteten nie in der Art und Weise, in der sie konzipiert worden waren, und ihr wichtigstes Organ, der Sicherheitsrat, verwandelte sich in einen politisch-diplomatischen Kriegsschauplatz, auf dem sich amerikanische und sowjetische Diplomaten Wortgefechte lieferten. Zwar erwiesen sich die Vereinten Nationen als ein wertvolles Instrument in der internationalen Politik, doch zeigten sie sich machtlos in ihrer Aufgabe, schiedsrichterlich in den europäischen und sicherheitspolitischen Angelegenheiten der beiden Supermächte zu handeln.

      Das gegenseitige Misstrauen wurde im Osten wie im Westen von Bedrohungsszenarien geschürt. Im Westen sah man, wie Osteuropa von einer der Sowjetunion


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