Sturm über der Eifel. Katja KleiberЧитать онлайн книгу.
es aus Olga heraus: »Der Leo war so ein netter Typ, bisschen irre, aber sonst wirklich nett.«
Die beiden anderen Frauen unterbrachen ihren Schwatz und nickten bestätigend.
»Mir hat er neulich geholfen, unseren Hund einzufangen, der weggelaufen war«, sagte die eine.
»Und mir hat er mal die Einkaufstüten bis nach Haus getragen«, fiel die andere ein.
»Ein wirklich herzensguter Mensch«, sagte Olga. »So friedfertig.«
»Von wegen friedfertig.« Bärbel beugte sich vor und blickte in die Runde. »Neulich hat er den Uwe verprügelt.«
Ella erschrak, versuchte aber, sich ihre Überraschung nicht anmerken zu lassen. Leo sollte jemanden verprügelt haben? Das konnte sie sich nicht vorstellen.
»Welchen Uwe?« Auch Olga klang erstaunt.
»Na, den aus Dorsel. Soll ihn richtig zusammengeschlagen haben, hab ich gehört.« Bärbel hielt inne. Ihr schien eine Idee gekommen zu sein: »Ob der sich jetzt gerächt hat? Nee, oder?«
»Was du immer erzählst. Ich glaub nicht, dass der Leo wen verprügelt hat. Der war doch Buddhist oder so was«, sagte Olga.
»Schamane«, warf Ella ein. »Gib mir bitte noch ein Roggenbrot«, bat sie Bärbel.
»Geschnitten oder am Stück?«
»Geschnitten.« Sie würde die Hälfte der Scheiben einfrieren, ein ganzes Brot war viel zu viel für eine Person. »Wieso sollen die sich geprügelt haben?« Sie hoffte, dass ihre Stimme unbeteiligt klang.
»Eifersucht?« Bärbel warf die Brotschneidemaschine an und ließ den Laib surrend durchlaufen. Dann wandte sie sich wieder den Frauen zu: »Jedenfalls war der doch so ein Yogafreak. Immer am Meditieren.«
Ella runzelte die Stirn. Bärbel brachte so einiges durcheinander. Aber alles, was nicht katholisch war, war den Eiflern suspekt. Dafür kannten sie jeden einzelnen Heiligen samt Namenstag.
»Aber der Uwe bringt doch keinen um«, behauptete Olga. »Der regt sich vielleicht mal auf, aber ein Mörder ist er deshalb noch lange nicht.«
Die anderen Frauen stimmten ihr nickend zu.
»Komisch war der Leo aber doch«, fing Bärbel wieder an. »Der hat in Eichenbach ein Haus gekauft, aber dann im Garten gewohnt. In einem Zelt!«
»In einer Jurte«, berichtigte Olga sie.
Ella horchte auf. Leo hatte im Garten gelebt? In einer Jurte? Wie seltsam. Dann erinnerte sie sich, dass er gesagt hatte, er ertrage geschlossene Räume nicht mehr, seit er wochenlang einen Pilgerweg gegangen war. Wieder wünschte sie sich, sie hätte den Mann mit den sanften Augen näher kennengelernt.
»Jedenfalls, wenn ich ein Haus habe, dann wohne ich doch drin.« Bärbel ließ nicht locker. »Wenn ihr mich fragt, dann war der nicht ganz dicht.«
Niemand reagierte.
Von draußen war ein Trecker zu hören. Vor der Tür stoppte das Geräusch, der Motor tuckerte im Leerlauf weiter.
Zufrieden, dass sie das letzte Wort gehabt hatte, wandte Bärbel sich wieder an Ella: »Macht dann fünf siebzig, bitte.«
Ein Mann kam die Stufen hochgeschlurft, öffnete die Tür. Es war Wasser-Juppes, wie immer in seinem fleckigen, verwaschenen Blaumann.
Schlagartig schien den Frauen klar zu werden, dass sie schon viel zu lange hier gestanden und getratscht hatten. Eine nach der anderen packte ihren Einkauf zusammen und ging. Auch Ella nickte Wasser-Juppes zu und verließ die Bäckerei. Was sie eben über Leo erfahren hatte, konnte sie nicht glauben.
Eifler Stonehenge
Der Mann trug ein schmuddeliges hellblaues Sweatshirt. In der Hand eine Motorsense. Pflanzenteile hatten sich in seinem weißen Haar verfangen. Er war deutlich über siebzig, wirkte aber sehnig und fit. Zu frieren schien er nicht. Hatte keine Jacke an, während Tanja trotz ihres dicken Mantels fröstelte.
Für das Gespräch mit ihr hätte er sich schon ein bisschen besser anziehen können, dachte sie. Thomas Dickens vom Heimatverein hatte erklärt, er wolle den Termin mit ihr mit etwas Nützlichem verbinden und Brombeeren zurückschneiden. Die würden sonst den Graben überwuchern.
Tanja starrte auf den flachen Graben, der streckenweise kaum zu erkennen war. Der niedrige Erdwall, der daneben verlief, war auffälliger. Dreitausend Jahre alt sollte die Anlage sein, hatte Dickens ihr eben erklärt. »Der Goloring ist ein Ringheiligtum wie Stonehenge in Großbritannien. Stonehenge ist Ihnen ein Begriff?« Er blickte sie streng an.
Tanja nickte. Vor Ewigkeiten hatte sie eine Fernsehdoku über den Kreis aus übermannshohen Steinen gesehen. Es schien eine Art Wallfahrtsort für Hippies zu sein. Ihr Blick fiel wieder auf den kaum hüfthohen Wall. »Hier sind aber keine Steine.«
»Nein, im heutigen Deutschland gibt es keine Steinkreise, hier haben wir nur den Wall. Trotzdem handelt es sich um ein Henge-Denkmal der gleichen Kultur. Früher gab es noch einen äußeren Wall außerhalb des jetzt umzäunten Geländes, aber der ist dem Bimsabbau zum Opfer gefallen.« Dickens wies auf eine höher gelegene Fläche in der Ringmitte: »Das da drüben ist der eigentliche heilige Tempelbezirk. Dort stand einst ein Holzpfahl. Acht bis zwölf Meter hoch. Wissenschaftler konnten Überreste des organischen Materials nachweisen und eine Rampe, mit deren Hilfe er aufgestellt worden war. Deshalb hat unser Verein an der Stelle eine Markierung angebracht.« Er deutete auf einen Holzpfosten auf der Wiese in der Mitte des Rings.
Gleich daneben standen die drei großen Eichen. Unter der mittleren hatten sie Ötzis Leiche gefunden. Von der Arbeit der Spurensicherung war kaum noch etwas zu erkennen, nur der Boden in der näheren Umgebung war auffallend zertrampelt.
»Der Name der Anlage geht auf eine Legende zurück, die –«
Tanja hob die Hand, um Dickens zu unterbrechen. Der Name war nun wirklich unwichtig, die Legende erst recht.
»Was sind das für Häuser dort drüben?« Sie nickte in Richtung von zwei hell gestrichenen Flachbauten, die die Einfahrt flankierten. »Können wir uns vielleicht dort weiterunterhalten?« Sie war schon ganz durchfroren.
Dickens nickte, legte seine Motorsense weg, und gemeinsam gingen sie zu den Gebäuden.
»Das Gelände wurde lange Zeit militärisch genutzt. Nach dem Zweiten Weltkrieg haben die Franzosen diese Baracken gebaut, um darin Waffen zu lagern. Später hat die Bundeswehr alles übernommen und ein Quarantänezentrum für Hunde eingerichtet. Im Zuge dessen wurden auch Teile des Ringwalls plattgemacht.« Er klang empört. Als hätte man den Kölner Dom planiert.
»Deshalb auch der Zaun«, warf Tanja ein. Dessen Oberkante knickte nach außen und war mit NATO-Draht gesichert.
»Die Bundeswehr hat alles abgeriegelt, worüber wir jetzt froh sind. So wurde wenigstens nicht noch mehr zerstört. Heute gehört das Kulturdenkmal der Gemeinde Kobern-Gondorf, und wir müssen es schützen. Nur unser Heimatverein hat Zugang.«
Tanja dachte an das Loch im Zaun, das die Kollegen gefunden hatten. Es schien schon länger zu bestehen. Der Draht war an den Schnittstellen verrostet gewesen, hieß es im Bericht. »Aber der Zaun wurde aufgeschnitten.«
»Wann immer wir solche Beschädigungen bemerken, flicken wir ihn sofort. Aber manchmal entgehen uns die Schäden.«
Tanja verdrehte innerlich die Augen. So viel zum Thema »Nur unser Heimatverein hat Zugang«. Laut sagte sie: »Wer will denn hier rein?«
»Jugendliche, zum Knutschen. Andere kippen Müll ab. Sie würden nicht glauben, was wir hier alles finden. Könnten einen Altreifenhandel aufmachen.« Er schüttelte den Kopf. »Dann noch jede Menge Schatzsucher mit Metalldetektoren, obwohl die Archäologen längst alles abgesucht haben. Die Funde aus den umliegenden Gräbern werden in Koblenz aufbewahrt, im Haus der Archäologie auf der Festung Ehrenbreitstein. Innerhalb des Kreises wurden keine Gräber gefunden, aber ringsum sind an die hundertfünfzig nachgewiesen. Die Autobahn verläuft mitten