Märchen aus China. Richard WilhelmЧитать онлайн книгу.
hat er versucht, seine Frau zu erlösen. Als er nämlich von zu Hause weggezogen war, um des geheimen Sinns zu pflegen, da saß sie den ganzen Tag da und hatte Heimweh nach ihm. Han Siang Dsï wollte sie erlösen zur Unsterblichkeit; aber er fürchtete, dass sie nicht fähig sei. So erschien er ihr in mancherlei Gestalten, um sie zu versuchen, einmal als Bettler, ein andermal als wandernder Bettelmönch. Aber seine Frau kam nicht zur Besinnung. Endlich verwandelte er sich in einen lahmen Taoisten, der auf einer Matte saß, den Holzfisch schlug und vor dem Hause Sutren las.
Seine Frau aber sprach: »Mein Mann ist nicht zu Hause, ich kann dir nichts geben.«
Der Taoist erwiderte: ,,Ich will nicht dein Gold und Silber, ich will dich selber. Setz dich zu mir auf die Matte, dann fliegen wir in die Luft, und du siehst deinen Gatten wieder.«
Da wurde die Frau böse und schlug ihn mit dem Stock.
Hang Siang Dsï verwandelte sich in seine ursprüngliche Gestalt, trat auf eine leuchtende Wolke und stieg in die Höhe. Das Weib sah ihm nach und weinte laut; aber er blieb verschwunden. Die achte der Unsterblichen war ein Mädchen und hieß Ho Siän Gu. Sie war die Tochter eines Bauern. Ihre Stiefmutter behandelte sie hart; dennoch blieb sie ehrfurchtsvoll und fleißig. Sie liebte es, Almosen zu spenden; die Mutter aber hinderte sie daran. Doch sie ward niemals zornig, auch wenn sie von ihrer Mutter Schläge bekam. Sie hatte geschworen, sich nicht zu verheiraten, und schließlich wußte die Mutter nicht mehr, was sie mit ihr tun sollte. Eines Tages, als sie eben Reis kochte, da kam der Großvater Lü und erlöste sie. Sie hielt den Kochlöffel noch in der Hand, während sie in die Lüfte stieg. Sie ward im Himmel angestellt, um vor der südlichen Himmelstür die abgefallenen Blumen aufzukehren.
32. Die acht Unsterblichen II
Es war einmal ein armer Mann, der hatte schließlich gar kein Obdach mehr und keinen Bissen zu essen. Da legte er sich müde und matt draußen am Weg neben einem kleinen Feldgott-Tempelchen nieder und schlief ein. Da träumte ihm: Der alte weißbärtige Feldgott kam aus seinem Häuschen und sagte ihm: »Ich weiß dir eine Hilfe. Morgen kommen hier am Wege die acht Unsterblichen vorbei; vor denen wirf dich nieder und flehe sie an!«
Als der Mann erwachte, setzte er sich unter den großen Baum, der neben dem Feldgott-Tempelchen stand und wartete den ganzen Tag auf die Erfüllung des Traumes. Da endlich, als die Sonne schon nahe am Untergehen war, kamen acht Gestalten des Weges gegangen, dem Bettler deutlich als die acht Unsterblichen erkennbar. Sieben von ihnen eilten sehr schnell; aber einer mit einem lahmen Bein humpelte hinter den anderen her. Vor diesem — es war Li Tiä-Guai — warf sich der Mann auf den Boden.
Aber der Lahme wollte nichts von ihm wissen und hieß ihn fortgehen. Doch der Arme hörte nicht auf, ihn anzuflehen, dass er mit ihm gehen und auch zu den Unsterblichen gehören dürfe. Das sei unmöglich, gab der Lahme zur Antwort. Doch da der Arme gar nicht aufhörte zu betteln und nicht von ihm wich, sprach er schließlich: »Nun gut, halte dich an meinem Rocke fest!« Das tat der Mann, und nun ging es in fliegender Eile über die Wege und Felder fort, immer weiter, immer weiter. Auf einmal standen sie zusammen hoch oben auf dem Turm des Pong-lai-schan, des berühmten Geisterberges am Ostmeer. Und siehe, da waren die anderen Unsterblichen auch. Aber diese waren höchst unwillig über den Genossen, den Li Tiä-Guai mitgebracht hatte. Doch da der Arme so dringlich bat, ließen auch sie sich schließlich erweichen und sagten zu ihm: »Wohlan! Wir springen jetzt hinunter in das Meer; folge uns, dann kannst du auch ein Unsterblicher werden.« Und einer nach dem anderen von den Sieben sprang hinab in das Meer. Als aber die Reihe an den Mann kam, bekam er Angst und wollte den Sprung nicht wagen. Da sagte der Lahme zu ihm: »Wenn du dich fürchtest, kannst du auch kein Unsterblicher werden.«
»Was soll ich nun anfangen«, jammerte der Mann; »meine Heimat ist weit fort, und ich habe kein Geld!« Der Lahme brach ein Stückchen Stein von der Mauerzinne los und drückte es dem Manne in die Hand; danach sprang er selbst vom Turm hinunter und war gleich den sieben anderen im Meer verschwunden.
Wie nun der Mann den Stein in seiner Hand näher betrachtete, da war er von reinem Silber. Das reichte ihm als Reisegeld, bis er nach vielen Wochen wieder in seiner Heimat war. Da war dann aber auch das Silber gerade aufgebraucht, und er war ebenso arm wie vorher.
33. Die beiden Scholaren
Es waren einmal zwei Scholaren. Der eine hieß Liu Tschen, und der andere hieß Yüan Dschau. Die waren beide jung und schön. An einem Frühlingstage gingen sie miteinander in das Tiän Tai-Gebirge, um Heilkräuter zu pflücken. Da kamen sie an einen Berghang, wo auf beiden Seiten die Pfirsichbäume in üppiger Blüte standen. Mitten drin öffnete sich eine Höhle, da standen zwei Jungfrauen unter den blühenden Bäumen, die eine in roten Kleidern, die andere in grünen. Die waren über alle Maßen schön. Sie winkten den beiden Scholaren mit der Hand.
,,Seid ihr da?« fragten sie. »Wir haben lange auf euch gewartet.«
Dann führten sie sie in die Höhle und warteten ihnen mit Tee und Wein auf.
»Ich bin für den Herrn Liu bestimmt,« sagte die Jungfrau im roten Gewand, »und meine Schwester für den Herrn Yüan.«
So wurden sie Mann und Frau. Täglich betrachteten sie die Blumen oder spielten Schach, so dass die beiden ganz der Erdenwelt vergaßen. Sie sahen nur, wie draußen vor der Höhle die Pfirsichblüten bald sich öffneten, bald wieder fielen. Auch fühlten sie unvermutet oft kalt, oft warm, so dass sie jederzeit die Kleider wechseln mussten. Die beiden fanden das im Stillen wunderbar.
Eines Tages plötzlich kam sie Heimweh an. Die beiden Mädchen wußten schon darum.
»Wenn euch Herren erst das Heimweh aufsteigt, kann man euch nicht länger halten«, sagten sie.
Am Tage darauf bereiteten die Mädchen ein Abschiedsmahl; dann gaben sie noch Zauberwein den beiden mit und sprachen: »Wir sehen uns wohl wieder. Zieht nur hin!«
Unter Tränen nahmen die Scholaren Abschied.
Als sie nach Hause kamen, da waren Tor und Türen längst verschwunden. Die Leute in dem Dorfe waren ihnen alle unbekannt. Sie drängten sich um sie und fragten, wer sie wären.
»Wir sind Liu Tschen und Yüan Dschau«, antworteten sie. »Wir gingen ins Gebirge und suchten Kräuter. Es mag wohl ein paar Tage her sein.«
Da kam mit schnellen Schritten ein Diener hergeeilt und sah sie lange an. Endlich fiel er hocherfreut vor Liu Tschen nieder und sagte: »Ja, Ihr seid wirklich mein Herr. Seit Ihr weggingt und uns im Ungewissen ohne Nachricht ließet, ist es nun wohl siebzig Jahre oder mehr.«
Darauf zog er den Scholaren Liu zu einem hohen Tore, das mit Buckeln und einem Ring im Löwenmaule reich verziert war, wie es bei hohen Herrschaften so Sitte ist.
Als er in den Saal trat, da kam eine alte Frau mit weißem Haar und krummem Rücken auf einen Stab gestützt hervor und fragte: »Was ist das für ein Mann?«
»Unser Herr ist wieder da«, erwiderte der Knecht. Und dann, zu ihm gewendet, fügte er hinzu: »Das ist die gnädige Frau. Sie ist schon hundert Jahre alt. Zum Glück ist sie noch kräftig und wohlauf.«
Der alten Frau traten vor Freuden und Kummer die Tränen in die Augen.
»Seit du weggingst unter die Unsterblichen, dachte ich, wir würden uns in diesem Leben nicht mehr wiedersehen«, sagte sie. »Welch großes Glück, dass du nun doch wiedergekommen bist!«
Noch ehe sie ausgeredet hatte, da kam die ganze Familie, Männer und Frauen, herbeigeströmt und begrüßten ihn in dichtem Gedränge draußen vor dem Saal.
Die Frau deutete einzeln auf sie und sagte: »Das ist der und der, das ist die und die.«
Als damals der Scholar verschwunden war, da hatte er nur ein winziges Knäblein hinterlassen, erst ein paar Jahre alt. Der war nun schon ein achtzigjähriger Greis. Er hatte in hohem Amt dem Reich gedient und sich bereits zur Altersruhe in die heimatlichen Gärten zurückgezogen. Enkel waren drei da, lauter berühmte Minister; Urenkel über zehn, von denen fünf die