Slumlords. Alexander BroicherЧитать онлайн книгу.
geschworen, ohne die rechtlichen Konsequenzen zu bedenken.
»Drückst du mittlerweile Heroin?«, fragte ich ihn direkt.
Hakan schüttelte mit dem Kopf. »Ich hab Stress mit zwei Wichsern aus dem Bahnhofsviertel. Echt kranke Freaks. Inkasso-Abteilung. Hilfst du mir nun?« Diese beschissene Mitleidstour hatten viele Kokser drauf, um sich eine Nase zu schnorren. Kein Problem für mich, hart zu bleiben, aber Hakan kannte ich seit der Schule. Also nahm ich an mir selber eine Taschenpfändung vor und förderte vier Gramm und 320 Euro Bargeld hervor. Bis auf den Zwanziger gab ich ihm alles, was ich dabeihatte.
Hakan keuchte. Er wischte sich über die feuchte Oberlippe, dann griff er zu. »Okay. Besser als nichts. Ich gebe dir das Doppelte wieder.« Er versprach es wie ein Hedge Fonds-Manager.
»Hundert Prozent Rendite?«, wunderte ich mich.
»Ich bin an einem Mega-Jackpot dran. Dann habe ich ausgesorgt«, redete er sich ein. Ich zuckte nur kurz mit den Mundwinkeln. Und überlegte, ob ich überhaupt jemanden in Frankfurt kannte, der nicht an irgendeinem ganz, ganz großen Millionending rumschraubte.
»Hast du noch eine Line Speed am Start?«, fragte er.
»Hältst du es für eine schlaue Idee, in deinem Zustand Speed zu nehmen?«, erkundigte ich mich.
Hakan starrte mir in die Augen. Es war der ängstliche Blick eines Gehetzten, dem die Bluthunde auf den Fersen waren. Er fummelte einen Zeitungsausschnitt aus der Jackeninnentasche und sah sich erneut nervös um, bevor er mir den Artikel mit dem Foto zeigte.
»Das ist eine der reichsten Frauen Frankfurts«, erklärte er mir. »Die macht so Wohltätigkeit für arme Leute. Die ist mein Ticket aus diesem Puff hier raus.«
»Und zwar wie?« Ich wartete gespannt ab.
Hakan rückte noch näher an mich heran. »Ich werde sie entführen und dann blecht die Familie ein paar Millionen!«, eröffnete er mir. Dieser kleine Ghetto-Boy wollte einen Krieg mit dem Geldadel anfangen. Das löste in dieser Stadt gemeinhin eine Kettenreaktion aus: Als erstes reagierte die Politik aufgebracht, dann die Medien und schließlich die Staatsgewalt. Denn Frankfurt gehörte nur dem Geld. Niemandem sonst. Schon gar nicht irgendwelchen Pennern aus der Unterschicht. Hakan war tot, er wusste es nur noch nicht. Ich warf sicherheitshalber einen zweiten Blick auf das Foto. Es war Luisa Strahlenberg. Harros aparte Ehefrau. Schöne Scheiße.
4
»Go big or go home!«, protzte der Immobilienmakler, als er sich in meiner Gegenwart eine fette Line legte. In seinem Office auf der Schreibtischunterlage aus Hartplastik. Er zog sie tatsächlich mit einem zusammengerollten Geldschein. Einem Zehner. Kurz darauf kamen dann die üblichen Welteroberungspläne. »Wir machen das jetzt hier wie deutsche Banken in den USA«, erläuterte er mir. »Die haben da massenhaft Grundstücke in armen Gegenden gekauft, und wenn die Hausbesitzer die Hypotheken nicht mehr zahlen konnten, dann wurde zwangsgeräumt. Arschtritt, ab in den Trailerpark!«, amüsierte er sich.
Harro hatte mir von diesen Methoden erzählt und einen Ausdruck dafür benutzt, den ich mir gemerkt hatte: Slumlords. So nannte man Eigentümer, die ihre Anwesen aus Spekulationszwecken verwahrlosen ließen. Diese Strategie führte in den Vereinigten Staaten zur Verelendung ganzer Landstriche, aber das war von den deutschen Banken geplant, denn parallel wetteten ihre Cheftrader am Finanzmarkt auf den Crash des Hypothekenmarktes! Und so verdienten sie Milliarden an der Obdachlosigkeit der Schuldner. Je mehr ich durch meine Kunden über das Investmentbanking erfuhr, desto leichter fiel mir mein Beruf. Gegen die Slumlords fühlte ich mich wie ein niedlicher Goldfisch im Aquarium der Heilsarmee.
»Das fucking Nordend ist im Kommen«, informierte mich der angeballerte Makler. »Ausgerechnet dieses Drecksloch!«
Obwohl es keine Neuigkeiten für mich waren, nickte ich ihm kundenfreundlich zu.
»Weißt du, was wir mit dem insolventen Pack machen werden, das da jetzt haust?«, fragte er mich. Ich kannte eine Studentin, die im Nordend wohnte. In einer WG mit anderen Studenten. Die waren zwar ein wenig lahmarschig, aber keine Penner.
»Wir werden denen die Buden unterm Arsch weg verkaufen! An ausländische Investoren. Das wird richtig fett! Und von der Provision kauf ich mir ein neues Auto, und dann setz ich mich in den Bumsbomber nach Thailand.«
Mein Stammkunde Rick war Fotograf mit eigenem Atelier, der ein Shooting hatte und drei G brauchte. In dem Hinterhof-Studio posierten zwei Teenager-Models mit blasser Haut und markanten Wangenknochen in Hot Pants vor einem weißen Hintergrund. Ein Assistent stand seitlich daneben und hielt einen Lichtreflektor. Dann blitzte es mehrmals und Rick kommandierte die beiden Girls herum, während er sie knipste. Sie folgten seinen Anweisungen, ihre Köpfe anders zu halten und die kaum vorhandenen Brüste mehr vorzustrecken. Dann legte er den massiven Fotoapparat mit dem schweren Objektiv vorsichtig auf dem Boden ab und lächelte mir zu.
»Die Girls sehen ja aus wie halb verhungerte Knaben mit langen Haaren«, flüsterte ich ihm zu, als ich Rick die Hand gab und ihm dabei die drei Briefchen zusteckte.
»Ja«, sagte er und fischte Geldscheine aus seiner Jeans. »Manche Modelabels stehen immer noch auf den Heroin-Chic!«
Ich nahm ihm 200 zerknitterte Euro ab und ließ ihn allein mit seinen schönen Kindern vom Bahnhof Zoo.
Zuhause wollte ich mich vor der bevorstehenden Nachtschicht noch eine Weile aufs Sofa hauen. Doch ich kam nicht zur Ruhe. Hakan beherrschte mein Hirn. Dass er die wohlhabende Gattin eines meiner besten Kunden kidnappen wollte, konnte einer seiner üblichen Kokspläne sein. Ich erinnerte mich, wie er mir Jahre nach dem 11. September anbot, wir sollten nach Afghanistan fahren, dort Osama bin Laden finden und ihn für 100 Millionen an die Amerikaner verscherbeln. Wir hatten nicht mal Geld für die Flugtickets und landeten auch nicht in Kabul, sondern als Ecstasy-Dealer auf der Herrentoilette einer hessischen Dorf-Disco. Obwohl Hakan auf Nase viel quatschte, nahm ich seine Entführungspläne diesmal ernst. Er stand mit dem Arsch an der Wand, zumindest damit, was von seinem Bulemie-Arsch noch übrig war, und das Westend war nicht Afghanistan. Da kam man mit der Straßenbahn hin.
Kurz nachdem ich die Tür aufsperrte, kam ein alter Stammkunde in die Bar. Ein Chirurg aus der Schweiz, »von der Goldküste«, wie er den reichen Speckgürtel um Zürich nannte. Er war zu einem Kongress in der Stadt, kaufte ein Gramm und verschwand damit so eilig zu den Toiletten wie ein in-kontinenter Alkoholiker. Zurück am Tresen orderte er beim Barmann einen Energy-Drink.
»Trink mal nach der Nase lieber einen Saft«, riet ich ihm.
»Ich bin Arzt. Ich kann das verantworten«, entgegnete er mir barsch.
Er war nicht besonders groß und auch nicht gut genährt. Ich wollte keinen Nerv mit einem kollabierenden Touristen haben, der sich hier eine Überdosis reindonnerte, weil er allen beweisen musste, dass Kleinwüchsige unbesiegbar waren. Ich gestikulierte dem Bartender, die Dose mit der Koffeinbombe zurück in den Kühlschrank zu stellen. »Einen Cranberrysaft für den Herrn«, ordnete ich an. Dann blickte ich auf den Schweizer herab. »Der soll nämlich gut für die Blase sein.«
Die piekfeine Julia war letztes Wochenende schon bei uns. Seitdem war ich ein bisschen verliebt in sie. Heute trug sie einen schwarzen Blazer und hochhackige Schuhe. Ihr Hintern steckte in einer engen Jeans, ihr Mund war einladend groß und sie saugte anregend am Strohhalm des Longdrinks. Für eine Controllerin schluckte sie die orangerote Flüssigkeit des Rubber Ducks erstaunlich unkontrolliert runter.
»Lecker«, japste sie.
»Find ich auch«, erwiderte ich bei ihrem Anblick.
»Und dir gehört der Laden?«
»Bin beteiligt«, relativierte ich ihre Erwartungen.
»Lohnt sich das?«
Es fühlte sich zwar an, als würde sie bereits mein Bankkonto scannen und sich ausrechnen, ob ich eine lohnende Investition sei, aber ich nickte gelassen. Ja. Mein Geschäftsmodell funktionierte. Sie konnte beruhigt sein. Ich würde ihr nicht auf der Tasche liegen.
»Ich