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Die Faxen Dicke. Reiner HänschЧитать онлайн книгу.

Die Faxen Dicke - Reiner Hänsch


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tiefgefrosteten Toyota-Bus dahin. Alle zittern, Max niest, und wir alle hoffen, dass diese Tour nur sehr kurz sein wird.

      Das wird sie aber nicht.

      Die ersten beiden Aussteiger haben es richtig gut. Jedenfalls denken wir das zuerst, denn schon nach etwa fünf Minuten Fahrt wirft man das Pärchen aus Dresden an ihrem Hotel raus. „Lägünä Lötsch“, davon haben sie schon die ganze Zeit geschwärmt und sich kindlich darauf gefreut.

      Es ist ein fünfstöckiger, furchterregender gelber Kasten direkt an der belebten Hauptstraße und in der Einflugschneise des Flughafens. Also sehr verkehrsgünstig gelegen, wie die bunten Urlaubsprospekte so was ja immer gerne anpreisen. Ich frage mich ängstlich, wer sich diesen verheißungsvollen Namen für den grauenhaften Siebziger-Jahre-Bunker ausdenken durfte – und wie er damit auch noch durchgekommen ist. Laguna Lodge. Sagenhaft.

      Wir sind überglücklich, dass der Toyota uns noch nicht ausspuckt und wir weiterrattern dürfen und schnattern dafür auch gerne noch ein wenig länger. Als wir zurückblicken und die beiden armen Dresdner im erbarmungslosen Tropenregen inmitten ihrer zahlreichen, neuen, roten Hartschalenkoffer stehen sehen, tun sie uns unendlich leid.

      Ich müsste dringend noch mal Ulli zurückrufen. Der verwählte Anruf von ihm hat mir doch zu denken gegeben. Irgendwas scheint da zu passieren im Sauerland. Riesensauerei, hat er gesagt. Aber ich komme jetzt nicht an das Handy dran, weil Steffi mich leicht säuerlich anlächelt. Aber immerhin lächelt sie schon wieder und das sollte man nicht aufs Spiel setzen.

      Der Toyota pflügt sich seinen Weg durch Wasserlachen, die in etwa die Größe unserer heimischen Talsperren haben, und man denkt bei jeder neuen Stauanlage, dass der Wagen unweigerlich darin versinken müsse.

      Ein paarmal gibt Max ein fassungsloses „Boah!“ ab, dann zittert er wieder. Der heutige Regenguss ist wohl keineswegs der erste oder gar einzige der Wintersaison auf dieser schönen Insel. Regen scheint hier wohl eher typisch zu sein. Wo kommt das ganze Wasser her? Was haben dieses Land und seine Menschen verbrochen, um so bestraft zu werden?

      Der Fahrer vermindert zwar freundlicherweise ein wenig die Geschwindigkeit, wenn die Hütten der Ko-Samuianer zu dicht an der Straße und den Stauseen stehen, aber als dann nur noch Hütten dicht an der Straße stehen, da lässt es sich einfach nicht mehr vermeiden, dass auch schon mal die eine oder andere Hütte samt zunächst noch freundlich lächelnder Bewohner mit einer gewaltigen Fontäne schmutzig-brauner Regensuppe eingenässt wird. Auch einheimische Moped- und Rollerfahrer, die die riesigen Seen umsichtigerweise mit angezogenen Beinen vorsichtig durchschiffen, haben gegen unseren Fahrer keine Chance und werden erbarmungslos fontänisiert.

      Land ohne Gnade.

      Die Familie mit dem ewig plärrenden Blag ist jetzt endlich auch raus, als wir vor einer weiteren, überaus schäbigen Absteige anhalten, die uns allen das blanke Entsetzen ins Gesicht treibt. Den dicken schwitzenden Kerl neben mir hat es auch erwischt. Er muss raus! Alle beten, dass der Fahrer jetzt bloß nicht ihren neuen thailändischen Namen aufruft, und auch wir flehen darum, weiter im herrlich kühlen Toyota schockgefroren zu werden.

      Nein. Der Name „Nipsi“ fällt nicht. Wir dürfen also weiter auf eine angemessene Unterkunft hoffen. Die Bayern und die Lotzes-oder-so sind auch noch da. Sollte das Schicksal Leichenhalle, Lotze und Nipsi füreinander bestimmt haben?

      „Papa, wie lange noch?“, stöhnt Max und Steffis schöne Augen blicken mich aus leeren Höhlen an. Mein Gott.

      Der Bus rattert weiter und weiter, herrliche, braune Spritzwasserfontänen nach beiden Seiten steigen lassend, und wir haben fast eine ganze Inselumrundung hinter uns, als der Toyota in eine enge Gasse abbiegt, die an der hinteren Seite mehrerer Restaurants, zwielichtiger Bars und dunkler Kaschemmen vorbeiführt. Der Fahrer bahnt sich hupend und fluchend einen Weg durch Menschen, Müll und Ruinen.

      Es gießt noch immer in Strömen, ein paar unfreundliche Hunde bellen uns an, ich blicke in finstere Hinterhöfe, sehe Steffi leicht irritiert an, versuche zwar genügend Gleichgültigkeit zu verbreiten, aber ich weiß, dass auch sie sich gerade fragt, ob das Ganze vielleicht eine Falle ist, in die man uns hinterhältig gelockt hat – und ob Frau Gantenbrink vielleicht hinter all dem steckt.

      Dann wird der Urwald wieder dichter, wir haben die Gasse verlassen und es wird dunkel. Richtig dunkel. Nicht nur wegen der dichten Urwaldbeblätterung, sondern auch, weil die Sonne, die wir den ganzen Tag noch nicht gesehen haben, jetzt auch schon hinter den dichten nassen Wolken langsam untergeht. Es ist inzwischen siebzehn Uhr hier in Thailand, da verabschiedet sich die Sonne eben. So ist das im Paradies!

      Wir sind jetzt fast neunundzwanzig Stunden unterwegs, fast ganz ohne Schlaf …

      „Laaast Christmas, I gave you my heart … „ knödelt es aus dem Toyota-Radio und ich weiß schlagartig auch wieder warum.

      Heute ist Heiligabend!

      Jaaaa, heute ist ja der Tag der Tage oder der Abend der Abende. Heiligabend. Ach du Scheiße!

      Millionen, nein Milliarden, ach was, ALLE Menschen sitzen jetzt mit ihren Lieben unter den festlich geschmückten, glitzernden, nadeligen Grüngewächsen im Warmen, haben Tränen der Rührung in den Augen und sie trinken Glühwein oder wenigstens Tee mit Rum.

      Ja, heute ist Heiligabend, und wir haben es alle vergessen – außer mir natürlich wieder mal. Wann und wie sollen wir denn jetzt die unausweichliche Bescherung machen? Heiligabend ohne Bescherung geht doch gar nicht. Na, vielleicht gleich nach unserer Ankunft im „Paradise Rock Resort“. Da müsste es doch gehen, da werden wir es uns dann noch so richtig feierlich gestalten. Ganz sicher. Max hat zum Glück noch gar nicht bemerkt, welchen besonderen Tag wir da gerade in einem eisgekühlten Toyota Kleinbus am Ende der Welt vertrödeln.

      Und dann bleibt der Wagen einfach stehen. Nein, jetzt noch nicht. Nein. Bitte weiterfahren. Nur noch eine Stunde vielleicht, oder so. Nicht hier!

      Doch es gibt kein Weiter, hier muss es sein. Wir sind da.

      „Pelledei Lock Lissoh“ sagt der Fahrer, und das muss es also sein. Eindeutig.

      „Paradise Rock Resort“, er hat es ja gesagt. Dann sagt er auch noch „Nipsi“, „Lotze“ und „Leichenhalle“, und damit ist unser aller Schicksal besiegelt. Wir haben es geschafft, wir sind am Ziel unserer Träume und am Ende unserer Kräfte. Dankbar, aber einer unsicheren Zukunft entgegensehend, steigen wir also aus.

      Ich drücke dem Fahrer kraftlos einen Schein des neuen Geldes in die Hand, von dem ich nicht genau weiß, wie viel er eigentlich wert ist, und er bedankt sich überschwänglich. Naja, die Thais sind eben sehr höfliche und dankbare Menschen. Sie freuen sich auch über Kleinigkeiten, das habe ich schon gemerkt.

      Wir sehen uns an. Glücklich? Vielleicht. Auf jeden Fall erschöpft und ergeben in unser ungewisses Schicksal. Unser Leiden soll also vorerst ein Ende haben.

      Der Bayer sagt „Pfüeti!“ zu unserem Fahrer, der auch die tonnenschweren bayerischen Koffer aus dem Toyota gewuchtet hat, und gibt ihm nichts von dem neuen Geld. Er will es lieber für sich behalten. Frau Leichenhalle nickt uns noch mal gehässig zu und dann verschwinden beide eilig mit ihren zwei rollenden Riesenkoffern in Richtung einer schwachen Lampe, die wohl den Eingang unserer Endstation Sehnsucht beleuchtet. Jedenfalls ist es das einzige Licht, das uns in dieser tropischen Dunkelheit etwas Hoffnung gibt. Das Ehepaar Lotze-oder-so folgt den beiden, nachdem der große Herr Lotze dem Fahrer nach langer Prüfung seines neuen ausländischen Geldbestandes einen eher rötlichen Schein heruntergereicht hat. Soso.

      „Ja, dann woll’n we ma!“, sagt Herr Lotze und nickt uns noch mal freundlich zu. „Schön’ Urlaub, woll?“

      Woll? Wo kommt der denn her?

      Tja, da stehen wir also nun inmitten unserer Kofferberge triefend nass im warmen Regen und heulen fast.

      „Sah in dem Prospekt aber ganz anders aus“, sagt Steffi schlecht gelaunt, schwer enttäuscht und am Ende ihrer Kräfte.

      „Naja, man sieht ja fast nichts“, versuche ich den ersten Eindruck etwas aufzubessern.


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