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Die Krieger des alten Japan. Roland HabersetzerЧитать онлайн книгу.

Die Krieger des alten Japan - Roland Habersetzer


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war nach der Niederlage der Minamoto mit ihren Kindern nach Norden geflohen und hatte im Dorf Ryûmon Unterschlupf gefunden. Doch Kiyomori nahm ihre Mutter als Geisel, und Tokiwa Gozen lieferte sich daraufhin dem Oberhaupt der Taira aus. Von ihrer Schönheit geblendet, machte Kiyomori sie zu seiner Mätresse und verschonte die Kinder. Was sollte er von der Zukunft schon fürchten? Yoritomo, dessen Mutter von höherem Rang als Tokiwa gewesen war, wurde nach Izu verbannt, wo er unter strenger Aufsicht stand. Die anderen Kinder durften zunächst bei Tokiwa bleiben.

      Flucht der Tokiwa Gozen mit ihren Kindern durch den Schnee. Holzschnitt von Utagawa Kuniyoshi.

      Kiyomori war es gelungen, im Ergebnis des Krieges seine Familie zu den höchsten Würden gelangen zu lassen. Er ließ sich zum Regierungschef unter einem Marionettenkaiser ernennen. Weitere Schlüsselpositionen der Macht besetzte er mit seinen Kindern. Mit der Zeit wurden die Taira den letztendlich mehr beneideten als gehaßten Fujiwara-Aristokraten immer ähnlicher. Ihre Lebensweise verfeinerte sich, und sie führten ein eleganteres Dasein. Manche gingen so weit, sich Ahnennachweise zu kaufen, um als Adlige auftreten zu können.

      Der Taira-Klan verweichlichte, und er wiegte sich in trügerischer Sicherheit. Dieses Gefühl der Sicherheit wurde zum ersten Mal erschüttert, als der junge Thronfolger Mochihito in der Folge einer dunklen Palastintrige, in die auch Kaiser Go-Shirakawa verwickelt war, versuchte, mit Hilfe der überlebenden Minamoto die Macht zu ergreifen. Die Minamoto hatten sich in mehreren Provinzen erhoben. Minamoto Yorimasa brachte den Thronfolger in Sicherheit und versperrte den Truppen der Taira mit nur 300 Samurai den Weg. Er hatte hierfür die Brücke über den Fluß Uji in der Nähe des Biwa-Sees ausgewählt. Yorimasa hatte den Belag in der Mitte der Brücke entfernen lassen, und als die Taira im nebligen Morgengrauen angriffen, stürzten viele von ihnen durch die Öffnung in den Tod. Diese Finte und zahllose Heldentaten der Aufständischen kostete Hunderte der Taira-Ritter das Leben. Aber deren Übermacht war so überwältigend, daß die Minamoto von vornherein chancenlos waren. Die Rebellen wurden vernichtend geschlagen. Yorimasa, der durch einen Pfeil verletzt worden war, beging, auf seinem Fächer sitzend, im nahegelegenen Tempel Byôdô-in rituellen Selbstmord.25

      Erneut triumphierte Taira-no-Kiyomori, und er begann, an seine Unbesiegbarkeit zu glauben. »Wer kein Taira ist, besitzt kein menschliches Antlitz«, verkündete der von Ruhm und Macht Trunkene. Es schien, daß er das Land fest im Griff hatte. Ein sehr wirksames Instrument seiner Schreckensherrschaft war eine aus etwa 300 jugendlichen weiblichen Pagen, den kamuro, bestehende Einheit. Die kamuro trugen rote Uniformen, und ihre Aufgabe bestand im Spionieren und Denunzieren. Jeder, der durch sie des kleinsten Zeichens des Ungehorsams oder der Unzufriedenheit gegenüber dem allmächtigen Herrschaftsklan überführt wurde, wurde unverzüglich verhaftet.

      Kiyomori überließ Tokiwa Gozen schließlich seinem Schatzmeister, Fujiwara-no-Naganari, welcher sie heiratete. Von da an verlief das Leben der Dame Tokiwa sehr traurig, denn sie mußte mit ansehen, wie die drei bei ihr verbliebenen Söhne Yoshitomos einer nach dem anderen in ein Kloster geschickt wurden. Dies geschah auf Befehl Kiyomoris, der damit der Gefahr der Blutrache vorbeugen wollte. Ihr jüngster Sohn, Ushiwaka, wurde im Alter von sieben Jahren ins Kloster Kurama-dera geschickt. Zu jener Zeit ahnte er noch nichts von seiner wahren Herkunft, er hielt sich für einen leiblichen Sohn Naganaris.

      Während seiner Novizenschaft in der Obhut der Mönche des wilden Kurama-Gebirges galt er zunächst als verschlossener Einzelgänger. Doch eines Tages offenbarte ihm ein alter Mönch, daß er der neunte und letzte Sohn des Minamoto-no-Yoshitomo sei und daß es seine Pflicht sei, dessen Andenken zu rächen. Der junge Ushiwaka war von dieser Enthüllung überwältigt, und unter Tränen schwor er Rache für das vergossene Blut der Minamoto, das Blut der Seinen. Sein wahres Wesen konnte sich nun frei entfalten. Er war von unabhängiger, unzähmbarer Natur, und die klösterliche Disziplin widerstrebte ihm. Es war ihm unmöglich, irgendeine Form von Autorität anzuerkennen. Der Legende nach lehrten niemand anders als die berühmten Tengu26, diese mysteriösen Wesen, die im Gebirge hausten, Ushiwaka bei seinen zahllosen Streifzügen durch die Wälder die Kunst des Umgangs mit dem Schwert sowie die Kunst des Kampfes mit bloßer Hand und mit dem eisernen Fächer (tessen).

      Von der Gewißheit getrieben, dem Ruf seines Schicksals folgen zu müssen, verließ Ushiwaka um das Jahr 1174 Kurama-dera und begab sich nach Norden. Wenig ist wirklich bekannt aus diesem Lebensabschnitt des künftigen Yo­shitsune, doch dieser Mangel an Wissen erwies sich als reicher Nährboden für Legenden. Bis zum Jahr 1180, in dem es ihm gelang, sich mit Yoritomo zu verbünden und von dem an sein Leben Gegenstand der Geschichtsschreibung ist, sind nur Hypothesen möglich über das, was sich ereignet haben mag. Es ist schwer vorstellbar, daß der halbwüchsige Ushiwaka sich ganz allein auf einen so langen und gefährlichen Weg bis zur nördlichen Spitze der Insel Honshû gemacht hat. Man sagt, daß Kichiji, ein Goldhändler, der von der wahren Identität Ushiwakas erfahren hatte, eines Tages nach Kurama-dera kam und dem Jungen anbot, ihn heimlich nach Hiraizumi, der Hauptstadt der Provinz von Mutsu (Ôshû) zu bringen, bis zu welcher der Einfluß der Taira nicht reichte. Es heißt auch, daß das Angebot des Händlers nicht ganz uneigennützig gewesen sein soll und er sich davon eines Tages großen Vorteil erhoffte.

      Yoshitsune bei den Tengu. Zwei Holzschnitte eines Triptychons von Utagawa Kunisada.

      Hiraizumi konnte es an Reichtum und Eleganz mit Kyôto aufnehmen. Der dort lebende Herrscher war Fujiwara-no-Hidehira, der auf der Seite der Minamoto stand. Hier würde Ushiwaka in Sicherheit sein. Es wird auch berichtet, Ushiwaka habe auf seinem Weg dorthin in Owari (Nagoya) Rast gemacht, um den Tempel von Atsuta-jingû zu besuchen, wo er aus dem Munde des Tempelvorstehers von der Existenz seines älteren Halbbruders Yoritomo erfahren haben soll. Jener Tempelvorsteher soll es auch gewesen sein, der ihn beschwor, Yoritomo aufzusuchen und sich mit ihm zu vereinen, damit die Brüder den Klan der Minamoto um sich scharen könnten. Es könnte auch in jener Nacht gewesen sein – oder aber, anderen Berichten zufolge, ein Jahr später in Mutsu –, daß Ushiwaka zur gempuku-Zeremonie27 zugelassen wurde und dabei seinen Männernamen, Yoshitsune, erhielt, unter dem er berühmt werden sollte. Auch soll es während dieser Reise gewesen sein, daß er sich auf recht ungewöhnliche Weise mit dem Werk »Die Kunst des Krieges« vertraut gemacht hat. Um Zugang zu dem seltenen Werk des chinesischen Strategen Sun Tsu28 zu erhalten, das sich im Besitz eines Taira-Herren befand, verführte er dessen Tochter und besuchte sie während 16 aufeinanderfolgenden Nächten. Dabei soll er auch die Zeit gefunden haben, das berühmte Traktat zu studieren.

      Einst reiste der junge Yoshitsune auch durch Kyôto, wo er Benkei29 kennenlernte. Benkei, dessen Name untrennbar mit dem Yoshitsunes verbunden ist, ist eine weitere legendäre Persönlichkeit der japanischen Mythologie. Er soll der Sohn eines Bonzen30 aus dem Tempel von Kumano in der Provinz von Kii gewesen sein, es heißt aber auch, er sei ihn Wahrheit der Sohn eines Tengu, dem seine Mutter auf einem Waldweg begegnet ist. Nicht weniger als drei Jahre soll die Schwangerschaft seiner Mutter gedauert haben, und als er schließlich zur Welt kam, soll er schon lange Haare und all seine Zähne gehabt haben. Aufgewachsen ist er im Tempel Enryaku-ji, dessen Hütern er anvertraut worden war. Man verlieh ihm dort aufgrund seiner spontanen und gefährlichen Streiche den Spitznamen »Dämonenkind« (oniwaka-maru). Als er Bonze wurde, nahm er den Namen Musashibô an. Aber mit einer Körpergröße von acht Fuß31 war er ein höchst ungewöhnlicher Mönch, und er hatte zudem den Ruf, die Kraft von Dutzenden Männern zu haben.

      Es gibt in Japan noch heute Gegenstände, die mit seiner Person in Beziehung stehen, wie z. B. einen Kessel und eine Glocke, die im Tempel von Mii-dera aufbewahrt werden. Hiermit hat es folgende Bewandtnis. Benkei hatte den Tempel Enryaku-ji verlassen, da er ein zurückgezogenes Leben in einer kleinen Einsiedelei anstrebte. Eines Tages befiel ihn jedoch der unwiderstehliche Drang, den seiner Ansicht nach allzu trübseligen Mönchen von Mii-dera einen Streich zu spielen. Er begab sich dorthin, und man gewährte ihm das Gastrecht. Eines Nachts zerschnitt er den Strick, an dem die Bronzeglocke hing, deren klarer Klang im ganzen Land bekannt war.


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