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Die Krieger des alten Japan. Roland HabersetzerЧитать онлайн книгу.

Die Krieger des alten Japan - Roland Habersetzer


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gestohlene Glocke zum Klingen brachte. Er stellte sie zu Boden und schlug mit einem jungen Baum, den er ausgerissen hatte, gegen sie. Der Klang war natürlich kläglich. Benkei geriet darüber in Zorn und stieß die Glocke mit dem Fuß, so daß sie unter großem Getöse zu Tale rollte. Die empörten Mönche verlangten von Benkei, daß er die Glocke zurückbrachte und wieder dort aufhing, wo sie hingehörte. Für einen Kessel voll Bohnen war Benkei denn auch gern bereit, dies zu tun.

      Später befand sich dieser furchterregende Kriegermönch (Yamabushi) in Kyôto. Seine Beschäftigung bestand darin, jedem, der die Gojo-Brücke passieren wollte, das Schwert abzunehmen. Er hatte den Schwur geleistet, mit dem Erlös aus dem Verkauf von tausend auf diese Weise entwendeten Schwertern einen Tempel wiederaufzubauen. Die Legende erzählt, daß eines Nachts die Zeit gekommen war, daß er das tausendste Schwert erwartete. Er trug eine schwarze Rüstung, die seine stahlharten Muskeln bedeckte und hielt eine naginata32 in der Hand. Der riesenhafte, breitgebaute Mann versperrte den Durchgang wie eine feste Mauer. Er spähte mit furchteinflößendem Blick unter seinen dichten Augenbrauen hervor in die Finsternis. Plötzlich vernahm er den zarten Klang einer Flöte und sah, wie sich ihm die grazile Silhouette eines Jungen näherte. Der Junge war in einen recht unförmigen Umhang gehüllt, und er schlenderte unbekümmert vor sich hin. Benkei hatte jedoch nur Augen für das wundervolle Schwert, das aus dem Umhang des Reisenden hervorragte und dessen lackierte Scheide im Mondschein schimmerte. »Das ist genau das, was ich brauche, um meine Sammlung zu vollenden«, murmelte er vor sich hin. Er machte einen gewaltigen Satz, senkte die Hellebarde und rief: »Bürschchen, gib mir dein katana, und ich lasse dich deines Weges ziehen!«

      Yoshitsune, der noch nicht einmal zu ihm aufgeblickt hatte, beendete sein Flötenspiel und richtete schließlich den Blick auf die riesenhafte Gestalt, die im Mondschein vor ihm aufragte. »Ach, Ihr seid es, der Schwertdieb. – Ihr müßt verrückt sein, wenn Ihr glaubt, daß ich Euch mein katana aushändige. Ihr solltet lieber schlafen gehen«, antwortete er mit sanfter Stimme.

      Benkei stand vor Verblüffung der Mund offen. »Was für ein dummes und überhebliches Bürschchen!« dachte er. Wütend darüber, daß seine Bedrohung nicht ernst genommen wurde, wirbelte Benkei seine Hellebarde einmal herum und stieß sie nach vorn. Zu seinem größten Erstaunen vollbrachte es der Jungen, dem Stoß auszuweichen, hinter seinen Rücken zu gelangen und ihm einige Male mit dem tessen33 auf den Rücken zu schlagen. Immer wieder versuchte Benkei, Yoshitsune zu treffen, aber dieser hielt ihn regelrecht zum Narren. Man sagt sogar, daß selbst die Tengu erfolglos versuchten, ihm in dieser Nacht zu helfen, damit er zu seinem tausendsten Schwert gelangte.

      Doch schließlich stieß Benkei versehentlich seine naginata so tief in das Holz eines Brückenpfeilers, daß sie steckenblieb. Halb besinnungslos vor Zorn versuchte Benkei, die Waffe zu befreien, als plötzlich der Jüngling seinen Umhang abwarf. Er war in eine rote Rüstung gekleidet. »Es reicht«, sagte Yoshi­tsune und zog das Schwert. »Ihr benötigt offenbar wirklich eine Lektion.«

      Der Kampf war schnell und kurz. Der Riese sank verwundet auf die Knie, verblüfft über solch eine unglaubliche Geschicklichkeit in der Kunst des Kämpfens, und erwartete den Gnadenstoß. »Ich bitte nur um eines«, keuchte er, »sagt mir Euren Namen, junger Herr!«

      »Ich bin Minamoto-no-Yoshitsune«, erwiderte der Jüngling und reichte ihm die Hand. »Eure Wunde muß behandelt werden«, fügte er hinzu.

      »Nun, Minamoto-no-Yoshitsune, lasset mich den Rest meiner Tage an Eurer Seite verbringen!« rief Benkei, indem er sich rückhaltlos vor seinem Besieger zu Boden warf. Und so geschah es. Von diesem Tage an war Benkei der Schatten Yoshitsunes. Bis zu seinem letzten Tag sollte er seinen Meister aufrichtig bewundern und ihm grenzenlos ergeben bleiben.

      Tatsächlich gibt es über diese Zeit auch eine Legende, nach welcher Yo­shitsune einen Wegelagerer namens Ise-no-Saburô auf ähnliche Weise »bekehrte«. Doch dieser spielt in der weiteren Lebensgeschichte Yoshitsunes keine Rolle.

      Sobald Yoshitsune in Hiraizumi anlangte, stand er unter dem Schutz des örtlichen Machthabers Hidehira. Er blieb hier fünf Jahre und vervollkommnete seine militärische Ausbildung bei ausgezeichneten Kriegern.

      Unterdessen führte Yoritomo, der noch immer nichts von der Existenz seines jüngeren Halbbruders wußte, erzwungenermaßen eine seßhafte Lebensweise, denn er stand nach wie vor unter ständiger Bewachung. Es war ihm jedoch gelungen, seine Bewacher durch seine Intelligenz und sein Gespür für Politik für sich einzunehmen. Insgeheim schmiedete er bereits Pläne für die Restauration der Minamoto. Doch wie hätten die Spione der Taira ahnen sollen, daß sich hinter seiner offenkundigen Oberflächlichkeit, die sich in seinem Kleidungsstil, seiner Lebensweise und seinen Worten ausdrückte, irgendein Wille zur Rache verbergen könnte? Yoritomo führte sie alle hinters Licht, und Kiyomori glaubte, ruhig schlafen zu können in Kyôto. Aber unter der Asche schwelte die Glut.

      Schon bald gab Yoritomo zum ersten Mal seine Zurückhaltung auf. Er wollte die Tochter eines Aristokraten ehelichen, und dies sollte sein erster Schritt auf dem Weg zur Macht werden. Dazu hatte er die junge und schöne Masako auserkoren, die älteste Tochter der Familie Hôjô, die im Gebiet zwischen Izu und Sagami herrschte. Er beschloß, sie zu entführen, und zu diesem Zweck schlich er sich eines Nachts in den Palast der Hôjô. Ein Wächter überraschte ihn und wagte ihn zu fragen, wer er sei. Dem Unglücklichen blieb kaum die Zeit, die Antwort, die »Minamoto!« lautete, zu verstehen, denn kaum, daß der Name gefallen war, fiel auch schon das abgetrennte Haupt des Wächters. Yoritomo gelang es, Masako zu ehelichen, und damit war er plötzlich zum Herren über ein Lehen und sogar über eine kleine militärische Einheit geworden. Der Wiederaufstieg des Klans der Minamoto hatte begonnen.

      1181, zwanzig Jahre nach der Ermordung Yoshitomos, starb Taira-no-Kiyomori eines natürlichen Todes. Im selben Jahr begannen Entwicklungen großer Tragweite. Es begann der Aufstand des Klans der Minamoto. Erneut sollten deren weiße Feldzeichen und die roten Standarten der Taira in der Schlacht aufeinanderstoßen. Drei mächtige Armeen standen einander gegenüber: Die Armee der Taira unter Taira-no-Koremori34, die in Kyôto stationiert war, die Streitmacht der Minamoto unter Yoritomo in Kamakura, und die der Minamoto unter dem Befehl seines Cousins Yoshinaka, die in der Provinz Shinano lagerte. Yoshinaka wurde durch seinen Onkel Yukiie unterstützt, der als erster Feindseligkeiten gegen die Taira vom Zaun gebrochen hatte, aber zunächst eine schwere Niederlage erlitten hatte.

      Im Mai 1183 näherte sich Yoshinaka schließlich mit einer großen Streitmacht Kyôto, wo infolge einer Reihe von Mißernten Seuchen und Hunger wüteten. Der junge Taira Koremori, ein Enkel Kiyomoris, versuchte, mit einer gewaltigen Armee aus 100 000 Männern den Weg zur Hauptstadt zu versperren. Doch die Führung seiner Armee war desorganisiert, und die Truppen standen in einem bereits verwüsteten Land, dessen Bevölkerung ihnen nach der langen Schreckensherrschaft nichts als Haß entgegenbrachte. All dies bremste den Marsch der Truppen Koremoris gegen das Heer Yoshinakas. Eine Woche, nachdem sie die Hauptstadt verlassen hatten, traf die Vorhut der Taira auf die Streitkräfte der Minamoto. Die entscheidende Schlacht fand in der Nähe des Berges Tonami statt, in der Provinz Etchû.

      Am 1. Juni 1183, dem Vorabend der Schlacht, schlugen die Taira-Truppen ihr Lager nahe dem Kurikara-dani-Paß auf, in einem Gebiet namens Tonamiyama. Am darauffolgenden Tag tat Yoshinaka alles, um seine Gegner hinzuhalten. Er ließ seine Truppen jeder ernsthaften Auseinandersetzung aus dem Wege gehen und gab seinen Samurai Anweisung, sich nur in kleineren Gruppen in Scharmützel verwickeln zu lassen. Auf diese Weise erreichte er, daß der Tag ohne Entscheidung verstrich. Mit Anbruch der Nacht zogen sich die Taira in ihr Lager zurück. Hier jedoch wurden sie von einer Kriegslist Yoshinakas überrascht. Dieser hatte heimlich eine Rinderherde hinter das gegnerische Lager treiben lassen. Die Hörner der Tiere waren mit Strohbündeln umwickelt. Das Stroh wurde in Brand gesetzt und die Herde, Hunderte Rinder, kopflos vor Angst, wurde mit Schreien, Trommelwirbel und den schrillen Klängen der Kriegstrompeten ins Lager der schlafenden Taira getrieben. Panik griff um sich. Zehntausende Taira suchten das Heil in der Flucht in Richtung des Kurikara-Tals. Zu spät begriffen sie, daß sie in eine enge Schlucht getrieben worden waren, die in einen Abgrund mündete. Durch die nachdrängenden Menschen und die Rinder, die ihnen noch


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