Erwin Rosenberger: In indischen Liebesgassen - Prostitution in Bombay - Aus dem Tagebuch eines Schiffsarztes. Erwin RosenbergerЧитать онлайн книгу.
dass die andere Fensterkollegin gerade im Innern der Häuslichkeit irgendeiner Beschäftigung obliegt.
Während wir, durch die Gasse promenierend, zu einer Wohnung japanischer Mädchen emporschauen, bemerke ich, dass sich dort oben im Zimmer zwei interessante Gäste aufhalten, interessant für mich, den Reise-Neuling: nämlich zwei regelrechte Chinesen. Sie stehen in der Nähe des Fensters und plaudern mit den Japanerinnen. Die beiden Söhne des Reiches der Mitte sind in eleganter dunkler Tracht, ein rundes schwarzes Käppchen ist die Kopfbedeckung. Glatte feiste Gesichter. Der eine ist augenscheinlich mehr vorurteilslos-zynisch veranlagt, der andere, der Jüngere, mehr schüchtern-verschämt. Der Zyniker blickt durch die Gläser seiner Brille mit breitem Lächeln aus dem Fenster zur Gasse nieder, macht einige Züge aus seiner Zigarre, wendet sich wie scherzend zu den Mädchen und scheint sich zu amüsieren, dass er der Gegenstand unserer Aufmerksamkeit ist. Der Schüchterne kommt ans Fenster, erblickt die Hinaufgaffer und tritt, als würde er sich geniert fühlen, in den Hintergrund des Zimmers zurück.
Es ist zu vermuten, dass die beiden Chinesen auf einer Durchreise begriffen hier in Bombay Halt gemacht haben. Während sie Kamatipura, eine Sehenswürdigkeit von Bombay, besichtigten, hat sie die Lust angewandelt, mit den Vertreterinnen mongoloiden Menschentums, den Japanerinnen, Beziehungen anzuknüpfen.
In Bombay sieht man ansonsten selten Chinesen.
* * *
Ajame
Ajame
Während ich gestern Abend nach Kamatipura hinausfuhr, da war in mir eine Ahnung, dass ich zuguterletzt im Zimmer eines Freudenmädchens landen würde.
Wird die Ahnung recht behalten?
Durch die Suklajistreet wandelnd stellte ich Betrachtungen an über die daselbst ansässige Damenwelt: Es sind in dieser Liebesgasse hauptsächlich drei Mädchengruppen vertreten, Europäerinnen, Inderinnen, Japanerinnen; – welche ist die wünschenswerteste?
Die Europäerin? – Nein! Die ist mir nicht genug unbekannt! – Neu-gierig, neu-süchtig reist man aus Europa in die Ferne.
Also eine Inderin? – Nun ja, – die Inderin selbst, die Inderin an sich ist ja sicherlich recht anziehend, sie war umhüllt vom Duft des Märchens und romantischer Träume, als wir noch daheim in Europa weilten, aber leider sitzt sie, die Inderin, im gegenwärtigen Augenblick hinter Käfigstäben in einer gar nicht anmutigen Hütte und ihre Liebeskammer samt Freudenbett ist alles eher als einladend. Gewiss, das indische Mädchen ist das Kind einer fernen, fremden Welt, im Gegensatz zur wohlvertrauten Europäerin, doch bedauerlicherweise ist die Umwelt dieser indischen Halbwelt ziemlich unerquicklich.
Und überdies, das indische Minnebett schaut nicht nur unwohnlich aus, es ist auch mehr in die Öffentlichkeit gerückt und mehr den Blicken des Straßenpublikums ausgesetzt, als man im allgemeinen von einem trauten Liebesnest zu erwarten berechtigt ist. Wer da drinnen der Minne pflegt, tut dies nahezu auf der Gasse. Nicht unter vier Augen, sondern nachgerade unter aller Augen.
Dort drüben, in der linken Häuschen-Reihe der Gasse, ist ein kleines Erdgeschoß-Häuschen, das von japanischen Mädchen bewohnt ist. Ja, die Japanerin! Der Japanerin kann man denn doch eine weitaus geneigtere Stimmung entgegenbringen. Wie nett und gastlich die japanischen Stuben ausschauen! In der Straße wandelnd kann man mancherorten ins Vorzimmer eines japanischen Freudenheims durch die offene Tür leicht Einblick haben, lediglich ins Vorzimmer. Da ist alles freundlich und reinlich. Und sie selber, die Töchter Japans, haben verlockende Vorzüge, – eingerechnet ihr Äußeres, das säuberlich und gepflegt ist. Schon der Umstand, dass die Japanerinnen – wie wohl kaum anders zu erwarten ist – aus Japan sind, ist uns ein Reiz; aus Japan, aus dem Lande der aufgehenden Sonne, für das wir eine erhebliche Begeisterung empfinden, da uns die Berichte so viel Schönes und Rühmliches von dem fernen Inselreich, vom Land der Kirschblüte, erzählt haben. Einen Abglanz des verklärenden Nimbus, womit die Fama das Wort „Japan“ umgeben hat, verlegen wir auf das Haupt des japanischen Freudenmädchens. Ich bin noch nicht in Japan gewesen, ich sehne mich hin, wie jeder, der von Reisebegier erfüllt ist, – wohlan, hier ist ein Stück Japan, dieses Mädchen ist wie ein Symbol, wie eine Personifikation des Landes; hast du das Mädchen in Besitz genommen, so hast du gleichsam vorweg den Fuß auf japanischen Boden gesetzt. –
Ich betrat die Vorhalle des japanischen Häuschens. Vier Japanerinnen halten daselbst Ausschau, stellen sich zur Schau. Sie erheben sich von ihren Sitzen.
* * *
Man kann den Miniatur-Raum, auf dem ich solcherart gestern Abend den Anfangsschritt meiner japanischen Liebeserlebnisse tat, eigentlich nicht recht eine „Vorhalle“ nennen. Es ist ein schmaler Balkonvorbau, eine Art Veranda, zwei oder drei Fuß über dem Gassen-Niveau.
Wenn ein Spaziergänger vor dem Häuschen auf der Gasse stehen bleibt und daselbst mit den Mädchen ein Gespräch anknüpft, mit den Japanerinnen, die zu Werbezwecken auf diesem Vorbau stehen, so haben die kleinen Mägdelein Gelegenheit, den Mann von oben hinab anzusehen, was ihnen sonst, wenn sie mit ihm auf gleicher Stufe stehen, schwer möglich ist, auch falls er kein Riese von Gestalt ist.
Ich habe schon an den früheren Abenden während meiner Spaziergänge dieses japanische Häuschen wahrgenommen und ich nannte es für mich, um mir’s im Gedächtnis zu kennzeichnen, das „Verandahäuschen“.
Unter den vier Japanerinnen, die sich gestern Abend in dem kleinen Vorraum aufhielten, als ich diesen betrat, war eine Frau von auffallend üppigen Formen. Auffällig deswegen, weil ich unter all den Japanerinnen, die ich bisher in der Suklajistreet gesehen, noch keine dermaßen formenreiche bemerkt habe.
Sie war nicht nur weitaus rundlicher als ihre drei Gefährtinnen, sie war auch minder hübsch und weniger jung. Doch mag sie kaum älter als dreißig Jahre sein. Zudem hat sie Japanerinnen-Größe, sie ist also verhältnismäßig klein.
Während die drei anderen Japanerinnen mit festlich prangenden Gewändern angetan waren, um auf Auge und Herz der Männer eine Verlockung auszuüben, begnügte sich die reichlich Gerundete mit einer sehr einfachen Haustracht, welche, wie man vermuten durfte, von Lockabsichten frei war; zu einer Art Unterrock gesellte sich als zweites Gewandstück ein knapp anliegendes, sehr kurzärmeliges Woll-Leibchen, das freilich durchaus nicht geeignet war, die stattlichen persönlichen Eigenschaften der Dame zu verheimlichen.
Indes, ich glaube nicht, dass die Wohlbeleibte sich das Ziel gesetzt hatte, mittels ihres bedeutenden Fleischvorrates berauschend auf die Männerwelt einzuwirken, und dass sie eben zu diesem Zwecke das Leibchen, das ihrer Beleibtheit eine ausgiebige Veröffentlichung gewährte, angelegt hatte. Wie schon erwähnt, ich habe in Kamatipura den Eindruck empfangen, dass es dem Geist der Japanerinnen fernliegt, ihre Nacktheiten als ein Mittel zum Männerfang zu weiten und zu verwerten. Die Tatsache, dass die japanischen Mädchen unserer Liebesgasse sich in vollständigster, sozusagen züchtigster Bekleidung zur Schau stellen, weist vielmehr darauf hin, dass die Japanerin sich in einer mangelhaften Toilette für minder verführerisch und anreizend einschätzt als in einer reichlich und überreichlich verhüllenden.
Das vielverratende Leibchen der kleinen, verschwenderisch gerundeten Frau gestattet demnach den Schluss: sie rivalisiert nicht mit den drei anderen Japanerinnen, – wenigstens nicht vorsätzlich –, sie verzichtet zu deren Gunsten auf die Werbekraft des Kostüms, sie will keinen Mann ins Netz locken.
Man wird nicht fehlgehen, wenn man vermutet, dass sie die Dame des Hauses ist, die Vorsteherin dieses kleinen ostasiatischen Freuden-Instituts.
Wirklich trat sie alsbald in der Rolle der fürsorglichen Hausfrau hervor; nach den ersten Grußworten, ehe ich mich noch angeschickt, eine Wahl zu treffen, deutete sie auf eines der Mädchen und sagte empfehlend: „Take this girl!“ Nimm dieses Mädchen!
Ein solcher unvorhergesehener Ratschlag, der einigermaßen geeignet war, meine Willensfreiheit einzuschränken, erschien mir ein bisschen befremdlich. Es wäre wünschenswert gewesen, dass man meiner Entscheidung nicht vorgreife und dass man freundlichst mir die Annäherung überlasse, statt meinem Geschmack eine bestimmte Richtung