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Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis WillibaldЧитать онлайн книгу.

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald


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dem Hause, damit Gottfried nicht an ihr Dasein erinnert werde. Selbst die nachteiligen Reden der Nachbarn und Bekannten vermochten nichts dagegen.

      Um zur Gräfin von Orlamünde zu werden, fühlte sie, daß es noch eines Impulses bedürfe. Sie wünschte schon damals vom Schicksale einen Wink zu erhalten, selbstbetrügerisch durch irgend etwas von außen her sich bestimmen zu lassen. Sie wandte sich wieder an die Kartenlegerinnen und befragte wenigstens vier derselben nacheinander. Indem sie ihnen die geheimen Wünsche ihres Herzens verriet und ihnen so das Wort in den Mund zu legen wußte, erhielt sie von allen dem Sinne nach denselben Ausspruch, daß ihre ganze Familie aussterben und sie ganz allein übrigbleiben werde, um dann im Überfluß leben zu können. Zugleich arbeitete sie aber mit scharfblickender Voraussicht auf die Zukunft hin, indem sie es sich angelegen sein ließ, daß diese Prophezeiungen unter den Leuten bekannt würden. Wenn es dann so kam, so geschah nichts anderes, als was die klugen Frauen längst vorausgesagt hatten, und die Möglichkeit, daß sie ein Verdacht treffen könne, wurde mindestens weiter entfernt. Dies schlaue Verfahren ist durch vielfache Zeugenaussagen außer Zweifel gesetzt.

      So mit dem festen Entschluß zur Tat gerüstet, erwartete sie nur die Gelegenheit zur Ausführung. Es war ihr sehr willkommen, daß ihre Eltern öfters schon ihres Todes gedachten und die Mutter den Wunsch aussprach: »Das wünsche ich mir, Alter, vom lieben Gott, daß ich dich, wenn du einmal stirbst, nicht länger als acht Tage überlebe.«

      Die alte Timm erkrankte wirklich: eine Hoffnung für die Miltenberg, daß sie diesmal das Gift sparen könne. Aber trotz ihrer vierzehntägigen Pflege starb die Mutter nicht! Der alte Timm hatte inzwischen sein Haus an den Tischler Bolte verkauft. Während der Unruhe des Einziehens läßt sich die schwache Alte in das Haus der Tochter tragen, um dort ihre Gesundheit wiederzugewinnen. Liebevoll und mit kindlichster Herzlichkeit wird sie in dem schönen neutapezierten Zimmer aufgenommen, das der alten Bürgersfrau viel zu prächtig dünkt. Mutter und Tochter scherzen darüber. »Mutter, du mußt denken, du bist im Kindbett«, sagte die letztere, und die Mutter lächelte herzlich.

      Drei Tage nachher will die Miltenberg angeblich etwas Kleidung für die Mutter aus deren Hause holen, da sieht sie ein Papier, mit Zwirn zugebunden, und darauf geschrieben: »Rattenkraut«; es war ihr, »als sei es ihr absichtlich in den Weg gelegt worden«, und die Nacht konnte sie nicht schlafen vor dem Gedanken: »Wenn du nun keine Eltern hättest, so könnte dich doch niemand hindern!«

      Nach drei Tagen besserte sich der Zustand der Mutter. Die Unruhe der Tochter wuchs. Sie ging wieder hinüber zum Schrank und holt sich in Papier – ein wenig aus dem Pakete. Aber wiederum verstreichen acht Tage. Die Mutter fällt so oft zurück, und es ist doch vielleicht nicht nötig, von dem Gift Gebrauch zu machen. Bald aber wurde ihr sichtlich wohler. Da trat einmal ihr Enkel Heinrich mit der Frage ans Lager: »Großmutter, ist es wahr, daß dem Kinde, welches nicht gut an seinen Eltern tut, die Hand aus der Erde wächst?« Der Miltenberg schnitt das Wort durch die Seele; aber statt sie vom Vorsatz abzumahnen, bestärkte es ihn. Noch an demselben Tage – es war ein Sonntag – rührte sie das Arsenik in ein Glas Limonade, das Lieblingsgetränk der Alten.

      Die Verbrecherin bekannte: »Denken Sie, während ich das Gift einmache, gibt mir der liebe Gott ein herzliches, lautes Lachen ein, daß ich erst noch selbst davor erschrak. Aber gleich besann ich mich, dies gäbe mir der liebe Gott ein zum Beweise, daß die Mutter nun bald so im Himmel lachen werde.«

      Als die Mutter das Gift schon getrunken hatte, flogen auf einmal drei Schwalben zur Stubentür herein und setzten sich auf die Krone des Himmelbettes. Die Miltenberg erschrak, ihre Knie zitterten. Sie dachte, das bedeute den ankommenden Tod. Aber die Mutter sagte ganz ruhig: »Süh mal, die lüttge Vogels!« Schwalben kamen nie sonst, nach der Miltenberg Versicherung, in ihr Haus, noch nisteten sie auf dem Hofe.

      Das Gift wirkte. Schon Tags darauf verlangte die Mutter nach dem Abendmahl und erhielt es. Sie ordnete ihre kleinen Dinge an. Dem Ehemann drückte sie die Hand und sprach: »Wenn ich noch etwas erflehen darf: daß du mir bald folgst.« Der Timm antwortete: »In zwei Monaten bin ich bei dir«, und er verließ das Zimmer. Zur Miltenberg sprach sie darauf: »Wenn dein Bruder als Krüppel kommt, pflege seiner«, und hob beide Arme gen Himmel: »Ach könnte ich doch alle meine Kinder mitnehmen.« Erschöpft davon ruhte sie, schien am nächsten Morgen ganz wohl, verschied aber in der Frühe, noch ehe der alte Timm von drüben kam.

      Bei der Leiche ihrer Mutter war die Miltenberg besonders ruhig. Eine Zeugin sagt sogar, sie sei lustig gewesen.

      Den Tag nach der Beerdigung der Mutter (10. Mai) befand sie sich in dem Hinterzimmer mit der fünfvierteljährigen Johanna, ihrer jüngsten Tochter, allein. Das schien ihr die gelegenste Zeit, und Johanna war auch das in ihrem Verhältnis zu Gottfried hinderlichste Kind. Ohne Zaudern reichte sie der Kleinen ein Stück Kuchen von der Begräbnisfeier und darauf Arsenik, mit Butter festgeschmiert. Das Kind ward alsbald unwohl, Gottfried erquickte es mit Wein und Wasser, und es ward ruhiger. Er ging um zehn Uhr zu Bett. »Als es elf schlägt, sehe ich, in die Wiege – ach Gott! da war sie tot!« Bei Johannas Ermordung, sagt die Miltenberg, habe sie einen großen Schreck gehabt. Dieser, wie alle ihre Gefühle, lief aber nur auf den Gedanken hinaus: »Sollte dein Vater auch wohl etwas merken, daß du das Arsenik genommen hast?«

      Ihr Schreck galt wohl nur der Überraschung, daß das gefährliche Stück so leicht von der Hand gegangen war. Es lachte in ihr auf zum Fortfahren.

      Adelheid, ihr ältestes Kind, gewöhnlich Adeline genannt, war seit acht Tagen krank gewesen; aber es täuschte die Hoffnung der Mutter, daß es von selbst sterben werde. Als sie Adeline so unerwartet genesen sah, gab sie ihr auch von dem Butterkuchen mit Gift, und das Kind starb nach einigen Tagen am 18. Mai. Im Todeskampfe umklammerte es die Mutter, aber diese blieb ruhig dabei.

      Das oben erwähnte Porträt, das englische Mädchen, welches der alte Miltenberg seiner Schwiegertochter schalkhafterweise über das Bett gehängt hatte, hatte eine auffallende Ähnlichkeit mit Adelinens Gesichtszügen gehabt. Jetzt holte die Mutter dieses Bild unter Tränen hervor, ließ einen schönen Rahmen darum machen, hing es auf und nannte es ihre Adelheid.

      Der alte Timm, der fast täglich das Grab seiner Frau besuchte, hatte den Schmerz gehabt, auch dem Leichenbegängnis zweier Enkel folgen zu müssen. »Bei deinem dritten Kinde ist dein Vater nicht mehr da«, sagte er zur Tochter, und sie nahm es als Aufforderung des Schicksals. Zwei Wochen nach Adelinens Tode, an einem Sonntagabend, gab sie ihm eine ihren Zwecken entsprechend zubereitete Suppe. »Wenn du mich so pflegst, wirst du deinen Vater noch lange behalten«, sagte er, indem er die Suppe verzehrte. Sie erschrak und brachte den Vater nach Hause. In der Nacht entkleidete sie sich nicht, in der Erwartung, jeden Augenblick gerufen zu werden. Um vier Uhr morgens wird auch wirklich ans Haustor geklopft, ein Bote vom Tischler Bolte meldet, der alte Herr sei niedergefallen und verlange nach der Tochter; der Vater wünsche, daß seine Miltenbergin nicht mehr von ihm gehe. Er litt nach den Zeugenaussagen entsetzlich. Zwei Frauen bekunden, daß die Tochter dabei froh, ja lustig gewesen sei. Möglich, daß die spätere moralische Entrüstung die Erinnerung der Zeugen färbte, möglich, daß es geschah, um den Vater zu beruhigen; fast wäre die Heuchlerin zu sehr aus ihrer Rolle gefallen. Sie entsann sich, daß Wasser und Wein ihre Johanna ruhig gemacht hatten, sie holt es; als sie wiederkommt, sitzt der Vater an der Erde. Nachdem er eine Tasse Wein getrunken hat, redet er irre, phantasiert von der seligen Frau, die er auf seinem Bette sitzen sieht, ordnet noch verschiedenes an und stirbt darauf am 28. Juni.

      Diese vier Vergiftungen gingen ohne allen Verdacht ab. Kinder sterben leicht hin. Die alten Leute hatten längst ihr Ende erwartet. Auch des Vaters Tod hatte nicht die geringste Gemütsbewegung bei der Mörderin veranlaßt, und sie entsann sich später kaum der Umstände, wie der Vater beerdigt wurde.

      Ein einziges Kind, der fünfjährige Heinrich, war noch übrig. »Mutter, warum nimmt dir der liebe Gott alle deine Kinder?« fragte sie das Kind: ein Dolchstoß in ihr Herz, eine Mahnung, auch an die Wegräumung dieses letzten Hindernisses zu schreiten.

      Sie gibt ihm Gift. Er richtet sich am zweiten Tage ängstlich in die Höhe. Da ergreift sie – zum ersten Male – Angst. Sie ruft ihre Beta, geschwind Milch zu bringen, »Ach, wenn in dem Augenblicke eine fremde Person bei mir gewesen wäre, so hätte ich mich ja verraten! Denn Milch soll ja Gegengift


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