Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis WillibaldЧитать онлайн книгу.
stehen: es war, als wenn er aus seiner Betäubung erwachte. Er sah die drei Brüder mit einem tiefbekümmerten Blick, den keiner von ihnen jemals vergessen konnte, mehrere Minuten lang an und sagte zu ihnen in einem langsamen, feierlichen Tone:
»Ich vergebe euch. Betet für mich, wenn meine Zeit kommt.«
Mit diesen Worten verließ er wankenden Schrittes das Haus.
Inzwischen war die Nacht weit vorgerückt. Trotzdem beschlossen die drei Brüder, sogleich nach Toulouse zu eilen und dort noch vor Tagesanbruch bei der Gerichtsbehörde ihre Anzeige zu machen.
Sie hatten keine Ahnung von den entsetzlichen Folgen, die ihre nächtliche Unterredung mit dem Priester nach sich ziehen mußte, denn keiner von ihnen wußte, welche furchtbare Strafe das Gesetz über einen Mann im heiligen Amt verhängte, der die Geheimnisse des Beichtstuhles verriet.
In der Gegend von Toulouse war seit Menschengedenken ein solcher Fall nicht vorgekommen, überhaupt geschah es zu jener Zeit äußerst selten, daß sich ein Priester der römischen Kirche ein solches Vergehen zuschulden kommen ließ.
Den drei Jünglingen schlug zwar das Gewissen; es machte ihnen Vorwürfe darüber, daß sie den Pfarrer gezwungen hatten, den Mörder zu nennen, aber sie beruhigten sich leicht damit, daß es ihre Kindespflicht gewesen sei, jedes Mittel zu ergreifen, um den Mord ihres Vaters zu rächen, und sie waren überzeugt, daß die härteste Strafe, die den Herrn Chaubard treffen könnte, der Verlust seiner Pfarrei sei, in diesem Falle aber – darauf gaben sie sich die Hand – wollten sie ihn entschädigen und gemeinschaftlich dafür sorgen, daß er sein genügendes Auskommen habe.
In Toulouse erst gingen ihnen die Augen auf. Als sie dem Beamten, der tags zuvor in ihrem Hause gewesen war, mitteilten, wer der Mörder sei und wie sie seine Spur entdeckt hätten, malte sich das größte Entsetzen in den Mienen des Richters. Er sagte zu ihnen mit bebender Stimme:
»Vielleicht wäre es besser, ihr wäret nie geboren worden, als daß ihr den Tod eures Vaters auf solche Weise sühnt, wie ihr es jetzt tut. Eure Handlung stürzt den Schuldigen und den Unschuldigen in dasselbe Verderben.«
Diese Worte erfüllten sich gleich einer prophetischen Wahrheit. Contegrel wurde verhaftet. Da jeder andere Beweis gegen ihn fehlte, mußte ihm die Aussage des Pfarrers vorgehalten und so der Bruch des Beichtgeheimnisses verraten werden. Das Parlament von Languedoc, das unter diesen Verhältnissen zuständige Tribunal, erließ sofort den Befehl, den Priester und die drei Brüder gefänglich einzuziehen und ihnen den Prozeß zu machen. Zunächst wurde nun Contegrel des Mordes überführt, zum Rade verurteilt und nach wenigen Wochen schon in Toulouse öffentlich hingerichtet. Die Brüder Siadoux gestanden ohne Zögern, daß sie den Pfarrer Chaubard durch die lebensgefährliche Drohung, ihn in den Kessel mit siedendem öl zu werfen, genötigt hätten, den Mörder ihres Vaters zu nennen; sie wurden zum Tode durch den Strang verurteilt. Eine weit furchtbarere Strafe erwartete den unglücklichen Priester. Das Urteil gegen ihn lautete: Es sind ihm die Glieder einzeln durch das Rad zu brechen, dann soll er noch lebend auf den Scheiterhaufen gebracht und verbrannt werden.
So barbarisch die Strafen in jener Zeit waren, und so sehr sich das Volk daran gewöhnt hatte, den grausamsten Torturen beizuwohnen, dieser Fall rief doch eine allgemeine Entrüstung hervor. Niemand fand in dem, was die Brüder getan hatten, ein todeswürdiges Verbrechen, noch weniger konnte man begreifen, warum Chaubard dem Feuertode verfallen sein sollte. Er war ja in der furchtbarsten Lage gewesen und hatte das Siegel der Beichte nur verletzt, weil er sonst in das kochende Öl geworfen worden wäre. Die Behörden empfingen zu ihrem Erstaunen nicht nur aus Toulouse, sondern auch aus der ganzen umliegenden Nachbarschaft eine Menge Begnadigungsgesuche. Aber das Los des Priesters war entschieden. Alles, was er durch die Fürsprache von Personen höchsten Ranges erreichte, war, daß der Nachrichter ihm den Todesstoß versetzen durfte, ehe sein Körper den Flammen übergeben wurde. Mit dieser einzigen Milderung wurde der Spruch in seiner ganzen Strenge an dem Pfarrer von Croix Daurada vollzogen.
Jetzt sollten auch die Brüder Siadoux sterben. Aber das durch den Tod des allgemein beliebten Priesters aufs tiefste erbitterte Volk empörte sich mit einer Entschlossenheit, auf welche die Behörden doch Rücksicht nehmen mußten. Die Sache der jungen Männer wurde von der heißblütigen Bevölkerung zur Sache aller Väter und Söhne gemacht, man erhob ihre kindliche Pietät bis in den Himmel, man machte ihre Jugend für sie geltend, ihre Unkenntnis der furchtbaren Verantwortung, die sie durch den gegen den Geistlichen verübten Zwang auf sich geladen hatten, wurde laut zu ihren Gunsten angeführt. Die Behörden erhielten Winke, daß das Erscheinen der Gefangenen auf dem Schafott das Signal zu einem organisierten Aufruhr und zu gewaltsamer Befreiung der Brüder sein würde. Unter diesen Umständen beschloß man, die Hinrichtung hinauszuschieben, die Gefangenen einstweilen in sicherem Gewahrsam zu halten und das Todesurteil erst dann zu vollstrecken, wenn die Stimmung sich beruhigt hätte.
Dieser Aufschub rettete den Brüdern nicht nur das Leben, sondern gab sie auch der Freiheit zurück. Die allgemeine Teilnahme war sogar durch die Tore des Gefängnisses gedrungen. Sämtliche drei Brüder waren hübsche, wohlgebildete junge Männer. Der sanfteste unter ihnen, Thomas Siadoux, flößte der Tochter des Gefängniswärters zuerst lebhafte Anteilnahme, dann heiße Liebe ein. Der Vater wurde durch die Bitten und die Tränen seiner Tochter erweicht, er ließ sich bestimmen, ein Auge zuzudrücken und ein einziges Mal nicht so wachsam zu sein wie gewöhnlich – das übrige besorgte das schlaue Mädchen. Eines Morgens vernahmen die Bewohner von Toulouse zu ihrer nicht geringen Freude, daß die drei Brüder in Gesellschaft der Tochter des Gefängniswärters entflohen waren.
Um der gesetzlichen Form zu genügen, ordnete die Behörde zwar eine Verfolgung an, aber im Grunde war man recht froh über diese Lösung der Verwicklung, und man gab sich nicht gerade besondere Mühe, der Flüchtlinge wieder habhaft zu werden, und so gelang es ihnen ohne große Schwierigkeit, über die Grenze zu kommen.
Drei Wochen später traf aus der Hauptstadt der Befehl ein, es solle an den Brüdern Siadoux die Sentenz in effigie vollzogen werden. Kaum war das geschehen, so erteilte man ihnen die Erlaubnis, nach Frankreich zurückzukehren, jedoch unter der ausdrücklichen Bedingung, daß sie weder ihren Geburtsort noch überhaupt die Provinz Languedoc jemals wieder betreten dürften. Mit dieser Einschränkung konnten sie sich niederlassen, wo es ihnen beliebte. Sie hatten nun Zeit, die verhängnisvolle Tat, durch die sie sich auf Kosten des Priesters an dem Mörder ihres Vaters gerächt hatten, zu bereuen.
Der Schwarzmüller
In einem engen, von steilen Bergwänden eingeschlossenen Tale des bayrischen Oberlandes lag eine einsame Mühle. Sie gehörte zu einem Dorfe, dessen Häuser nach Art der Gebirgsdörfer weit zerstreut an dem Gebirgswasser, dem Sittenbach, lagen. Aber die Schwarzmühle lag noch weiter abseits oberhalb des letzten Gehöftes. Ihre Bewohner hatten wenig Verkehr mit den Bauern des Dorfes, die wie sie Protestanten, aber noch in tiefem Aberglauben befangen waren. In diesem Tale spukten noch Hexen, Gespenster gingen um, die Geister der Erschlagenen fanden keine Ruhe, und man glaubte an eine unmittelbare Verbindung der Menschen mit dem Teufel und an magische Mittel, durch die man Lebendige töten könne. Wenn der Eigentümer der Mühle nun in dem Verdacht stand, daß er nachts auf die Kreuzwege ginge, um sich mit den Unholden zu verständigen, so wird der Umstand, daß sich die übrigen Dorfbewohner von den Müllersleuten abseits hielten, noch erklärlicher.
Der Schwarzmüller war ein starker, rüstiger Mann, um das Jahr 1817 gegen sechzig Jahre alt. Sein Gewerbe verschaffte ihm sein gutes Brot, und er besaß ein nicht unbeträchtliches Vermögen an Liegenschaften und Kapitalien. Aber sein Sinn war störrisch, aufbrausend, jähzornig, Man zitterte vor ihm und fürchtete seinen Zorn, Er war ein Despot in seinem Hause, ein unumschränkter Herr auf seinem Besitztum und stolz gegen andere, denn er war reich, der reichste Mann in seiner Umgebung, und der geringe Umgang mit anderen, die Einsamkeit, die starren Berge um ihn her nährten die Keime der Leidenschaften, bis sie nicht mehr zu beugen waren. Wer die Alpen bereist hat, wird unter den wohlhabenden Wirtsherren der Dorfschenken, die auf ihrem Eigenen sitzen, hochgeachtet und gefürchtet in der Umgegend,