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Morde am Fließband: Kriminalgeschichten. Alexis WillibaldЧитать онлайн книгу.

Morde am Fließband: Kriminalgeschichten - Alexis Willibald


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Kinder hätten viel von ihm zu erleiden gehabt und in beständigem Hader mit ihm gelebt. Da habe Konrad, der Sohn des Müllers, ihm – im September 1817 – vertraut, die Familie könne es nicht mehr aushalten. Damit er sie nicht um alles bringe, wollten sie ihn in der nächsten Nacht auf die Seite schaffen. Konrad habe ihn aufgefordert, ihnen dabei zu helfen. Zuerst hätte er nicht dran gewollt, aber auf vieles Zureden habe er sich endlich doch entschlossen. Nun habe ihn Konrad eines Nachts abgeholt, und sie beide hätten dann unter Beihilfe des jüngsten Sohnes Friedrich den alten Vater in der Küche ermordet. Der Leichnam sei zuerst in der Sägemühle verscharrt worden. Später hätten sie ihn in eine Felsenschlucht auf dem Krummacker geworfen und mit Erde und Steinen bedeckt. Die Müllerin und ihre Töchter wüßten auch von der Tat.

      Das Unteisuchungsgericht begab sich darauf ganz in der Stille in das Sittental. Die Herren kamen gegen Abend an, die Schwarzmühle wurde umstellt, und man überraschte die Familie, als sie eben stehend ihr Tischgebet nach dem Abendessen verrichtete. Man ließ sie ruhig das Gebet aussprechen; dann wurde sämtlichen Mitgliedern der Familie der Arrest angekündigt und jedes in ein gesondertes Gemach eingeschlossen. Noch in derselben Nacht schritt man zum summarischen Verhör der Mutter und beider Söhne. Aber die Überrumpelung blieb ohne Ergebnis. Jeder antwortete ruhig und unbefangen dasselbe, was in den früheren Protokollen stand. Keiner wußte etwas von dem verschwundenen Vater, und jeder glaubte nicht anders, als daß er vor Jahren auf-und davongegangen sei, ohne daß einer etwas von seinem weiteren Ergehen gehört habe.

      Ein ganz anderes Resultat lieferte der folgende Tag. Der Tagelöhner Wagner führte die Gerichtspersonen links von der Mühle eine steile Bergwand hinauf. Dann ging es über mehrere Äcker in einen Felsengarten, in dem sich eine Kluft befand. Hier, erklärte Wagner, sei der Leichnam des Schwarzmüllers von den Söhnen verscharrt worden. Man räumte mehrere lose, nur dürftig mit Moos und Gestrüpp überwachsene Steine hinweg, und als man an eine Schicht von verwittertem Laub und Steinen gekommen war, rief der Führer: »Nun kommt der Leichnam bald.« Als man auch diese weggetan hatte, kamen wirklich einige Fetzen halbvermoderten Tuches, Schädelknochen, Wirbelknochen, Rippenknochen und andere Knochen zum Vorschein, die von dem Gerichtsarzt als unzweifelhaft für die Gebeine eines Menschen erklärt wurden. Der Tagelöhner Wagner sagte: »Ja, das wird der Schwarzmüller sein. Denn in meiner Gegenwart trugen ihn die Söhne vor vier Jahren hier herauf und warfen ihn hinein, und wir zusammen haben ihn mit Moos und Laub zugedeckt. Der Schwarzmüller hat auch gerade so schöne Zähne gehabt, wie hier am Unterkiefer sitzen.«

      Sämtliche Kinder des Müllers wurden hierauf einzeln zuerst vor die zusammengelegten Gebeine und dann an den Fundort geführt. Die Wirkung beim Anblick der Gebeine war sehr verschiedenartig. Ein deutliches Bekenntnis wurde nicht erreicht, wohl aber wurden die Indizien einer wirklich vorgefallenen Mordtat durch die Bestürzung und die unwillkürlichen Äußerungen der Kinder nur verstärkt.

      Der älteste Sohn Konrad brach, als er die Gebeine sah, ohne gefragt zu werden, in die Worte aus: »Ja, das ist mein Vater. Aber ich bin der Täter nicht«, setzte er nach einigem Bedenken hinzu.

      Der zweite Sohn Friedrich blickte trotzig, ohne Zeichen der Verlegenheit und stumm auf die Gebeine. Erst auf die Frage, was das wäre, antwortete er: »Nun, was wird’s sein? Knochen sind es. Ob aber Menschenknochen oder Tierknochen, das weiß ich nicht. Ich kenne weder Menschenknochen noch Tierknochen.«

      Die jüngste Tochter Kunigunde rief auf dem Wege nach der Schlucht ängstlich aus: »Davon weiß ich nichts. Ich weiß wohl das von meinem Vater; aber von dem hier oben weiß ich nichts. Ich bin unschuldig, ganz gewiß unschuldig.«

      Die älteste Tochter Margarete rief ebenfalls aus: »Ich bin unschuldig an der Tat, ich bin unschuldig. Ich habe von der Sache nicht eher gewußt, als bis mein Vater angefangen hat fürchterlich zu schreien. Aber da war es zu spät, Ich habe seitdem keine ruhige Stunde gehabt. O Gott! was wird noch aus uns werden!«

      Nun wurde gegen die Familie des Schwarzmüllers und gegen Wagner die Kriminaluntersuchung eröffnet. Ein ungeheures Verbrechen lag vor, eins, das zu den allerseltensten in der menschlichen Gesellschaft gehört: ein Vater-und Gattenmord, ein Komplott zum Meuchelmord, in dem Gattin, zwei Söhne und zwei Töchter sich verschworen und einen Meuchelmörder gedungen hatten, der die Tat für Bezahlung in ihrem Namen und unter ihrem Beistände ausgeführt hatte. Über die Motive und die Vorgänge selbst geben die Bekenntnisse der einzelnen Beteiligten den genauesten Aufschluß, so daß die Geschichte des Kriminalverfahrens in diesem Falle ganz in den Hintergrund tritt und wir uns allein mit der Erzählung des historischen Hergangs und der psychologischen Seite des Verbrechens beschäftigen können.

      Die Ehefrau, zur Zeit der Tat einige fünfzig Jahre alt, auch eine Müllerstochter und von Eltern stammend, die, wie der Pfarrer sich ausdrückte, ebenso arm an Geist wie an Herz waren, soll schon in der Jugend einen gänzlichen Mangel an Gedächtnis-und Auffassungskraft gezeigt haben. Durch die unausgesetzten Mißhandlungen durch ihren Mann in der über dreißigjährigen Ehe sanken ihre Geisteskräfte noch tiefer hinab, und sie befand sich bisweilen in einem Zustand von Stupidität, der an Blödsinn grenzte. Der Mann klagte beständig über sein dummes Weib; sonst galt sie überall für eine höchst gutmütige, verträgliche, wohlwollende Frau von untadeligem Lebenswandel.

      Das letztere Lob traf auch ihre Kinder, die Söhne wie die Töchter. Der Pfarrer des Ortes und alle Zeugen bekundeten, daß sie von jedermann ihrer Frömmigkeit, Rechtschaffenheit, Güte, Sanftmut, Ordnungsliebe und Arbeitsamkeit wegen gerühmt worden seien. Dagegen waren auch sie alle geistig beschränkt, unkundig und unwissend in allem, was sie nicht zunächst betraf, und dem albernsten und finstersten Pöbelaberglauben ergeben. Sie sahen überall um ihre einsame Mühle Gespenster und witterten das Treiben von Hexen. So galt ihnen die Frau des Tagelöhners Wagner für eine Unholde, und der jüngste Sohn Friedrich gab sich während der Untersuchung alle Mühe, den Richter davon zu überzeugen. Er hatte ihr einst etwas abgeschlagen, und dafür empfand er in der nächsten Nacht ein entsetzliches Drücken, die Hexe lag auf ihm. Ein andermal zog sie, wie er berichtete, um einen Heuschober, den sie vom Platze bewegen wollte, Kreise mit ihrem Rechen und sprach unverständliche Worte. Da erhob sich ein Wirbelwind, faßte den Heuschober, hob ihn hoch in die Luft und führte ihn so weit mit sich fort, als seine Augen reichen konnten. Da alle übrigen Heuschober auf ihrem Platze blieben, so mußte das offenbar durch Zauberkraft bewirkt worden sein.

      Ganz anders wurde über den toten Müller geurteilt. Im Gegensatz zu seiner Familie stand er im Rufe eines verständigen und seinen Verhältnissen nach ziemlich gebildeten Mannes. Er hielt seine Kinder zur Schule an und empfing des Jahres regelmäßig zweimal das Abendmahl. Er galt bis zu einem gewissen Punkte für sehr wirtschaftlich. Aber auch in seinen Gemütsanlagen war er das gerade Gegenstück seiner gutmütigen Frau und seiner wohlgearteten Kinder. Seine Rauheit, Herrschsucht, sein unbezähmbarer Jähzorn sind schon angedeutet worden, und aus der später folgenden Erzählung werden wir ein vollständiges Bild dieses gefährlichen Mannes gewinnen. Seine knickerhafte Sparsamkeit erfuhr nur in einem Punkte eine Ausnahme, da nämlich, wo es die Befriedigung seines wollüstigen Kitzels galt, der ihn noch im späten Älter nicht verlassen hatte.

      Er war von menschenfeindlicher Gemütsart, und man will die Keime dieser Anlage schon früh an ihm wahrgenommen haben. Als undankbarer Sohn hatte er oft frevlerisch die Hand gegen den eigenen Vater erhoben. Wenn er zornig war, hatte sogar mehrmals das Leben des alten Mannes in Gefahr geschwebt, und dieser hatte sich hinter Schlössern und Riegeln gegen den bösen Sohn schützen müssen. Der böse Sohn wurde ein ebenso böser Gatte und Vater. Er behandelte Frau und Kinder nur wie Geschöpfe, die bestimmt waren, ihm zu dienen und unter seiner Willkür zu leiden. Wie treu und fleißig ihm die Kinder auch dienten, sobald sie aus der Schule entlassen waren, so behandelte er sie doch mehr wie faule Knechte und schlechte Mägde als wie Glieder seiner Familie. Sie gingen in zerlumpten Kleidern einher und litten oft am Nötigsten Mangel, wenn er ausging und mehrere Tage fortblieb, ohne ihnen Geld zu ihrem Unterhalt zurückzulassen. Sein durch jede geringfügige Kleinigkeit erregter Zorn äußerte sich in Mißhandlungen, die, alle Grenzen hausväterlicher Rechte überschreitend, in wirkliche Verbrechen ausarteten.

      Ein Tagelöhner, der vor vielen Jahren bei dem Schwarzmüller gedient hatte, bekundete, der Meister habe keinen Tag vorübergehen lassen, ohne daß er mit seiner Frau oder seinen damals noch


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