Das beste von Nikolai Gogol. Nikolai GogolЧитать онлайн книгу.
Die durchsichtige Schöne erbebte. »Wo ist jetzt deine Pani?«
»Meine Pani Katerina ist eben eingeschlafen, und ich flatterte freudig empor und flog davon. Schon lange wollte ich meine Mutter sehen. Ich war plötzlich wieder fünfzehn Jahre alt und so leicht wie ein Vöglein. Warum hast du mich gerufen?«
»Weißt du noch, was ich dir gestern gesagt habe?« fragte der Zauberer so leise, daß Pan Danilo es kaum hören konnte.
»Ich weiß es noch. Aber was gäbe ich wohl darum, um es wieder zu vergessen. Die arme Katerina! Sie weiß vieles von dem nicht, was ihre Seele weiß.«
– Das ist Katerinas Seele! – sagte sich Pan Danilo; aber er wagte noch immer nicht, sich zu rühren.
»Tu Buße, Vater! Ist es dir denn nicht entsetzlich, daß nach jedem deiner Morde die Toten aus den Gräbern steigen?«
»Du kommst schon wieder mit diesen Dingen!« unterbrach sie der Zauberer zornig. »Ich werde meinen Willen durchsetzen, ich werde dich zwingen, das zu tun, was ich von dir verlange. Katerina wird mich lieben! …«
»Du bist ein Ungeheuer und nicht mein Vater!« stöhnte sie. »Nein, du wirst deinen Willen nicht durchsetzen! Mit deinen höllischen Zauberkünsten kannst du freilich meine Seele heraufbeschwören, um sie zu quälen; aber nur Gott allein kann sie zwingen, ihm zu Willen zu sein. Nein, solange ich in ihrem Leibe bin, wird sich Katerina niemals zu einer so verruchten Tat entschließen. Vater! Die Stunde des Gerichts ist nahe! Und wenn du auch nicht mein Vater wärest, niemals würdest du mich zwingen können, meinem lieben, treuen Mann untreu zu werden. Und selbst wenn mir mein Mann nicht so lieb und treu wäre, würde ich ihn niemals betrügen: Gott liebt die meineidigen und treulosen Seelen nicht.«
Da richtete sie ihre blassen Augen auf das Fenster, hinter dem Pan Danilo saß, und starrte unverwandt hinaus …
»Wo schaust du hin? Wen siehst du dort?« schrie der Zauberer.
Das Luftgespenst Katerinas erbebte. Pan Danilo war aber schon längst wieder auf der Erde und schlich mit seinem treuen Stetzko in seine Berge. – Furchtbar, furchtbar! – sagte er zu sich selbst, und eine ungewohnte Angst erfüllte sein Kosakenherz. Bald war er wieder auf seinem Hofe, wo die Kosaken noch fest schliefen, außer einem einzigen, der die Pfeife rauchend Wache hielt. Der Himmel war ganz mit Sternen besät.
V
»Wie gut tatest du, daß du mich wecktest!« sprach Katerina, indem sie sich mit dem gestickten Ärmel ihres Hemdes die Augen rieb und den vor ihr stehenden Mann vom Scheitel bis zu den Füßen betrachtete. »Welch einen schrecklichen Traum habe ich wieder gehabt! Wie schwer atmet meine Brust! Ach! … Es war mir, als müßte ich sterben …«
»Was war das für ein Traum? Vielleicht dieser?« Und Burulbasch erzählte seiner Frau alles, was er gesehen.
»Wie hast du das erfahren, mein Gemahl?« fragte Katerina erstaunt. »Aber nein, vieles von dem, was du erzählst, ist mir unbekannt. Nein, mir träumte gar nicht, mein Vater habe meine Mutter ermordet; auch von den Toten träumte mir nicht. Nein, Danilo, du erzählst es nicht richtig. Ach, so schrecklich ist mein Vater!«
»Es ist auch kein Wunder, daß du im Traume vieles nicht gesehen hast. Du weißt auch nicht den zehnten Teil von dem, was deine Seele weiß. Weißt du denn, daß dein Vater der Antichrist ist? Erst im vorigen Jahre, als ich im Bunde mit den Polen gegen die Krimer Tataren ins Feld zog (damals hielt ich es noch mit diesem treulosen Volke), sagte mir der Abt des Bruderklosters (und der ist ein heiliger Mann, Weib!), der Antichrist habe die Gewalt, die Seele jedes Menschen zu sich zu beschwören; denn wenn der Mensch einschläft, schwebt seine Seele in Freiheit und flattert mit den Erzengeln um Gottes Thronsaal herum. Das Gesicht deines Vaters gefiel mir schon auf den ersten Blick nicht. Hätte ich gewußt, daß du einen solchen Vater hast, so hätte ich dich nicht geheiratet. Ich hätte dich verlassen und auf meine Seele nicht die Sünde geladen, mit der Brut des Antichrist verschwägert zu sein.«
»Danilo!« sagte Katerina. Sie bedeckte ihr Gesicht mit den Händen und schluchzte. »Habe ich denn etwas gegen dich verbrochen? Habe ich dich je verraten, geliebter Mann? Womit habe ich deinen Zorn auf mich gezogen? Habe ich dir nicht treu gedient? Habe ich denn je ein Wort gesagt, wenn du angezecht von einem Trinkgelage heimkamst? Gebar ich dir nicht den schwarzbrauigen Sohn? …«
»Weine nicht, Katerina; jetzt kenne ich dein Herz und werde dich um nichts in der Welt verlassen. Alle Sünden sind bei deinem Vater.«
»Nein, nenne ihn nicht meinen Vater! Gott sei mein Zeuge, ich sage mich von ihm los, ich sage mich von meinem Vater los! Er ist gottlos, und er ist der Antichrist! Mag er zugrunde gehen, mag er ertrinken – nie werde ich ihm die Hand zur Rettung reichen; mag er an einem schleichenden Gift verdorren, nie werde ich ihn mit Wasser laben. Du bist mir der Vater!«
VI
Im tiefen Verliese Pan Danilos sitzt hinter drei Schlössern, in eiserne Ketten geschmiedet, der Zauberer; fern über dem Dnjepr steht seine teuflische Burg in Flammen, und blutrote Wellen branden und lecken an den uralten Mauern. Nicht wegen Zauberei, nicht wegen seiner gottlosen Taten sitzt der Zauberer im tiefen Verlies; dafür hat er sich vor Gott allein zu verantworten. Wegen heimlichen Verrats sitzt er dort, wegen seiner Verschwörung mit den Feinden des rechtgläubigen Russenlandes, das ukrainische Volk an die römischen Ketzer zu verschachern und alle Christenkirchen zu verbrennen. Finster ist der alte Hexenmeister; ein Gedanke, so schwarz wie die Nacht, hat sich in seinem Kopf festgesetzt; nur noch einen Tag hat er zu leben, und morgen muß er der Welt Ade sagen: morgen erwartet ihn der Tod. Aber es ist kein leichter Tod, der ihn erwartet: es wäre noch eine Gnade, wenn man ihn bei lebendigem Leibe in einem Kessel kochen oder von ihm seine sündige Haut schinden würde. Finster läßt der Hexenmeister seinen Kopf sinken. Vielleicht tut er schon Buße vor seiner Todesstunde; seine Sünden sind aber nicht so, daß Gott ihm vergeben könnte. Hoch oben über seinem Kopfe ist ein schmales, mit Eisenstäben vergittertes Fenster. Mit den Ketten rasselnd, erhebt er sich zum Fenster, um zu schauen, ob seine Tochter nicht vorbeikäme. Sie trägt ja keinen Groll nach und ist mild wie eine Taube: vielleicht hat sie Erbarmen mit dem Vater? … Aber niemand läßt sich blicken. Unten zieht die Straße vorbei; aber auch auf der Straße ist niemand zu sehen. Noch tiefer unten braust der Dnjepr; er kümmert sich aber um niemand: er tobt, und traurig lauscht der Gefangene dem dumpfen Tosen.
Da zeigt sich jemand auf der Straße – es ist ein Kosak! Schwer seufzt der Gefangene auf. Und wieder ist alles leer. Doch da nähert sich jemand den Mauern … ein grünes Überkleid flattert im Winde … ein goldener Kopfputz in Gestalt eines Schiffchens glänzt in der Sonne … Sie ist es! Er drängt sich noch näher zum Fenster. Da ist sie schon ganz nahe …
»Katerina! Tochter! Erbarme dich, reich mir Almosen! …«
Sie bleibt stumm, sie will nicht hören, sie richtet keinen Blick auf den Kerker; schon ist sie vorübergegangen und verschwunden. So öde und leer ist die Welt, traurig braust der Dnjepr; Trauer erfüllt jedes Herz; kennt aber auch der Zauberer diese Trauer?
Der Tag neigt sich dem Abende zu. Schon sinkt die Sonne; schon ist sie verschwunden. Es ist Abend; kühl wird es, irgendwo brüllt ein Ochse; von irgendwo schallen gedämpfte Töne; Menschen gehen vergnügt plaudernd von ihrer Arbeit heim. Über den Dnjepr gleitet ein Kahn … Wer kümmert sich um den Gefangenen? Am Himmel leuchtet die silberne Sichel auf; da kommt wieder jemand über die Straße, aus der anderen Richtung; schwer ist es im Dunkeln, etwas zu erkennen; es ist Katerina, die heimkehrt.
»Tochter! Um Christi willen! Selbst das grausame Wolfsjunge zerfleischt seine Mutter nicht – Tochter, sieh deinen Vater doch nur an!«
Sie hört nicht und geht weiter.
»Tochter, um deiner unglücklichen Mutter willen! …«
Sie bleibt stehen.
»Komm, mein letztes Wort zu vernehmen!«
»Warum rufst du mich, du Gottloser? Nenne mich nicht deine Tochter. Zwischen uns ist keine Verwandtschaft. Was willst du von mir um meiner unglücklichen Mutter willen?«
»Katerina! Mein Ende ist nahe; ich weiß, dein Mann will mich an den Schweif einer Stute binden und von ihr übers