JET. Russell BlakeЧитать онлайн книгу.
Hingabe verloren.
Die Glocke am Eingang des kleinen Internet-Cafés erklang und lenkte Mayas Aufmerksamkeit ruckartig von ihrem PC-Bildschirm auf dem Schreibtisch hinten im Büro weg. Träge wischte sie sich das lange schwarze Haar aus dem Gesicht, klickte seufzend mit der Maus und nahm die auf dem Monitor angezeigte Uhrzeit zur Kenntnis. Seit über einer Stunde war kein Besucher gekommen und sie wollte den Laden eigentlich gleich schließen. Ihr Mitarbeiter war schon um fünf gegangen, damit er die Party auf keinen Fall verpasste, und hatte es ihr überlassen, zum Feierabend sauberzumachen. Inzwischen, vier Stunden später, gab es nur noch wenig Hoffnung auf weiteren Umsatz, da die ganze Stadt schon im Party-Modus war. Jeder, der unterwegs war, hatte jetzt handfestere Arten der Unterhaltung im Kopf, als solche, die man im Cyberspace finden konnte.
Als sie sich durch den Perlenvorhang schob, der die hinteren Räume vom Kundenbereich trennte, baumelte eine Schlinge über ihrem Kopf. Sie konnte gerade noch rechtzeitig die linke Hand heben, um zu verhindern, dass sich die Schlaufe um ihren Hals zuzog. Sie konnte die Kraft ihres Angreifers spüren, als der Draht in ihre Hand schnitt, worauf sie ihm instinktiv mit voller Wucht auf den Fuß trat, um ihn so zu schwächen. Hätte Maya ihre Stiefel angehabt, hätte sie ihm den Mittelfußknochen gebrochen, mit ihren Tennisschuhen aber entlockte ihm ihr Versuch nur ein Ächzen und sorgte lediglich für eine vorübergehende Lockerung des tödlichen Drucks.
Blut rann ihr über das Handgelenk, als sie zurücksprang und ihren Angreifer gegen den Tresen aus Granit stieß, auf dem eine Reihe Monitore standen. Einer der Bildschirme fiel nach kurzem Taumeln auf den Boden und zerbrach, als sie bei den Computern nach etwas tastete, das sie als Waffe gebrauchen konnte.
Sie bekam den Hals einer Flasche Fanta zu fassen, welche sie nach hinten schwang, wo sie seinen Kopf vermutete. Die Flasche traf ihr Ziel mit einem zufriedenstellenden klonk, worauf sie sie erneut schwang, diesmal mit dem Ergebnis, dass die Flasche an seinem Kopf zerbarst. Sie blendete den Schmerz aus, den die Schlinge verursachte, und stach hinter ihrem Kopf mit dem scharfkantigen Ende der zerbrochenen Flasche immer wieder um sich, bis sie einen unterdrückten Schrei hörte und sich ein warmer Schauer über ihr Genick ergoss. Der Griff um ihren Hals lockerte sich, sie wirbelte herum und hob gleichzeitig geschickt ihr Knie an, während sie die Schlinge wegschleuderte. Ihr Bein traf auf das weiche Gewebe seiner Leiste und sie erhaschte einen Blick auf das kalte Gesicht eines Mannes mittleren Alters, aus dessen aufgeschnittener Wange und rechtem Auge das Blut in Strömen floss. Er boxte mit der Faust nach ihr, aber sie duckte sich nach rechts weg und er schlug weit ins Leere. Erneut hackte sie mit der Flasche nach ihm, täuschte den Angriff aber nur vor und trat ihm stattdessen mit aller Kraft in den Bauch.
Die Beine des Angreifers knickten ein, er fiel hin, schlug sich seinen bereits übel zugerichteten Kopf am Tresen an und fiel auf eines seiner Knie. Benommen griff er in die Hosentasche und zog ein Springmesser hervor. Die Klinge schnappte auf. Er holte aus. Sie wich dem Messer aus und trat ihn erneut. Diesmal war er darauf gefasst; sie merkte, wie er seine gestählten Bauchmuskeln anspannte, um dem Tritt standzuhalten. Als er wieder gegen den Tresen geschmettert wurde, schleuderte sie ihm die Flasche entgegen, dann schnappte sie sich einen der Flachbildschirme und schlug ihn mit Schwung gegen seinen Kopf, wobei sie seinen Wangenknochen traf. Der Bildschirm zersplitterte, als sie unaufhörlich damit zuschlug und brutal bearbeitete, was von seinem Gesicht noch übrig war.
Trotzdem hielt er das Messer weiter fest in der Hand.
Er warf sich gegen sie, und sie fühlte einen stechenden Schmerz, als sich die Klinge in ihr Kreuz bohrte, obwohl sie mit einer Drehung auszuweichen versuchte. Sie trat ihn noch einmal mit dem Knie, zerrte eine Maus aus dem Haufen Computerschrott und nahm den Mann mit dem Kabel in den Würgegriff.
Die Muskeln in ihren Armen traten hervor, als sie an beiden Enden des Kabels zog, bis die Messerangriffe, die anhielten, obwohl sie außer Reichweite war, langsam schwächer wurden. Maya kümmerte sich nicht um das Blut, das aus dem Schnitt in ihrer linken Hand strömte, als sie sich anstrengte, ihren Würgegriff aufrechtzuerhalten, bis der Killer sichtlich kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren.
Als ihm klar wurde, dass er den Kampf verlieren würde, befreite er sich und riss ihr das Mauskabel aus der Hand. Sie rannte zur Registrierkasse und hoffte, eine der schweren Metallkannen zu fassen zu kriegen, in denen sie sonst Wasser und Saft servierte, aber er stellte ihr rasch ein Bein, wodurch sie stürzte und gegen die Kasse knallte. Darauf wirbelte er herum und stieß sich kraftvoll von der Kasse ab, um mit dem Messer auf sie loszustürmen. Sie wusste, dass er vor lauter Blut im Gesicht nicht mehr gut sehen konnte, aber das half ihr nun auch nichts mehr, da sie ihren Schwung verloren hatte und er am Zug war.
Er schwang wieder mit dem Messer nach ihr, erwischte ihr flatterndes Shirt aber verfehlte die Rippen. Sie drehte sich herum und tastete nach der Schere, die immer bei der Kasse lag, aber ihre Finger fanden einen anderen, vertrauten Gegenstand. Ihre Brust bebte vor Anstrengung, aber sie bekam das Objekt zu fassen und schlug es mit aller Gewalt gegen seinen Kopf.
So überrascht wie verdutzt riss er die Augen auf, bevor er zu Boden fiel und krampfartig zuckte.
Sie beobachtete seinen Todeskampf, den Blick auf den Sockel des Kassenzettelhalters gerichtet, dessen fünfzehn Zentimeter langer Stachel sich durch das Ohr des Mannes in sein Gehirn gebohrt hatte. Als er aufhörte zu zucken, ließ sie sich zitternd in einen Drehstuhl fallen und verschaffte sich einen raschen Überblick über ihre Wunden. Ihre Hand war arg mitgenommen, aber wenn sie ihre Finger ausstreckte, bewegten sie sich noch, also war es keine schlimme Verletzung. Sie war sich sicher, dass auch die Wunde am Rücken nur oberflächlich war, obwohl sie ein leichtes Stechen spürte. Das meiste Blut an ihr aber stammte von dem Toten.
Einen Moment lang blieb sie keuchend sitzen, dann sah sie sich rasch um, nahm eines der T-Shirts, das sie in ihrem Shop an Touristen verkaufte und wickelte es sich um ihre Hand. Dann ging sie zurück zur Leiche ihres Angreifers, beugte sich hinunter und untersuchte seine Kleidung nach Waffen, aber außer der Schlinge und dem Messer hatte er nichts bei sich, nur eine Geldbörse mit einer Kreditkarte einer unbekannten Bank und ein paar hundert Dollar.
Ein Geräusch hinten im Laden brachte ihre Aufmerksamkeit blitzartig zurück. Jemand versuchte durch die verschlossene Hintertür einzudringen.
Sie wusste, wenn es Profis waren, würde die Tür sie nicht lange aufhalten können.
***
Jemand mit Handschuhen stieß die Tür auf, nachdem das Schloss sich nur als geringfügiges Hindernis für einen strategisch gut platzierten Schuss aus einer Pistole mit Schalldämpfer erwiesen hatte, der den Türpfosten mit einem gedämpften Splittern in Stücke riss. Der enge Flur war dunkel, weshalb sich der Eindringling vorsichtig durchtastete, bis er in dem kleinen Büro ankam. Er richtete die Waffe nach vorn, als er nach dem Lichtschalter an der Wand tastete. Er drückte ihn – nichts passierte.
Die Tür gegenüber von ihm flog krachend auf, als Maya so schnell, dass sie kaum zu sehen war, aus einem kleinen Lagerraum gestürmt kam. Er bekam ihre Ankunft gar nicht mit, als er seine Waffe fallen ließ und ihm Blut über den Rücken lief, nachdem sie ihm die Schere zwischen die Schulterblätter hindurch ins Herz gerammt hatte.
Nach ein paar Sekunden war alles vorbei. Der Leichnam des Eindringlings rutschte zu Boden und hinterließ eine wachsende dunkelrote Pfütze. Maya stieg über ihn hinweg, hob seine Pistole auf und sah sie sich an. Eine Beretta 92 mit vollem Magazin; ungefähr vierzehn Schuss waren übrig, wenn man den einen von der Türöffnung wegrechnete. Maßgefertigter Compact-Schalldämpfer. Die Waffe war extra umgebaut worden, damit der Schalldämpfer passte; es waren also weder Kosten noch Mühen gescheut worden – das war gar nicht gut.
Sie kroch zu dem Toten und durchsuchte ihn kurz, fand aber nichts, außer noch einer leeren Geldbörse mit ein paar hundert Dollar.
An der Hintertür erklang ein extrem schwaches Kratzen.
Maya warf sich auf den Boden im Flur und feuerte aus nächster Nähe auf die Silhouette im Türrahmen. Der Fremde ächzte, dann schlug ein schallgedämpfter Schuss in die Wand nahe ihres Kopfes. Sie schoss noch zweimal, dann fiel der Angreifer rückwärts nach draußen auf die Erde.
Sie wartete einen Herzschlag