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Der Untertan. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.

Der Untertan - Heinrich Mann


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— und Diederich ward sehr rot. Er stammeste Entschuldigungen. Es sei ihm bisher ganz unmöglich gewesen, das Studium zu unterbrechen. Aber der alte Buck zuckte die Achseln, als sei der Gegenstand unerheblich.

      Durch das Testament des Vaters war Diederich neben dem alten Buchhalter Sötbier zum Vormund seiner beiden Schwestern bestimmt. Sötbier belehrte ihn, dass ein Kapital von siebzigtausend Mark da sei, das als Mitgift der Mädchen dienen solle. Nicht einmal die Zinsen durften angegriffen werden. Der Reingewinn aus der Fabrik hatte in den letzten Jahren durchschnittlich neuntausend Mark betragen. „Mehr nicht?“ fragte Diederich. Sötbier sah ihn an, zuerst entjetzt, dann vorwurfsvoll. Wenn der junge Herr sich vorstellen könnte, wie sein seliger Bater und Sötbier das Geschäft herausgearbeitet hätten! Gewiss war es ja noch ausdehnungsfähig . . .

      ,,Na, is jut“, sagte Diederich. Er sah, dass hier vieles geändert werden müsse. Von einem Viertel von neuntausend Mark sollte er leben? Diese Zumutung des Verstorbenen empörte ihn. Als seine Mutter behauptete, der Selige habe auf dem Sterbebette die Zuversicht geäussert, in seinem Sohn Diederich werde er fortleben, und Diederich werde sich niemals verheiraten, um immer für die Seinen zu forgen, da brach Diederich aus. „Vater war nicht so krankhaft sentimental wie du,“ fchrie er, „und er log auch nicht.“ Frau Hessling glaubte den Seligen zu hören und duckte sich. Dies berutzte Diederich, um seinen Monatswechsel um fünfzig Mark erhöhen zu lassen.

      „Zunächst“, sagte er rauh, „hab’ ich mein Jahr abzudienen. Das kostet, was es kostet. Mit euren kleinlichen Geldgeschichten könnt ihr mir später kommen.“

      Er bestand sogar darauf, in Berlin einzutreten. Der Tod des Vaters hatte ihm wilde Freiheitsgefühle gegeben. Nachts freilich träumte er, der alte Herr trete aus dem Kontor, mit dem ergrauten Gesicht, das er als Leiche gehabt hatte — und schwitzend erwachte Diederich.

      Er reiste, versehen mit dem Segen der Mutter. Gottlieb Hornung und ihre gemeinsame Rosa konnte er fortan nicht brauchen und zog um. Den Neuteutonen zeigte er in angemessener Form seine veränderten Lebensumstände an. Die Burschenherrlichkeit war vorüber. Der Abschiedskommers! Trauersalamander wurden gerieben, die für Diederichs alten Herrn bestimmt waren, aber die auch ihm und seiner schönsten Blütezeit gelten konnten. Vor lauter Hingabe gelangte er unter den Tisch, wie am Abend seiner Aufnahme als Konkneipant; und war nun alter Herr.

      Arg verkatert stand er tags darauf, inmitten anderer jungen Leute, die alle, wie er selbst, ganz nackt ausgezogen waren, vor dem Stabsarzt. Dieser Herr sah angewidert über all das männliche Fleisch hin, das ihm unterbreitet war; an Diederichs Bauch aber ward sein Blick höhnisch. Sofort grinsten alle ringsum, und Diederich blieb nichts übrig, als auch seinerseits die Augen auf seinen Bauch zu senken, der errötet war . . . Der Stabsarzt hatte seinen vollen Ernst zurück. Einem, der nicht so scharf hörte, wie es Vorschrift war, erging es schlecht, denn man kannte die Simulanten! Ein anderer, der noch dazu Levysohn hiess, bekam die Lehre: ,,Wenn Sie mich wieder mal hier belästigen, dann waschen Sie sich wenigstens!“ Bei Diederich hiess es:

      ,,Ihnen wollen wir das Fett schon wegkurieren. Vier Wochen dienst, und ich garantiere Ihnen, dass Sie aussehen wie ein Christenmensch.“

      Damit war er angenommen. Die Ausgemusterten fuhren so schnell in ihre Kleider, als brennte die Kaserne. Die für tauglich Befundenen sahen einander prüfend von der Seite an und entfernten sich zaudernd, als erwarteten sie, dass eine schwere Hand sich ihnen auf die Schultern lege. Einer, ein Schauspieler mit einem Gesicht, als sei ihm alles eins, kehrte um, stellte sich nochmals vor den Stabsarzt hin und sagte laut, mit sorgfältiger Aussprache: ,,Ich möchte noch hinzufügen, dass ich homosexuell bin.“

      Der Stabsarzt wich zürück, er war ganz rot. Stimmlos sagte er: „Solche Schweine können wir allerdings nicht brauchen.“

      Diederich drückte den künftigen Kameraden seine Entrüstung aus über ein so schamloses Versahren. Dann Sprach er noch den Untecoffizier an, der vorher an der Wand seine Körperlänge gemessen hatte, und beteuerte ihm, dass er froh sei. Trotzdem schrieb er nach Netzig an den praktischen Arzt Dr. Heuteufel, der ihn als Jungen im Hals gepinselt hatte: ob der Doktor ihm nicht bescheinigen wolle, dass er skrofulös und rachitisch sei. Er könne sich doch nicht ruinieren lassen mit der Schinderei. Aber die Antwort lautete, er solle nur nicht kneifen, das Dienen werde ihm trefflich bekommen. So gab Diederich denn sein Zimmer wieder auf und fuhr mit seinem Handkoffer in die Kaserne. Wenn man schon vierzehn Tage dort wohnen musste, konnte man so lange die Miete sparen.

      Sofort ging es mit Reckturnen, Springen und anderen atemraubenden Dingen an. Kompagnieweise ward man in den Korridoren, die „Rayons“ hiessen, ,,abgerichtet“.Leutnant von Kullerow trug eine unbeteiligte Hochnäsigkeit zur Schau, die Einjährigen betrachtete er nie anders als mit einem zugekniffenen Auge. Plötzlich schrie er: ,,Abrichter!“ und gab den Unteroffizieren eine Instruktion, worauf er sich verachtungsvoll abwandte. Beim Exerzieren im Kasernenhof, beim Gliederbilden, Sichzerstreuen und Platzwechseln ward weiter nichts beabsichtigt, als die ,,Kerls“ umherzuhetzen. Ja, Diederich fühlte wohl, dass alles hier, die Behandlung, die geläufigen Ausdrücke, die ganze militärische Tätigkeit vor allem darauf hinzielte, die persönliche Würde auf ein Mindestmass herabzusetzen. Und das imponierte ihm; es gab ihm, so elend er sich befand, und gerade dann, eine tiefe Achtung ein und etwas wie selbstmörderische Begeisterung. Prinzip und Ideal war ersichtlich das gleiche wie bei den Neuteutonen, nur ward es grausamer durchgeführt. Die Pausen der Gemütlichkeit, in denen man sich seines Menschentums erinnern durfte, sielen fort. Jäh und unabänderlich sank man zur Laus herab, zum Bestandteil, zum Rohstoff, an dem ein unermesslicher Wille knetete. Wahnsinn und Verderben wäre es gewesen, auch nur im geheimsten Herzen sich aufzulehnen. Höchstens konnte mant, gegen die eigene Überzeugung, sich manchmal drücken. Diederich war beim Laufen gefallen, der Fuss tat ihm weh. Nicht, dass er gerade hätte hinken müssen, aber er hinkte und durfte, wie die Kompagnie ,,ins Gelände“ marschierte, zurückbleiben. Um dies zu erreichen, war er zunächst an den Hauptmann selbst herangetreten. ,,Herr Hauptmann, bitte —“ Welche Katastrophe! Er hatte in seiner Ahnungslosigkeit vorwitzig das Wort an eine Macht gerichtet, von der man stumm und auf den Knien des Geistes Befehle entgegenzunehmen haffe! Der man sich nur ,,vorführen“ lassen konnte! Der Hauptmann donnerte, dass die Unteroffiziere zusammenliefert, mit Mienen, in denen das Entsetzen vor einer Lästerung stand. Die Folge war, dass Diederich stärker hinkte und einen Tag länger vom Dienst befreit werden musste.

      Unteroffizier Vanselow, der für die Untat seines Einjährigen verantwortlich war, sagte zu Diederich nur: ,,Das will ein gebildeter Mensch sein!“ Er war es gewohnt, dass alles Unheil von den Einjährigen kam. Vanselow schlief in ihrem Mannschaftszimmer hinter einem Verschlag. Nach dem Lichtlöschen zofeten sie, bis der Unteroffizier empört dazwischenschrie: ,,Das wollen gebildete Leute sein!“ Trotz seiner langen Ersahrung erwartete er immer noch von den Einjährigen mehr Geist und gute Haltung als von den anderen Leuten und war immer neu enttäuscht. In Diederich sah er keineswegs den Schlimmsten. Das Bier, das einer zahlte, entschied nicht allein über Vanselows Meinung. Noch mehr sah Panselow auf den soldatischen Geist freudiger Unterwerfung, und den hatte. Diederich. In der Instruktionsstunde konnte man ihn den anderen als Muster vorhalten. Diederich zeigte sich ganz erfüllt von den militärischen Idealen der Tapferkeit und der Ehrliebe. Was die Abzeichen und die Rangordnung betraf, so schien der Sinn dafür ihm angeboren. Vanselow sagte: „Jetzt bin ich der Herr Kommandierende General“, und auf der Stelle benahm Diederich sich, als glaubte er es. Wenn es aber hiess: „Jetzt bin ich ein Mitglied der königlichen Familie“, dann war Diederichs Verhalten so, dass es dem Urteroffizier ein Lächeln des Grössenwahns abnötigte.

      Im Privatgespräch in der Kantine eröffnete Diederich seinem Vorgesetzten, dass er voni Soldatenleben begeistert sei. „Das Ausgehen im grossen Ganzen!“ sagte er. Er wünsche sich nichts, auf der Welt, als ganz dabei zu bleiben. Und er war aufrichtig — was aber nicht hinderte, dass er am Nachmittag, bei den Übungen „im Gelände“, keinen anderen Wunsch mehr kannte, als sich in den Graben zu legen und nicht mehr vorhanden zu sein. Die Uniform, die ohnedies, aus Rücksichten der Strammheit, zu eng geschnitten war, ward nach dem Essen zum Marterwerkzeug. Was half es, dass der Hauptmann, bei seinen Kommandos, sich unsäglich kühn und kriegerisch auf dem Pferd herumsetzte, wenn man selbst, rennend und schnaufend, die Suppe unverdaut im Magen schlenkern


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