Die kleine Stadt. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
bleiben an jenen Häusern die Fensterläden geschlossen?“ fragte er zwischendurch. Da man ihn ansah, gestand der Apotheker:
„Das hier ist meins. Aber auch die Frau des Perückenmachers Nonoggi handelt, wie Sie sehen, Cavaliere, indem sie ihre Läden schließt, im Sinne des Don Taddeo, der die Kunst verbieten möchte. O! nicht meine Frau allein: eine ganze Partei hält zu ihm. Sie werden sehen.“
„Wir nehmen den Kampf auf!“ verhieß der Advokat. „Den Schlüssel wird er herausgeben: und sollte ich für die Stadt Prozesse führen, die mich mein Leben lang auf den Beinen halten, er wird den Schlüssel herausgeben. Ich selbst, der Advokat Belotti, werde eure sämtlichen Choristinnen in den Turm führen, werde ihnen den Eimer zeigen, und nicht einmal der heilige Agapitus selbst soll mich hindern!“
„Sprechen Sie darüber mit Ihrem Bruder!“ riet Camuzzi. „Er hat einen gesunden Kopf, und dort kommt er; es ist zehn Uhr.“
Der Pächter ritt auf seinem trippelnden Eselchen zwischen zwei großen Körben die Rathausgasse herauf. Beim Rathaus nahm er zuerst den blauen Klemmer, dann den glockenförmigen Strohhut ab und schwenkte beide. Vor dem Café stieg er ab.
„Guten Tag, die Gesellschaft“, sagte er.
„Der Advokat behauptet . . .“ begann Camuzzi.
„Ich behaupte nichts“, sagte der Advokat rasch.
Der Pächter betrachtete ihn mitleidig.
„Ah! der Advokat. Was will er schon wieder. Pappappapp . . .“
Er ahmte in einer gehässigen Tonart die Sprechweise seines bedeutenden Bruders nach. Der Advokat lehnte sich vornehm zurück.
„Das sind Dinge, die ein Mann wie du nicht beurteilen kann.“
„Nun gut, man schweigt“, erwiderte Galileo. „Aber wer sind denn die da?“ — und er rückte den Finger von einem der drei Fremden auf den andern. Bei der Vorstellung scharrte er umständlich mit den Füßen, stöhnte zwischen den Komplimenten und erleichterte sich, als er wieder auf dem Stuhl saß, durch gewaltiges Ausspeien. Er hielt die kurzen fetten Schenkel weit auseinander und ließ die kleinen goldbraunen Fäuste dazwischen herabhängen. Unter seinen weißen Brauen blinzelte er alle verächtlich prüfend an, verzog stumm den Mund zu dem, was sie sagten, und verlangte schließlich, herauspolternd, als sei seine Geduld erschöpft, sein Nachbar solle, da er schon ein Künstler sei, Zauberkünste zum besten geben oder einen Witz. Der alte Tenor stand auf und verwahrte sich. Er sei seit fünfzig Jahren Künstler, aber eine solche Zumutung —. Sein ganzes Gesicht, jede Runzel darin, zitterte, als sollte er in Tränen ausbrechen, und er hatte beim Bewegen seiner faltigen Hände den Brillanten sichtlich ganz vergessen.
„Was will denn der?“ fragte Galileo. „Was für ein Dummkopf! Pappappapp!“
Er machte dieselbe alberne Stimme, mit der er den Advokaten nachgeahmt hatte. Der Cavaliere Giordano traf Anstalten, sich zu entfernen. Der Advokat wendete ihn, mit zärtlichem Respekt, immer wieder zurück.
„Tun Sie uns das nicht an, Cavaliere! In keiner Stadt ist Ihr Ruhm größer als in unserer. Mißverstehen Sie meinen Bruder nicht, auch er verehrt Sie. Galileo, unsere Schwester hat nach dir gefragt, eine Ziege ist krank.“
„Warum hast dus nicht gleich gesagt? Aber die Advokaten verstehen nichts.“
Er wischte sich den Mund mit der Hand, nahm das Eselchen, das mit der Schnauze an seinem Nacken stand, und führte es in die Treppengasse. Der Advokat fuhr mit Beschwörungen fort.
„Cavaliere, ein Mann wie Sie ist über solche Miseren erhaben. Ein Bauer hat Sie nicht mit der schuldigen Achtung behandelt: was weiter? Denn mein Bruder ist nur ein Bauer. Um sieben legt er sich schlafen, um ein Uhr nachts reitet er aufs Feld, und um zehn, wenn die Hitze beginnt, kehrt er heim. In der Zwischenzeit spielt er Mora mit seinesgleichen. Unter dem Papst ging er zur Messe, jetzt freilich nicht mehr. Sein Geist ist trotzdem wenig kultiviert, und er läßt sich den Ausfall der Ernte von der Hühnerlucia, einer verrückten Alten, vorhersagen. Aber —“
Er ließ den Sänger los.
„— schweigen wir von diesen Kleinigkeiten. Der Augenblick, Cavaliere, ist ernst. Ihr Herren, ich sehe auf dem Corso den Priester erscheinen.“
Er setzte sich, schwach, wie es schien, vor Erregung. Auch der alte Giordano nahm seinen Stuhl wieder ein. Das Erlittene überwältigte ihn nachträglich auf einmal ganz. Er sank zusammen und murmelte:
„Seit fünfzig Jahren Künstler . . .“
„Er hat bei sich die Baronin Torroni“, sagte Polli.
„Zu seiner Bedeckung“, setzte der Apotheker hinzu.
„Was tut das,“ — und der Advokat sprang auf. „Ich werde der Baronin einfach erklären, daß ich mit diesem Priester —“ „Er verabschiedet sich, sie betritt ihr Haus.“
Der alte Tenor fuhr jäh auf:
„Ich, den seine Exzellenz Cavour zum Ritter der Krone von Italien gemacht hat!“
Sie hörten ihn nicht. Der Advokat stand sprungbereit. Wie er ihn erblickte, verließ der Priester, zusammenzuckend, seine Linie. Der Advokat schoß los und schnitt ihm den Weg ab.
„Gefangen“, bemerkte der Apotheker.
„Und ich habe ein Haus in Florenz!“
Dabei setzte der Cavaliere Giordano wütend sein Glas hin. „Was kümmern mich alle diese Armseligkeiten? Mein Haus ist voll der Erinnerungen an eine ruhmreiche Laufbahn, der Geschenke von Fürsten und Damen . . .“
„Don Taddeo, Ihr Diener“, hörte man den Advokaten sagen. Er hob den Hut und schlug sogar mit dem Fuß aus. Der Priester grüßte ebenso höflich und sah ihn aus seinen roten Augen brennend an.
„Ein Wort, Don Taddeo, wenn es Ihnen nicht unangenehm ist! Ein unliebsamer Irrtum Ihrerseits . . .“
„Es ist kein Irrtum, mein Herr . . .“ und es war zu merken, daß der Priester kaum sprechen konnte. „Der Schlüssel: denn von ihm wollen Sie gewiß reden . . .“
„Freilich. Um Sie im Vertrauen auf Ihre Loyalität —“
„Zweifellos. Aber es handelt sich einfach darum, mein Herr, daß der Schlüssel von Rost zerfressen und kaum noch brauchbar war. Ich habe ihn dem Schlosser Fantapiè gegeben und einen neuen bei ihm bestellt.“
„Ah!“
Der Advokat brachte einen Laut hervor, der nicht heiser klang. Wie leicht mußte es ihm sein! Polli, Acquistapace und der Leutnant wiederholten: „Ah!“ — und auch der Bariton Gaddi machte: „Ah!“ Nello Gennari achtete nur auf den Cavaliere Giordano. Der berühmte Sänger war nach seinem verpufften Ausbruch ganz in sich zusammengefallen und sah alt aus: endlich unverhohlen alt, mit herabhängendem Kiefer, Augen, die greisenhaft stierten, und hilflosen Händen. Sein junger Gefährte dachte, und senkte finstere Blicke in die arme Gestalt:
„Ja, was tut er hier? Ein reicher, geehrter alter Mann — und läßt sich herbei, in einem schmutzigen Nest die Rüpel lustig zu machen! Aber er hat keine Stimme mehr; in den großen Städten wollen sie ihn nicht mehr; und da man, scheint es, in unserem Leben das Händeklatschen nie entbehren lernt, müssen es nun die Fäuste der Bauern besorgen, — wie man vielleicht die Mägde noch blenden kann, wenn einen die Herrinnen nicht mehr ansehen . . . So geht es zu bei uns. Wir treiben es weiter, wie auch ich es so lange trieb: immer kindisch weiter, armselig berauscht, ohne Anker, ohne den Mut, zu landen; — und eines Tages vor dem Café einer Landstadt, wo einem die Flöhe über die Füße springen, bemerkt man, wie weit man kam . . . Ich aber: o! niemals wird es mit mir dorthin kommen. Ich bin jung, und mein ganzes Leben soll Alba gehören. Ich werde sie von meiner Anbetung überzeugen, werde etwas tun, eine Handlung ein Wagnis, das sie mir gewinnt . . . Gefunden: aus dem Kloster; ich befreie sie aus dem Kloster! Wie sollte sie mich nicht lieben! Wir fliehen. Dann werfen wir uns dem Großvater zu Füßen . . . Ich bin vielleicht töricht und romantisch? Aber nichts, wenn