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Warnung vor Büchern. Erzählungen und Berichte. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.

Warnung vor Büchern. Erzählungen und Berichte - Ханс Фаллада


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einer Frage des Rechtsanwalts Samter zu einem Zusammenstoße zu kommen drohte, war alles im Handumdrehen in den verbindlichsten Formen erledigt. Wo sind die rauen Töne von gestern? Des Winters scharfe Winde wehen nicht mehr, ist der Frühling im großen Sitzungssaale eingezogen? Ach, es ist, als ob in einer arg neurasthenischen Familie ein hoher Besuch angekommen ist, alles benimmt sich, niemand zankt sich mehr, morgen, o morgen werden wir wieder unter uns sein!

      Das Publikum zerfällt in zwei Parteien. Die eine seufzt: Der arme Vorsitzende hat es so schwer! Die andere: Die unseligen Anwälte sind zu bedauern. Der unparteiische Beobachter schwankt zwischen einem einerseits, andererseits, [33]zwischen sowohl, als auch, und ihm fällt bei näherem Zuhören auf, dass in diesem Prozess die Verteidigung eine besondere Taktik anwendet.

      Gewiss, da ist noch ein junger Anwalt, der mit unendlichem Eifer dicke Bücher wälzt, Reichsgerichtsentscheidung auf Reichsgerichtsentscheidung zitiert und immer wieder erleben muss, dass all dies für die Leitung der Verhandlungen gar keine Verbindlichkeit besitzt. Der Reichsjustizminister hat ihr ja eben erst bestätigt, dass sie völlig nach eigenem Ermessen zu entscheiden hat.

      Doch andere Verteidiger haben längst eingesehen, dass auf dem formalen Wege nicht zum Ziel zu kommen ist. Es handelt sich ja nicht so sehr um die Straftat der Angeklagten, die ziemlich klar zutage liegen, da alle nach ihren ersten Verbrechen zusammengeklappt sind und wissentlich oder unwissentlich Komödie gespielt haben, es handelt sich hier darum, wie diese einzelnen Taten zu einer allgemeinen Gefahr ausgerufen worden sind, wie dieser ganze Prozess inszeniert worden ist, seine Aufbauschung, seine einseitig parteipolitische Frisierung, um den ganzen Fragenkomplex: Wie ist dieser Prozess »gemacht« worden? (Und: wer hat ihn gemacht?)

      Von Zeit zu Zeit gelangt der Verteidigung in dieser Hinsicht ein Vorstoß. Da taucht plötzlich eine seltsame Broschüre auf. Ist sie Poege von der Polizei zugesteckt worden und hat er aus ihr seine Aussagen abgeschrieben? Er behauptet es. Ist sie erst aufgrund der Aussagen von Poege verfasst worden? Ein Polizeibeamter behauptet es. Wie aber sind dann die Aussagen Poeges in die Hände des Broschürenverfassers gekommen?

      [34]Das taucht auf aus dem Wust, entschwindet ferner, versinkt.

      Da wird die Abschrift einer Krankengeschichte des Rausch aus dem Lazarus-Krankenhause vorgelesen. Und plötzlich stellt die Verteidigung fest, dass in dieser Abschrift an entscheidender Stelle Abschwächungen und Streichungen dem Urtext gegenüber vorgenommen sind. Der Kriminalinspektor Koppenhöfer hat eines Tages Rausch die Lichtbilder seiner Mörder vorgelegt, er hat ein mindestens dreiviertelstündiges Verhör mit ihm angestellt. Von diesem Tage an ist eine entschiedene Wendung zum Schlechten eingetreten, vier oder fünf Tage danach starb Rausch, selbst den Ärzten überraschend. Und gerade in dem Text der Krankengeschichte von diesem Tage finden sich redaktionelle Änderungen. Seltsam. Sehr seltsam!

      Es wäre von Interesse, einmal das Buch zu schreiben: Wie inszeniert man politische Prozesse, A. gegen rechts, B. gegen links. Es würde ein sehr phantastisches Buch abgeben, völlig romanhaft.

      5

      Richten die Angeklagten ihre Blicke auf das ihnen gegenüberliegende Fenster, so lesen sie in einem Wappen die Inschrift »Fidelitas«. Sie werden dies als eine wenig angebrachte Aufforderung zum Frohsinn ansehen. Und gibt es einmal wirklich Gelegenheit zum Lächeln, achtet niemand ihrer. Der Vorsitzende sagte: »Der Gedanke liegt allerdings [35]nahe, dass der Getötete, als ihm die Bilder der Täter vorgelegt wurden, diesen Ausspruch aus Rache getan hat.« Unbemerkt vorübergegangen.

      [36]Stahlhelm-Gemüs

      1

      Es ist nicht ganz leicht, mit dem ostelbischen Adel in Verkehr zu kommen. Er sitzt in seinen ländlichen Katen, die, sind sie zweistöckig, stets Schloss heißen, und verkehrt mit den Versippten und Verschwägerten. Und mit allen adligen ländlichen Kateninhabern ist er versippt und verschwägert. Kommt aber einer von außen und nun gar aus Mitteldeutschland, oh weh!

      Mein Lieber, dort ist doch alles rot! Und wenn Herr Bomst auch nicht rot sein mag, es muss ja auf ihn gewirkt haben, dass er immer solche Ansichten hat anhören müssen. Nichts für uns, mein Verehrter. Besser ist besser.

      Herr Bomst hat also umsonst seinen Zylinder aufgesetzt und umsonst den Frack angezogen. Man zeigte ihm die kalte Schulter. Aber Herr Bomst ist nicht umsonst aus Mitteldeutschland, speziell aus Sachsen. Herr Bomst ist helle. Da er nun einmal vergeblich auf die hochherrschaftlichen, herkömmlich mit Aloe geschmückten Rampen vorfuhr, denkt er: Nun müssen sie mir kommen.

      Und Bomst, der natürlich Offizier gewesen ist, entdeckt, dass die ländliche Jugend dringend nach Zusammenschluss lechzt. Er gründet eine Ortsgruppe des Stahlhelm. Das ist eine sehr einfache Geschichte. Er hängt sich zwei Stunden ans Telefon und klingelt alle großen Güter der Gegend an. Wozu gibt es landwirtschaftliche Beamte? Er lädt sie freundlich zu einer Vorbesprechung zwecks Gründung einer Ortsgruppe des Stahlhelm ein. Etwaige nationale [37]Bauernsöhne sind mitzubringen. Kann er den Herren nicht haben, nimmt er’s Gescherr.

      Und welcher landwirtschaftliche Beamte könnte solcher Lockung widerstehen? Bei einem Rittergutsbesitzer eingeladen! Kann man’s denn überhaupt riskieren, wegzubleiben? Weiß der Himmel, wie der Bomst mit dem eigenen Chef steht! Vierzehntägige Kündigung ist bei landwirtschaftlichen Beamten noch sehr Mode.

      So kommen sie alle. Und es lohnte sich wirklich. Es war, es war, nun, einfach kameradschaftlich herzlich. So ein gemütlicher Ton. Und die ältesten Feldzugsgeschichten, die kein Aas mehr hören wollte, an Bomst waren sie loszuwerden. Und es gab Wein. Und es gab Zigarren mit Leibbinde. Alle unterschrieben.

      Das dringende Bedürfnis war gestillt und die Ortsgruppe X des Stahlhelm gegründet.

      Die nächste Versammlung sah bereits anders aus. Erstens fand sie nicht mehr bei Herrn Bomst, sondern in irgendeinem Gasthof statt, wo jeder sich seinen Topp Bier selber kaufen musste, und zweitens erhob sich Herr Bomst und bat die Herren dringend, doch ja recht pünktlich zu sein. Jawohl, pünktlich auf die Minute. Es sei ein Unding, ihn eine ganze Viertelstunde wie heute warten zu lassen. Man sei hier zur Pflege des kameradschaftlichen Geistes, vor allem aber des militärischen Geistes. In diesen verrotteten Zeiten ...... Und unser oberster Kriegsherr ........

      Es war wunderbar. Und Herr Bomst konnte sich nun hinsetzen und dem Großgrundbesitz (mit Adel) Briefe schreiben, die Ortsgruppe sei gegründet und der Geehrte Herr Major oder Oberst oder General werde gebeten, als Mitglied.. Unterstützung.. nationale Pflicht ….

      [38]Herr Bomst kann ruhig schlafen, er hat den Anschluss gefunden.

      2

      Auch schlichtere Gemüter hegen die Ansicht, dass solche Stahlhelmortsgruppe noch weitere Aufgaben hat, als diese allwöchentlichen Zusammenkünfte in der Hinterstube eines Bierlokals. Ernste Pflichten liegen ihr ob. Die gewonnenen Feldzugserfahrungen sind zu erhalten und auszubauen. Das Wort Nachtübung fällt.

      Nun, warum eigentlich nicht Nachtübung? Die sämtlichen Ortsgruppen der Gegend werden mobil gemacht. Und damit die Sache für die jungen Leute abenteuerlicher sei, wird ausgesprengt, dass die Arbeiter der Kreisstadt – eine verworfene rote Band, ein Blutgeschwür (Blutgeschwür ist gar nicht übel, denkt mancher versonnen) – dass diese Rotte also beabsichtigt, die Leitung der Stadt zu ergreifen, das Rathaus mit Gewalt zu stürmen – in der kommenden Nacht. Pflicht sei … Erhaltung des Bestehenden ….

      Es war ein göttlicher Nachtmarsch. Sie marschierten 20 Kilometer und kamen vor die Stadt und standen in Büschen, denn die Arbeiter durften ja nichts merken. Und dann stellte es sich heraus, dass diese Gruppe auf die andere Seite der Stadt gehörte. Also marschierten sie wieder 10 Kilometer und standen wieder in Büschen und besahen die Stadt von der anderen Seite. Sie tat, was Landstädte nächtens tun: sie schlummerte. Da suchten sie Anschluss an die Nebengruppe und fanden sie nicht. Und dann fanden sie die Nebengruppe und dann war es die [39]falsche Nebengruppe. Und dann begann es zu dämmern und Herr Bomst teilte ihnen mit, dass die Arbeiter von der Aktion des Stahlhelm Kenntnis bekommen und sofort aus Angst ihre Aktion eingestellt hatten. Ein voller Erfolg!


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