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Warnung vor Büchern. Erzählungen und Berichte. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.

Warnung vor Büchern. Erzählungen und Berichte - Ханс Фаллада


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uns einig darüber, dass wir unsern Großtempler hören müssten. Und so ist denn auch der Besuch dieses Vortragsabends durch die Guttempler ein sehr guter gewesen. Aber dieser Abend sollte ja mehr sein. Er sollte für den Abstinenzgedanken werben und war nicht ohne Vorbedacht in das Hamburger Studentenheim verlegt worden. Die abstinenten Ärzte hatten gehofft, dass die Studentenschaft in großen Scharen kommen würde. Gerade unter den Studenten mit ihrem Verbindungs- und Korpswesen wurzelt ja ein Gutteil unserer deutschen Trinksitten, und man hatte da von der Leitung der Tagung gehofft, werbend und aufklärend wirken zu können.

      Leider hat man sich in dieser Hoffnung getäuscht. Die Studentenschaft ist, trotzdem die Vorträge in ihrem eigenen Heim veranstaltet wurden, ferngeblieben. Es scheint so, als ob diese Kreise jede Aufklärung von vorneherein ablehnen. Wenn sich auch gegen früher manches gebessert haben mag, so will die Studentenschaft – die farbentragende wenigstens –, nichts davon wissen, ihre alten Trinksitten, oder richtiger Trinkunsitten, aufzugeben.

      Ein Fehlschlag also, aber nicht der erste Fehlschlag: Grade unser Großtempler, Bruder Strecker, erzählte unter dem Thema »Alkohol und Studentenschaft« von einem Mann, der schon früher den Kampf gegen das unsinnige Trinken [48]der Studenten aufgenommen hatte und der ebenfalls nichts erreichte.

      Dieser Mann war der erste Rektor der 1811 gegründeten Berliner Universität und war der Philosoph und Vorkämpfer der Deutschen gegen die damalige französische Bedrückung: Johann Gottlieb Fichte.

      Als Fichte 1811 in seiner Rektoratsrede den Kampf gegen den Alkohol mit wissenschaftlichen Waffen forderte, hatte er schon bittere Gelegenheit gehabt, die Frage Alkohol in Verbindung mit der Studentenschaft zu studieren.

      1794 war Fichte auf Goethes Veranlassung an die Universität Jena berufen worden, dort sah er die Trinkgelage der Studenten, ihre Händel, ihre Mensuren, ihre Schlägereien. Er erkannte, dass dies alles unvereinbar mit den Zielen der Studentenschaft war, der Student sollte einmal, sei es als Gelehrter, als Richter, als Arzt, als Theologe, Führer und Beraten seines Volkes werden, es war ein Unding, dass diese künftigen Führer sich in ihren wichtigsten Entwicklungsjahren systematisch an den übermäßigen Alkoholgenuss gewöhnten. Gewöhnungen, deren Nachwirkungen viele von ihnen in ihrem ganzen Leben spüren würden.

      Fichte wandte sich nun mit flammendem Aufruf an die Studentenschaft und er erreichte, dass die begeisterten Musensöhne die Auflösung ihrer Trinkverbände beschlossen.

      Nun musste Fichte als Professor über diese wichtige Änderung an seiner Universität Jena seiner vorgesetzten Behörde berichten und deren Billigung und Weisung für seine weiteren Schritte einfordern. Damals, 1794, war Deutschland ja noch viel zerrissener als heute, 12 thüringischen [49]Landesregierungen gemeinsam gehörte die Universität Jena, an 12 Stellen hatte sich Fichte zu wenden, von 12 Stellen hatte er Antwort zu erwarten.

      Diese Antworten kamen nicht sehr rasch, blieben teilweise ganz aus. Und unterdes verrauchte das erster Feuer der Begeisterung. Wie es immer bei derartigen Gelegenheiten geschieht, wagten sich nun die Freunde des studentischen Trinkwesens wieder hervor, sie hetzten gegen Fichte, beschuldigten ihn, er wolle nur die akademischen Freiheiten der Studentenschaft beschneiden – die kostbare Freiheit, sich zu besaufen, nämlich –.

      Und diese Herren erreichten, dass Demonstrationen gegen Fichte vorgenommen wurden, ihm wurden die Fenster seiner Wohnung eingeworfen, ein nächtlicher Einbruch wurde in diese Wohnung versucht, an deren Folgen später sein erschreckter Schwiegervater stirbt, und schließlich musste Fichte noch 1795 ein Semester lang seine Lehrtätigkeit unterbrechen, bis sich die erregten Gemüter wieder ein wenig beruhigt hatten.

      Das war Fichtes erster Angriff gegen den Alkohol, auch sein Angriff 1811 hat keine sichtbareren Erfolge gehabt, und Sie haben gehört, dass auch an jenem Vortragsabend abstinenter Ärzte, von dem ich Ihnen erzähle, der Erfolg gleich Null war. Die Studentenschaft fehlte.

      Woran liegt das? Woher kommt es, dass das Interesse der breiten Öffentlichkeit, des Gebildeten wie des Einfachen, so unendlich schwer auf diese Dinge zu lenken ist? Woher kommt es, dass man immer wieder schlankweg ablehnt, uns auch nur anzuhören?

      Vielleicht ist die Antwort richtig, die ein anderer Redner jenes Abends, Professor Dr. Delbrück, der ehemalige Leiter [50]der Bremer Irrenanstalten, auf diese Frage gab. Vielleicht, ich weiß es nicht.

      Professor Delbrück ist ein alter Mitkämpfer unsers Ordens. Mit feinem Humor erzählte er, wie allmählich Schritt für Schritt der Gedanke der völligen Enthaltsamkeit vom Alkohol an Boden gewann. Noch als er in den achtziger Jahren des vorigen Jahrhunderts zum medizinischen Examen paukte, las er in seinen Lehrbüchern, das beste Mittel, dem Volk den Schnapsgenuss abzugewöhnen, sei die Verbreitung des Biertrinkens. Damals gab es auch schon eine Trinkerheilstätte in Deutschland, wie es in ihr aber zuging, kann man daraus ersehen, dass dort auch noch regelmäßige Bierabende für die Insassen veranstaltet wurden.

      Auch Professor Forel, unser mutiger Vorkämpfer, war nicht von vorneherein für den Gedanken der Totalabstinenz eingenommen. Delbrück erzählt von einem Erlebnis, das ihn bekehrte.

      Forel hatte Ende der 80er Jahre in seiner Irrenanstalt einen Alkoholkranken, der seine Anstalt ungeheilt verließ. Später schrieb dieser Patient einen Brief an Forel, in dem er spöttisch mitteilte, dass seine Heilung, die den hochgelehrten Herren Ärzten nicht geglückt sei, einem einfachen Schuster vom blauen Kreuz gelungen wäre, und das einzig wirksame Heilmittel hieße völlige Abstinenz.

      Als dann Anfang der 90er Jahre die Engländer ihre Irrenanstalten zum Teil abstinent machten, folgte Forel ihrem Beispiel. Nur zögernd, unter ständigen Kämpfen, schlossen die übrigen Anstalten sich an. Noch heute wird ja in vielen Krankenhäusern den Patienten zur »Stärkung« Kognak oder Wein gegeben, den werdenden und stillenden [51]Müttern Bier. Denn alle diese Getränke enthalten Kalorien und heute wird eben alles, was Kalorien enthält, für nahrhaft angesehen.

      Ich darf an dieser Stelle vielleicht einen Augenblick abschweifen und eine kleine Anekdote erzählen, die der dritte Redner jenes Vortragsabends, Dr. Bornstein-Berlin, uns erzählte.

      Also: Dr. Bornstein sitzt mit irgendeinem hohen Tier aus einem Ministerium in einer Berliner Gastwirtschaft. Der hohe Herr hat zwei Glas Kognak bestellt und kann ganz und gar nicht begreifen, dass Dr. Bornstein den Kognak verschmäht. »Aber mein lieber Herr Doktor«, sagt er schließlich, »Kognak ist nahrhaft, Kognak hat Kalorien!« – »Jawohl«, antwortet Dr. Bornstein schlagfertig, »und Benzin hat auch Kalorien. Ober, ein Glas Benzin für den Herrn Geheimrat!« –

      Ich sprach Ihnen davon, dass nur sehr langsam der Gedanke der Totalabstinenz an Boden gewann. Damals wurden schwere Kämpfe zwischen den sog. Mäßigen und den Total-Abstinenten – vor allem den Guttemplern – ausgefochten. Unser Orden war noch jung in Deutschland und stieß überall auf heftigsten Widerstand.

      1905 verschickte Professor Delbrück Fragebogen an sämtliche Irrenanstalten des deutschen Sprachgebietes betr. Abstinenz. Die Hauptfragen lauteten: Bekommen die Patienten noch Alkohol? Bekommen die von der Anstalt beköstigten Ärzte und Pfleger noch Alkohol? Befindet sich in Apotheke und Küche der Anstalten noch Alkohol? Der Berichterstatter fasste das Ergebnis dieser Umfrage optimistisch dahin zusammen, dass die Tendenz auf Abstinenz hinginge.

      [52]Die damaligen Hoffnungen haben sich aber nicht erfüllt. Seit 1905 sind keine wesentlichen Fortschritte erzielt worden. Nach Professor Delbrücks Ansicht liegt der Grund vor allem darin, dass die Abstinenzler, die Guttempler, wesentlich duldsamer geworden sind, seitdem sie gewissermaßen offiziell anerkannt wurden. Sie haben an Kampfkraft verloren.

      Man darf nicht vergessen, dass unser Orden in seinen ersten Anfängen sehr schwer zu kämpfen hatte. Nicht nur das Alkoholkapital, nein, auch die breite Masse der Bevölkerung, ja, selbst unsere Kampfgenossen, die Mäßigen, übergossen den Orden und jedes Ordensmitglied mit Hohn und Spott. Unsere Ziele galten als verstiegenes, laienhaftes, unwissenschaftliches Idealistentum; wer damals dem Orden beitrat, musste ein ganzer Kerl sein, um dem Spott und Hohn in Familie, Freundeskreis und Arbeitsstätte zu trotzen. Es ist dem Orden unter diesen Verfolgungen nicht schlecht ergangen, es ging ihm ähnlich wie der sozialistischen Partei, die sich, in den 80er Jahren des vergangenen Jahrhunderts aufgelöst, immer fester zusammenschloss.


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