Warnung vor Büchern. Erzählungen und Berichte. Ханс ФалладаЧитать онлайн книгу.
Männer und Frauen, die kein Hohn und Spott, keine Verfolgung ihren Idealen untreu machen konnte.
Allmählich erkannten die Behörden, die breite Masse, dass der Orden nicht ganz so verstiegen und weltfremd war, wie sie geglaubt hatten. Kein Mensch mit offenen Augen konnte die Erfolge der Guttempler in der Trinkerrettung und Bewahrung übersehen. Die menschenkundige, weltkluge Idee seines Gründers, dem Trinker nicht nur die [53]Last seines Abstinenzgelübdes aufzuerlegen, die allein zu tragen er doch zu schwach wäre, sondern ihm im Familienleben, in der Anteilnahme der Loge einen Ersatz für das abendliche Kneipenleben zu bieten, – diese Idee siegte.
Immer mehr wurde der Orden von Wohlfahrtsorganisationen, von Behörden zur Trinkerrettung herangezogen. Wo eine Frau über ihren Mann, der Woche für Woche seinen Lohn in der Kneipe vertrank, ganz verzweifelt war, fand sich sicher eine Nachbarin, die schon vom Orden gehört hatte und ihn als Retter empfahl. Der Orden wurde groß und kräftig, er war anerkannt, nur noch Dummköpfe spöttelten über seine Arbeit.
Aber in dieser Anerkennung lag jene Gefahr, der dann der Orden auch nicht entgangen ist. Ja, dort, wo ein Familienleben vor dem Ruin stand, wo ein vertrunkener Mensch sich und die Welt verzweifelnd aufgab, dort waren wir gut zur Hilfe. Wir sollten die Wunden heilen, die der Alkohol schlug, sie immer von neuem heilen, aber die Hand, die sie schlug, den Alkohol selbst, sollten wir nicht bekämpfen.
Was würde man wohl zu einem Arzte sagen, der sich nicht darum kümmern wollte, wie eine Krankheit entstanden ist, der sich nur um ihre Heilung bemüht? Ein Typhuskranker kommt zu ihm, er heilt ihn, aber es kümmert ihn nicht, wo die Brutstätte der Typhusbazillen sitzt, er lässt hundert andere erkranken, und begnügt sich mit der Heilung der einzelnen, die den Weg zu ihm finden. Wir würden sagen, das ist ein Pfuscher, das ist ein gewissenloser Arzt, und würden ihn wegjagen.
Ist es unserm Orden nicht ähnlich ergangen? Die dort draußen, die einzelnen, die Brauer, die Gastwirte, die Schnapsfabrikanten, die Wohlfahrtsstelle, alle, alle, jeder [54]einzelne, der draußen herumläuft, sagt: Sei zufrieden, Guttempler, wir schicken dir die Lahmgeschlagenen des Lebens, die Kranken, die Vergehenden, du darfst sie heilen. Mehr nicht. Aber du darfst sie heilen.
Unmerklich ist der Orden immer mehr in die einseitige Arbeit der Trinkerrettung gedrängt worden.
Und so verdienstvoll das ist, was er auf diesem Gebiete geleistet hat und noch leistet, so ist das doch nur ein Teil seiner Arbeit. Wichtiger als die Heilung der Wunden ist es, ihre Entstehung zu verhindern. Grade in den Kreisen der Jugend wird das heute immer stärker empfunden. So mancher Wehrtempler hat mir gesagt: »Wir empfinden es bitter, dass ihr Grundtempler so wenig Zeit für uns habt. Wenn ein Wehrlogenwart gesucht wird, wenn die Stelle der Leiterin einer Jugendloge besetzt werden soll, seid ihr Grundtempler schwer dazu zu bekommen. Ist es aber nicht wichtiger, uns alle vorm Trunke zu bewahren als einen schon Gefallenen zu retten?«
So spricht die Jugend. Und mag diese Einstellung neben manchem zweifellos Berechtigten auch Übertriebenes enthalten, eines ist sicher: Die breite Masse draußen, das Volk, hat kein Interesse mehr für die über die Trinkerrettung herausgehenden Ziele unserer Arbeit. Sie finden, dass wir Guttempler ihnen eigentlich nichts zu sagen haben, sie singen: »Brüderlein trink!«, sie betrinken sich mit Maßen, sind also keine Trinker, und haben darum auch nichts mit uns zu tun. Trotzdem nach dem Kriege eine starke Zunahme der Alkoholkranken zu verzeichnen ist, will das Volk daraus nichts lernen, ja, nicht einmal etwas davon hören.
Wenn also nach Ansicht von Professor Dr. Delbrück die Frage der Abstinenz niemanden praktisch mehr [55]interessiert, so ist dafür eine andere Frage in den Vordergrund gerückt: die für und gegen das Alkoholverbot.
Es erscheint auf den ersten Blick seltsam, dass nicht wir Abstinenten es sind, die diese Frage zum Gegenstand heftigster öffentlicher Diskussion gemacht haben, sondern dass es das Alkoholkapital ist, das diese Frage immer von neuem anschneidet. Wir Guttempler kennen unsere Volksgenossen und wir wissen nur zu gut, dass bei der Einstellung der meisten deutschen Landesbrüder ein Prohibitionsgesetz, wie es Amerika kennt, zur Zeit in Deutschland nicht die geringste Aussicht auf Annahme hat.
Wer am vergangenen Mittwoch Gelegenheit hatte, zu hören, wie unser Bruder Hartung aus Kiel in der Loge Triumph von der immer größer werdenden Vormachtstellung des Alkoholkapitals berichtete, das ständig in andere Industrien eindringt und sie sich dienstbar macht, der weiß, dass der einzelne heute kampflos, ganz ohne es zu merken, den Einflüsterungen dieses allmächtigen Königs Alkohol erliegt. Der weiß, dass diese raffiniert durchgeführte Propaganda, die mit allen Fortschritten der Technik, mit der Presse, dem Radio, der Operette, dem Tanzschlager, der Dirnenbedienung, der Animiermusik arbeitet, seinen Opfern unmerklich das Gift der Gewöhnung einflößt.
Warum hat nun das Alkoholkapital die Frage der Prohibition in den Vordergrund des Interesses gerückt, sie zu einer persönlichen Frage für jeden einzelnen gemacht, während wir Guttempler, deren Sache es doch eher wäre, davon schwiegen?
Der Kampf des Alkoholkapitals gegen die Prohibition erfolgt nur aus Unehrlichkeit und Verlogenheit. Es weiß ebenso gut wie wir, dass der Deutsche noch nicht reif für [56]dieses Gesetz ist, aber es sieht die Erfolge in den Vereinigten Staaten und es will vorbeugen, will für alle Zukunft vorbeugen. Dieser Kampf wird auf lange Sicht geführt. Alle jene Zeitungsberichte aus Amerika, die jeder von Ihnen alle Augenblicke in einem Blatt findet, über Alkoholschmuggel, Bestechlichkeit der Polizei, Betrunkenheit ganzer Städte in der Neujahrsnacht, Kampf der Nassen gegen die Trockenen, – all diese Artikel sind bestimmt, dem Leser die ganze Prohibition von vorneherein lächerlich und verächtlich zu machen, in ihm das Gefühl zu erwecken: Getrunken wird ja doch, warum erst solche Gesetze erlassen? Immer wieder soll ihm eingehämmert werden: »Du bist ein freier Mann. Du kannst tun, was du willst. Niemand darf dir verbieten, zu trinken, wenn du Lust hast. Sieh nach Amerika. Dort haben sie es verboten und doch trinkt dort jeder. Lass es also gar nicht erst zu einem so lächerlichen Verbot kommen. Lass dir nichts verbieten, du bist frei.«
So spricht das Alkoholkapital und, wir werden es alle zugeben müssen, es findet sehr offene Ohren.
Lassen Sie mich Ihnen in diesem Zusammenhang aus dem Vortrag unsers Großtemplers einige Zahlen nennen, die die heutige Situation beleuchten, die darüber aufklären, ob die Alkoholnot in unserm Volke z. Z. wirklich nicht so dringend ist, wie von interessierter Seite immer wieder behauptet wird.
Der Alkoholverbrauch ging vor dem Kriege ständig aufwärts, von 1860–1900 vervierfachte sich der Konsum pro Kopf der Bevölkerung. Der Krieg brachte eine scharfe Unterbrechung dieser Entwicklung, der Verbrauch fiel auf ein Fünftel der Vorkriegszeit. Professor Kräpelin-München, der große Irrenarzt, zog damals die Folgerung: je weniger [57]Alkohol, desto weniger Trinkerfürsorge, Kriminalität, Familienelend. Die Unglücksziffern sinken, die erfreulichen steigen. Der Krieg hat also gewissermaßen ein Riesenexperiment am Menschen durchgeführt und uns bewiesen, dass Mäßigkeit schon in der lebenden Generation eine außerordentliche Besserung erzielt. Wieviel mehr noch wäre in einer Generation zu erreichen, die den Alkohol überhaupt nicht kennenlernt.
Nach dem Kriege steigt aber wieder der Alkoholkonsum und zwar so stark, dass selbst die Presse, die im Allgemeinen eine gefügige Dienerin des Alkoholkapitals ist, sich hie und da beunruhigt. So brachte die Berliner 12 Uhrzeitung einen Artikel unter der Schlagzeile: »Für 6 Milliarden Volksvermögen vertrunken.«
Aber die Brauerzeitung, das Fachblatt des Alkoholkapitals, ist zufrieden. Sie stellt fest, dass ¾ des Vorkriegsverbrauchs bereits wieder erreicht sind, und hofft, auch das letzte Viertel bald wieder aufholen zu können.
Doch das ärmere und kränkere deutsche Volk darf sich heute keineswegs die Ausschreitungen leisten, die noch vor dem Kriege möglich waren. Wir seufzen unter den Daweslasten, die in diesem Reparationsjahr erstmalig die volle Höhe von 2½ Milliarden erreichen. Wie aber können wir von unsern Vertragsgegnern Milderung erwarten, wenn wir zur gleichen Zeit in einem Jahr für Alkohol 6 Milliarden Mark verausgaben?
Und diese 6 Milliarden Mark sind nur die direkten Aufwendungen der Deutschen für Alkohol, dahinter steht eine sehr viel größere Summe, für Aufwendungen für Krankheiten, Elend, Verbrechen, die eine Folge des Alkoholgenusses sind.
[58]Aber von solchen