Die Göttinnen: Die Geschichte der Herzogin von Assy. Heinrich MannЧитать онлайн книгу.
überlegenes Urteil unter dem Anprall dieser Beredsamkeit und versuchte sich klarzumachen, wieviel sie unter Umständen wert sei.
Die Herzogin sah unaufmerksam weg; sie war zu oft bei den Proben auf der Bühne gewesen. Allmählich blieb sie an den Gesichtern ihrer neuen Bekannten haften. Die Blà, die das Mienenspiel des Tribunen skeptisch studierte, machte den Eindruck einer eleganten Frau ohne Schicksale, fein und gütig. Und obendrein spielte Geist auf der schönen Weiblichkeit ihrer Züge. Vinon Cucuru, die Dunkelblonde, kicherte in ihr Schnupftuch. Sie war mit Stumpfnase und Grübchen ein selbstbewußtes Kind, dem es gar nicht fehlen konnte. Aber ihre Schwester schien alles hinter sich zu haben und gebrochen von allem zurückgekommen zu sein. Lilians Haar war tiefrot, mit violetten Lichtern. Sie hielt den blassen Blick gesenkt, ihre Nase begann vorn sich zu röten, die Hände lagen, wie kranke Mollusken, trostlos im Schoße. Das Mädchen kam dem Fremden ganz weiß und kalt vor von abgestorbenen Schmerzen, die als Leichen in ihrer Brust vergessen waren. Sie ließ davon jeden sehen, was er mochte. Keine Gesellschaft war wichtig genug, ihr etwas zu verbergen.
Im Rücken der Damen und hinter Tamburini und San Bacco, an der langen Wand der Galerie gesellten sich wie auf Balkonplätzen die alten Bilder zu Pavic' undankbaren Hörern. Das Haar in Schläfen und Stirn gestrichen, sann ein junger Mann mit ungleichen Augen zärtlich über den hohen, steifen Fältelkragen hinweg. Ein liebliches, reiches Kind hatte über den Tisch, worauf seine Taschenuhr lag, eine Seifenblase geformt. Sein Papagei floh kreischend, sein Hündchen sprang herzu. Man sah es, der Spitz würde noch Kapriolen machen und der Vogel noch schreien, wenn der Stundenzeiger der Kleinen schon stillgestanden und der bunte Schaum ihrer zehn Jahre geplatzt sein würde. Die todesdüstere Schönheit daneben, in gewellten Haaren, Agraffen und wehenden Schleiern, hielt in Händen ein Sieb. Ihr zugespitzter, üppiger Finger deutete auf den durchlöcherten Behälter wie auf ein Leben, in dem alles vergeblich gewesen wäre und alles bodenlos. Doch Judith, die schmale Jungfrau, trug unter gemmengekrönten Locken das bleiche Antlitz sehr hoch, ohne es je auf ihre starken Hände zu neigen, in denen das Schwert blitzte und der Kopf blutete.
Pavic machte krampfhafte Anstrengungen, sich in der Täuschung zu erhalten, als umringten ihn Bewunderer. Allmählich versiegte seine Rede in der allgemeinen Gleichgültigkeit. Er stotterte, faßte an die feuchte Stirn und verstummte, beschämt und unglücklich. Die alte Fürstin hatte ihn die ganze Zeit mit offenem Munde angestarrt. Kaum war es still, so klappte sie das Gebiß zusammen und sprach von etwas anderem.
Zwei leise Diener mit rasierten, friedevollen Lippen reichten Erfrischungen umher. Die Herzogin und die Blà nahmen Zedernschnee. Der Kardinal tat in sein geeistes Wasser ein Stückchen Zucker, San Bacco und Pavic gossen Rum hinein; die Cucuru trank ihn unverdünnt. Ihre Tochter Vinon schleckte Vanillegefrorenes. Monsignore Tamburini bereitete eine Orangeade, wobei ihm der Fruchtsaft über die Finger tropfte, und bot sie der trübseligen Lilian. Sie streckte achtlos die Hand aus; er zog das Glas zurück und bat verzerrten Mundes und mit der Anmut eines schlecht Gebändigten:
»Aber erst ein freundliches Gesicht machen!«
Sie drehte ihm den Rücken zu, doch traf sie den Blick ihrer Mutter und schrak zusammen. Darauf kehrte sie zu Tamburini zurück, lächelte ihm zu wie eine, die auch das noch tun kann, und goß, als habe sie sich zum Giftbecher entschlossen, das Getränk auf einmal hinab.
Die Cucuru hatte sich einen Teller mit Marmelade belegt. Sie schrie den Aufwärter an: »La bouche!« Mit unerwartetem Ruck senkte sie sich so tief seitwärts, als wollte sie den Kopf unter den Stuhl stecken, sie brach sich mit einem Knacken die Kiefer aus und legte sie in die bereitgehaltene Schale.
»Ihr braucht eure Zähne zum Essen, ich meine nur zum Sprechen. Kauen tue ich mit dem Gaumen!«
So heulte sie, mit plötzlich dumpf und uralt gewordener Stimme, angestrengt hinaus in die Galerie, deren edle Maße den feinen Reden bedächtig wandelnder Geistmenschen erbaut waren.
Der Kardinal unterhielt die Herzogin von Münzen und Kameen. Er zeigte ihr in Kästen, die er herbeitragen ließ, eine Abteilung der seinigen.
»Ich habe niemals erfahren, woher diese da stammt. Man erkennt auf einer Seite eine Weintraube und auf der andern unter den Buchstaben Jota und Sigma eine Amphora.«
Sie rief überrascht:
»Die kenne ich ja! Sie ist von Lissa, meiner schönen Insel. Ich schreibe dem Bischof; Sie werden mir erlauben, Eminenz, Ihnen mehr von diesen Dingen anzubieten.«
»Können Sie das denn noch?« fragte die Cucuru. »Ihre Länder sind Ihnen ja weggenommen.«
»Sie haben recht, ich dachte nicht mehr daran.«
Sie mußte sich besinnen.
»Nun, der Bischof wird mir die Münze aus Gefälligkeit schicken«, meinte sie lächelnd.
»Nein, nein, lassen Sie das lieber!«
Die Greisin war unzufrieden. Sie nahm ihr Gebiß wieder an sich und sprach ohne Murmeln.
»Freund Anton gibt sich viel zuviel mit solchen Dummheiten ab, bestärken Sie ihn nicht darin! Er sinnt nur darauf, sein Geld wegzuwerfen, und nichts hat er übrig für tatkräftige Unternehmungen, wobei Familien reich werden. Haben wir Geld, so haben wir Verpflichtungen!«
Der Kardinal wandte leise ein:
»Alles zu seiner Zeit, liebe Freundin.«
Er achtete nicht weiter auf die alte Dame, die sich bei Monsignore Tamburini eine Bestätigung ihrer Ansicht holte. Er hauchte auf einen geschnittenen Stein und glitt mit zärtlichem Finger darüber hin. Sie schrie höhnisch:
»Wie er putzt! Wie er verliebt ist in den Firlefanz! Freund Anton, Ihr wart immer nur ein Frauchen!«
Tamburini machte sich von neuem an Lilian Cucuru heran:
»Singen Sie doch etwas«, sagte er, und unter dem süßen Schleim, worin er seine Aufforderung einwickelte, grollte etwas Plumpes, wie die Drohung eines Herrn und Besitzers. Sie wand sich, ohne ihn anzusehen. Ihre Mutter rief scharf:
»Du hörst doch, Lilian, man bittet dich zu singen. Wozu bekommst du die teuren Stunden?«
Das Mädchen blickte hilflos auf die Herzogin. Diese fragte:
»Wollen Sie mir eine Freude machen, Prinzessin Lilian?«
Sie erhob sich sofort und ging langsam die Galerie zu Ende. Dort blieb sie stehen und sang irgend etwas. Man sah sie undeutlich. Ihre Stimme huschte ängstlich und wie vom Schatten erstickt durch den Raum. Die schimmernde Figur des Marmorknaben hinter ihr legte einen Finger auf den Mund. Man klatschte; darauf kam sie zurück, müde und ohne eine Spur von Erwärmung in Wangen und Augen.
Es ging auf Mitternacht, die Herzogin brach auf. Sie sollte den Wagen des Kardinals benutzen, und als sie die Länge der Fahrt beklagte, bot sich ihr die Contessa Blà zur Begleitung an.
Die beiden Frauen fuhren die Lungara zu Ende. An der Ecke des Borgo entstiegen dem Hintergrunde flüchtig ein paar Säulen von den Kolonnaden Sankt Peters. Vor den Osterien saß das Volk bei Windlichtern und trank Wein. Einige spielten schreiend Morra.
»Die arme Lilian sieht aus wie ein Opfer ohne Rettung«, bemerkte die Herzogin. Die Blà erklärte:
»Ein Opfer der mütterlichen Politik. Die Cucuru hat ihr Vermögen verloren. Sie ist überaus geschäftskundig und zieht Wechsel auf die Zukunft ihrer Töchter; aber doch wohl zu hohe Wechsel, es wird nichts übrigbleiben. Haben Sie nie etwas von dem verstorbenen Fürsten gehört?«
»Doch. Er soll das Seinige an Schauspielerinnen verschenkt haben.«
»Man tut ihm unrecht, er gab es ebensogern den Schauspielern. Er war ein heftiger Verehrer des Brettls, und wo immer in Neapel oder im ganzen Königreich ein solches Institut mit Schwierigkeiten kämpfte, da half er aus. In späteren Jahren reiste er selbst mit einer Truppe. Er saß allabendlich im Frack und mit schwarzer Perücke, steif und tiefernst, unter einem schofeln, lärmenden Publikum. Am Schluß stieg er auf die Bühne und verbeugte sich. Die Mimen waren seine Kinder, er verheiratete sie und stattete sie aus, schlichtete ihre Eifersüchteleien und nahm